Donnerstag, 17. Oktober 2013

Achselzucken



Das Wort "abgesandelt" hat das Zeug zum Wort des Jahres zu werden. Wirtschaftkammerpräsident Leitl hat ihm heuer im Nationalratswahlkampf in Österreich zu besonderer Prominenz verholfen, weil ausgerechnet er, wie viele kritisierten, dieses Wort, das einen nicht eben erstrebenswerten Zustand beschreibt, mit dem Wirtschaftsstandort Österreich in Zusammenhang brachte.

Nun spricht ja nichts dagegen, sich kritisch mit dem Wirtschaftstandort Österreich, namentlich seinen Defiziten, auseinanderzusetzen. Ganz im Gegenteil. Diese Übung geschieht viel zu selten und ist nicht zuletzt deswegen nachgerade bitter notwendig. Zumal in Zeiten, in denen das Land in den internationalen Rankings beständig nach unten rutscht. Ob "abgesandelt" im Zusammenhang damit passend ist, darüber mag man streiten. Man muss sich freilich nicht drauf kaprizieren. Denn das Angebot, dieses nicht gerade wohlmeinende Prädikat in Österreich anzubringen, ist ohnehin groß. Denn das Prädikat "abgesandelt" trifft, viel eher als auf den Wirtschaftsstandort, auf viele andere Zustände in diesem Land zu. Bildung ist dabei dazuzugehören, das Gesundheitssystem und die Verwaltung. Und die politische Kultur, soferne man sie überhaupt noch so nennen mag, auch.

Das Land sandelt aber nicht nur im Großen ab, sondern auch im Kleinen. Und es krankt daran. Immer öfter wird sichtbar, wo die Strukturen überfordert sind, wo Geld fehlt und wo Wurstigkeit regiert. Das vergällt viel zu vielen Menschen zwischen Apetlon und Bludenz und zwischen Drosendorf und Arnoldstein das Leben unnötig, ja macht es oft viel schwerer und komplizierter, als es sein müsste. Und das schränkt in vielen Fällen regelrecht die Handlungsfähigkeit der betroffenen Einrichtungen ein und torpediert ihre ursprünglichen Ziele. Untragbar sind oft die Zustände, wo man sie gar nicht vermutet. Das Prädikat "abgesandelt" verdienen etwa viele öffentliche Gebäude und Einrichtungen. Die Räumlichkeiten sind oft nur schlecht ausgestattet, alt und heruntergekommen und oft nachgerade ungustiös. Das gilt auch für viele Schulen und Universitäten. Da gibt es Klassen die, wiewohl auf Elektronik spezialisiert, bis in den Oktober hinein auf Strom warten müssen, weil bei den Umbauarbeiten geschludert wurde. Weit verbreitet ist die Sitte, Schüler respektive deren Eltern, zum Ausmalen von Klassenräumen anzuhalten, weil der Direktor mit leeren Taschen da steht. In diese Kategorie fallen auch die zuweilen unzumutbaren Zustände, unter denen Studenten Lehrveranstaltungen folgen müssen und gar nicht zu reden von den chaotisch daherkommenden Anmeldeprozeduren. "Abgesandelt" ist in weiten Bereichen auch der Zustand des Bundesheers und seiner Einrichtungen zu nennen. Kaum anders stellt sich die Lage bei der Polizei dar und in vielen anderen öffentlichen Bereichen.

Das Prädikat "abgesandelt" trifft auch auf viele Bereiche der Gesundheits-und Altersversorgung zu. Arztbesuche sind in diesem Land Tagesbeschäftigungen, immer noch gibt es Spitäler, in denen Kranke mangels ausreichenden Raums auf Gängen liegen müssen und manches Altersheim, respektive die dort Wohnenden, sind zum Erbarmen.

"Abgesandelt" präsentieren sich auch viele Orte, Städte und Regionen. Leere Ortszentren, bröckelnde Fassaden, sieche Unternehmungen und noch tristere Wirtshäuser. Kein Wunder, dass sich die Menschen, zumal die

Jungen, abwenden und das Weite suchen. Die Bemühungen, diese Entwicklung, dieses "Absandeln", um beim Wort zu bleiben, zu bremsen, sind überschaubar wie erfolglos.

Und "abgesandelt" ist trotz vieler Fortschritte immer noch der Umgang zwischen Verwaltung und Bürgern, zumal dann, wenn es um Service und Gesprächskultur geht.

Die Betroffenen leiden still vor sich hin. Und die Verantwortlichen da wie dort denken sich gar nichts mehr dabei, weil sie sich an die Zustände längst gewöhnt haben. Achselzucken. Sie beugen sich der oft tristen Wirklichkeit, die nicht selten ihre Ursache in der Unfähigkeit und Unwilligkeit von Verantwortlichen hat. Lustlosigkeit und Wurschtigkeit kriechen in Österreich aus allen Ecken. Es fehlt an Visionen und gemeinsamen Zielen. Und an Leuten, die sie formulieren und die für sie begeistern. Statt dessen herrschen Hader, Missgunst und Platitüde - ohne Aussicht auf Veränderung.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Oktober 2013

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1