Donnerstag, 8. Oktober 2015

Schweigen im Wald



Seit Tagen hat man in der Diskussion um den Umgang mit dem Flüchtlingsstrom ein neues Thema - die Kosten. Was kommt da auf uns zu, spekuliert man allerorten, seit im Radio die Meldung kolportiert wurde, dass sie nicht weniger als zwölf Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren ausmachen werden. Mag sein, dass es so viel wird, mag sein, dass es nicht so viel wird.

Frappierend ist allemal, was man auch nach Wochen der Flüchtlingswelle, die durch Österreich schwappt, nicht weiß. Immer noch nicht weiß. Und das ist nicht nur, was die Flüchtlinge kosten werden. Man weiß ja nicht einmal, wie viele da sind. Und schon gar nicht wer. Es war erstaunlich, wie in den vergangenen Wochen die Zahlenangaben zwischen Österreich und Deutschland differierten. Selten passten die Zahlen, die Österreich von den täglichen Ankünften in Nickelsdorf und in der Steiermark meldete, mit jenen zusammen, die deutschen Angaben zufolge täglich aus Österreich kamen. Man hat auch bis heute kaum einen Überblick darüber, welche Staatsangehörige da drunter sind und man weiß schon gar nichts über ihre Herkunft und ihr Vorleben.

Zugegeben, das ist auch schwierig. Die Situation ist chaotisch. Aber die Flüchtlingskrise ist nicht vom Himmel gefallen. Was auf Europa und was auf Österreich zukommt, war seit Monaten abzusehen. Aber man zog es vor, wegzuschauen und glaubte, in bester österreichischer Manier, die Entwicklung negieren zu können. Viel zu lange, viel zu oft. Und ohne je auch nur einen Gedanken an einen Plan B verschwendet zu haben. Versprechungen wurden nicht eingehalten, Ankündigungen allenfalls als Beruhigungspillen begriffen und Warnungen und Aufforderungen zu handeln, kleingeredet.

Statt möglichst früh zu einer Sachlichkeit zu finden, die der Umgang mit Flüchtlingen erfordert hätte, ließ man Emotionen freie Bahn. Auf allen Seiten. Nach wie vor sind die Grenzen zwischen echter und notwendiger Hilfe und der Politik, die mit Hilfe betrieben wird, und die Interessen, die verfolgt werden, verschwommen. Nach wie vor gibt es keine Strukturen, die Klarheit und Sicherheit schaffen und damit Ängste und Unsicherheiten nehmen könnten. Und noch immer ist es kaum möglich, das Problem als Herausforderung zu begreifen, die es mit allen Schwierigkeiten und Ungewissheiten, die da auftreten, zu bewältigen gilt. Noch immer hält man vielerorts für die einzige Lösung, das Problem zu negieren und so zu tun, als ob man nichts damit zu tun hätte.

In diesem Klima, das zwischen blanker Blauäugigkeit und Angst und Hass schillert, ist es nicht verwunderlich, dass Ängste und Sorgen wachsen. Längst wirkt das Gift allerorten. Die Verschwörungstheoretiker und die Weltuntergangspropheten bestimmen zunehmend die Diskussion. Mit einem Mal tauchen überall Geschichten von Übergriffen auf, von Streitigkeiten und von ungebührlichem Benehmen, das man den Flüchtlingen anlastet. Allerorten blühen die Geschichten vom Islam, seinem Missbrauch und von schlechten Erfahrungen damit.

"Ob wir stark genug sind, unsere Errungenschaften aufrechtzuerhalten", fragen sich längst auch gutwillige Menschen. Die Antworten, die sie bekommen, sind immer noch dürftig. Die von der Politik sowieso, aber auch die von Institutionen, wie den Kirchen, gleich ob katholisch oder evangelisch.

Die offizielle Kirche, zumal die katholische, ist bemerkenswert ruhig zum Thema Flüchtlinge. Die Caritas ja, die steht ganz vorne, und auch in vielen Pfarren nehmen sich die Menschen an. Wenn es aber darum geht, der Flüchtlingshilfe den Rücken zu stärken und den Menschen Orientierung zu geben, ist von den Bischöfen wenig zu hören und von den Klöstern und von den Pfarrern auch. Selbst die Kirchenblätter schweigen. Ganz so, als fühle man sich nicht wirklich verantwortlich dafür, Nicht-Christen zu helfen. Ganz so, als gelte für sie das Gebot der uneingeschränkten Nächstenliebe nicht und ganz so, als hätte man selbst Angst vor der immer lauter beschworenen Islamisierung.

Immer öfter hört man gerade von jenen, die Sonntag für Sonntag ganz vorne in den Kirchen sitzen, Schauergeschichten über den Islam und die Menschen, die da kommen. Das schmerzt. Und das lässt nicht nur an ihrer Lauterkeit zweifeln.

Diese Versäumnisse haben weitreichende Folgen. Und zu denen gehören auch jene, mit denen sich seit kurzem Oberösterreich herumschlagen muss und demnächst Wien. Und ganz sicher bald das ganze Land.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. Oktober 2015

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