Donnerstag, 14. Februar 2013

Unerreichbar im Parallelkosmos



Schladming hatte gleich zu Beginn seinen, wenn auch kleinen, Skandal. Auf Flyern wurde in die eigens aufgebaut Gösser-Arena zu Motto-Abenden wie "Super Schnitten lassen bitten“, "Scharfe Kanten, heiße Tanten“ oder gar "Zeig der Zilli deinen Willi“ geladen. Die Aufregung, war, zumal in Zeiten der hochdräuenden Diskussion rund um den Alltagssexismus, groß. Die Brauerei machte sofort den Kotau vor den Kritikern und entschuldigte sich via Facebook.

Das Publikum, Männlein wie Weiblein gleichermaßen, wird sich trotzdem dort vergnügt und die Sau raus gelassen haben. Schließlich fahren viele ja nicht zuletzt wegen Veranstaltungen dieser Art in die Wintersportorte.

Dort gewesen sein wollen freilich nur die Wenigsten. Viele behalten das lieber für sich.

Wie so vieles. Wichtig ist, dass die Fassade herzeigbar ist. Fein herausgeputzt, in Zuckerlfarben. Man weiß, wie man sich in diesem Land nach außen zu präsentieren hat und wem man wie nach dem Mund zu reden hat. Freundlich grüßen, in die Kirche gehen, sagen, dass man langsam Auto fährt, sich Sorgen um die Umwelt macht und dass man keine Probleme mit Menschen mit Migrationshintergrund hat und auch nicht mit gleichgeschlechtlichen Paaren. Man weiß, was man wo sagen kann und was man wo nicht sagen kann, um nicht in Schwierigkeiten zu kommen, für dumm gehalten zu werden oder unter Rechtfertigungsdruck zu kommen. Privat und in der Arbeit.

Und man hat keine Skrupel, dabei naturgemäß oft zu lügen, zumal in einem Land, in dem Rückgrat nicht wirklich viel gilt. Denn hinter den Fassaden, da ist alles gar nicht selten ganz anders. Dort glauben sie sein zu können, wie sie sind, dort müssen sie nicht erklären, warum sie auch mit einem ordentlichen Schwips fahren, warum ihnen die Türken um die Ecke so auf den Geist gehen, warum sie etwas von einem starken Mann halten, der endlich aufräumen würde, warum sie den Schilling wieder wollen und die Ostgrenze. Und warum die Frauen lieber in der Küche stehen als im Büro sitzen sollen. Und dass eine g’sunde Watschn noch nie jemandem geschadet hat. Dass man es Umfragen zufolge mit der Moral nicht genau nimmt und auch ein bisschen Korruption nicht abgeneigt ist, passt da dazu.

Das alles traut man sich allenfalls in der Familie und unter Freunden oder nach ein paar Vierterln nach Mitternacht im Tschecherl ums Eck sagen. Aber untertags? Bei Licht? Nie! "Schön sprechen“ heißt es da. Und meistens versteht man sich drauf. Und wenn nicht, dann hält man lieber den Mund. Längst ist in Österreich ein Parallelkosmos entstanden, in den sich immer mehr Menschen zurückziehen und unerreichbar werden. Längst ist dieses Verhalten zu einem gesellschaftlichen und damit politischen Problem ersten Ranges geworden. Nicht nur in Österreich.

Immer mehr Menschen fühlen sich überfordert. Sie haben Probleme mit dem, was als gesellschaftlicher Fortschritt gilt. Oft von Grund auf. Viele haben noch Probleme mit der Gleichstellung von Mann und Frau zurecht zu kommen, mit Frauen in bestimmten Berufen, mit neuen pädagogischen Standards, erst recht mit Ausländern und mit vielem anderen, was sich in den vergangenen Jahrzehnten an Werthaltungen wandelte.

Sie haben Probleme, die Veränderungen zu verstehen und zu akzeptieren. Sie wissen nur - wenn sie etwas Falsches sagen, kann es schwierig und vielleicht sogar richtig ungemütlich werden. Da wird man schnell lächerlich gemacht, für blöd erklärt und für hinterwäldlerisch, da drohen Schelte und Ausgrenzung, vielleicht sogar Strafen. Kümmern tut sich um diese Menschen freilich niemand, sie ernst nehmen, versuchen sie heranzuholen und ihnen die Ängste zu nehmen auch nicht. Da macht man sich allemal lustig über sie und kanzelt sie ab. Verständlich, dass sie sich zurückziehen. Und dass sie sich nur mehr dort so geben, wie sie wirklich sind, wo sie sich unter ihresgleichen und damit sicher fühlen.

Diese Entwicklung hat in Österreich längst dramatische Dimensionen angenommen. Die Politik hat dabei auf allen Linien versagt. Viel zu schnell wollte und will man die Menschen gewinnen, viel zu kurz ist der Atem dafür, viel zu gering die Geduld und die Ernsthaftigkeit. Die vermitteln allenfalls Parteien am Rande des Verfassungsspektrums oder solche, die mit viel Geld in der Tasche wuchern und diesen Menschen nach dem Mund reden. Dass sie sie freilich auch nicht weiterbringen und dahinter nichts als Eigennutz steckt, spielt dabei keine Rolle, dass sie dabei das ganze Land gefährden, aber sehr wohl.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Februar 2013

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