Donnerstag, 15. Oktober 2015
"Fit & proper" für Wahlen?
Wien hat gewählt. Längst kennt man das Ergebnis. Längst weiß man auch, wer wie gewählt hat. Fein ziseliert nach Alters-und Berufsgruppen, nach sozialem Milieu, nach beruflichem Hintergrund und auch nach Bildung. Nach Allgemeinbildung freilich nur. Was man aber nicht weiß, ist, wie es mit der politischen Bildung der Wähler ausgesehen hat, mit der Qualifikation für die demokratische Entscheidung, die für das Land so weitreichende Folgen haben kann.
Dass es durchaus lohnend wäre, sich damit auseinander zu setzen und entsprechend Relationen zum Stimmverhalten herzustellen, ist nicht neu. Anhaltspunkte gibt es aber dennoch nicht, es sei denn man nimmt als solche, was der Mikromann von Ö3 vergangene Woche Tag für Tag in aller Früh seiner Hörerschar präsentierte. Da war auf die Frage, wie der Landeshauptmann von Wien heißt, wenn Michael Häupl der Bürgermeister ist, die Antwort "Faymann" zu hören. Und auf die Frage nach dem Namen des Bundeskanzlers ein saloppes und selbstbewusst-gelangweiltes "Keine Ahnung". Als der Mikromann am Freitag vor den Wien-Wahlen schließlich wissen wollte, ob man vom Ergebnis der Wahlen überrascht sei, war zu hören, dass man nicht überrascht sei vom Ergebnis, aber davon enttäuscht, dass nicht mehr Leute ungültig gewählt hätten.
Nun soll man die Antworten, die nach Unterhaltungswert ausgesucht sind, nicht überbewerten, zum Nachdenken sollten sie aber durchaus anregen, zumal sie sich mit anderen Erfahrungen decken, die jede Frau und jeder Mann tagtäglich machen. Und zumal sie auch mit dem übereinstimmen, was Untersuchungen und Meinungsbefragungen immer wieder ergeben. Nicht nur das politische Wissen und das Wissen um Zusammenhänge in der Politik zliegt dabei in Österreich immer wieder im Argen. Auch um das wirtschaftliche Wissen ist es um nichts besser bestellt. Erst kürzlich ließ die Nationalbank mit einer Umfrage aufhorchen, die belegt, dass es um das Finanzwissen der Bürger in Österreich nicht zum Besten bestellt ist.
Das freilich hindert viele dieser Menschen nur selten daran, recht laut und rechthaberisch über die Politik und die Politiker zu schimpfen, vollmundig davon zu reden, was wie besser gemacht werden kann, und man weiß selbstredend, wie mit den Griechen und ihrem Schuldenberg zu verfahren wäre.
Es gibt freilich eine verschärfte Form dieser ohnehin bemerkenswerten Spezies von Menschen, die trotz geringen Wissens und bar jeder Bemühungen, ein solches zumindest ansatzweise zu erwerben, mit ihrem Stimmverhalten weitreichende Entscheidungen für das ganze Land treffen können und um keinen Ratschlag verlegen sind. Das sind manche Politikerinnen und Politiker selbst. Sie, für die die Verantwortung in noch viel höherem Maß gälte, lassen sehr oft ebendiese in gleichem Maß vermissen, wie jene, die sie vertreten wollen. Es ist zuweilen frappierend, wie eng ihr Horizont ist, wie schnell man statt einigermaßen fundierter Antworten hilfloses Achselzucken erntet. Und wie sie dennoch ohne viel Federlesen weitreichendste Entscheidungen treffen.
Dass vor wenigen Jahren ein heimischer Publizist mit einer Streitschrift unter dem Titel "Prolokratie - Demokratisch in die Pleite" einen Bestseller landete, nimmt vor diesem Hintergrund nicht wunder. Das Eis ist freilich dünn, auf dem man sich bewegt, wenn man thematisiert, was er thematisiert hat. Nichtsdestotrotz erscheint es notwendig, auch darüber zu reden. Da darf es klarerweise nicht darum gehen, gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten und die Demokratie in Frage zu stellen. Vielmehr muss es darum gehen, wie man die Qualifikation der Wähler und auch der Politiker für die Entscheidungen, die sie zu treffen haben, verbessern kann.
In Österreich ist man da säumig, die Wähler und auch die Politiker für ihre Aufgabe "fit &proper", wie das neudeutsch heißt, zu machen. Politische und wirtschaftliche Bildung führen in den Schulen ein Schattendasein und gelten als Blümchen-Disziplinen. Nach der Schule gibt es praktisch überhaupt nichts mehr, es sei denn, man hält die öffentlich-rechtlichen Vermittlungen in Rundfunk und Fernsehen und in den mehr oder weniger bunten Blättern für genügend und adäquat.
Viel ist das, man weiß es, nicht. Deswegen ist der Handlungsbedarf nach den Ergebnissen der vergangenen Wahlen und vor dem Hintergrund der Performance vieler Politikerinnen und Politiker nicht mehr zu übersehen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. Oktober 2015
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