Donnerstag, 1. Oktober 2015
Aus dem Lot
Wer immer konnte und die Gelegenheit dazu hatte, wärmte sich in den vergangenen Wochen an der Erfolgsstory von Runtastic. Vier Studenten aus der Linzer Gegend, die innerhalb von wenigen Jahren mit ihren Fitness-Apps zu Weltruhm kamen. 60 Millionen Nutzer, 120 Millionen Downloads. Und neuerdings mit Adidas einen Weltkonzern im Boot, dem der Einstieg nicht weniger als 220 Millionen Euro Wert war.
Zyniker mögen sagen, das Unternehmen wurde trotz Österreich und der hiesigen Stimmung, die sich immer offener gegen die Wirtschaft wendet, binnen weniger Jahre zum internationalen High-Flyer. Man mag ihnen recht geben. Denn hierzulande haben es Unternehmen nicht leicht, zu Erfolg zu kommen und, wenn sie den schon haben, ihn auch abzusichern oder gar auszubauen. Monatlich klagt man zwar über das ständige Ansteigen der Arbeitslosigkeit und fordert und verspricht auf Wahlplakaten neue Arbeitsplätze. Wenn's aber darum geht, Nägel mit Köpfen zu machen, ist davon kaum mehr etwas zu merken. Ganz im Gegenteil.
Dieser Tage etwa steht im Oberösterreichischen bei einem sehr erfolgreichen mittelständischen Unternehmen eine Bauverhandlung an. Es geht um eine Erweiterung des Betriebs und um die Errichtung eines kleinen Lagers. Enorm, was eine solche Verhandlung hierzulande alleine an Papierkram auslöst und gar nicht zu reden von der Einladungsflut. Da müssen Vertreter des Bezirksbauamts, der Umweltdirektion des Landes, des Arbeitsinspektorates, der Brandverhütungsstelle, der Straßenmeisterei, von zwei Gemeinden und natürlich die Anrainer zusammenkommen, um dem eigentlich kleinen und sehr überschaubaren Projekt ihren Sanktus zu geben. Die Veranstaltung beginnt um 8.30 Uhr und dauert, bis alle Stellungnahmen vorgetragen, notiert und eingetragen sind, in der Regel bis knapp vor Mittag
-gerade rechtzeitig, um dann im nahe gelegenen, in einem guten Ruf stehenden Landgasthaus das Mittagessen einzunehmen.
Dieses Prozedere zu belächeln ist nicht angebracht. Andere Unternehmen wären froh, wenn es so klaglos laufen würde. In den vergangenen Wochen häuften sich in den Medien die Berichte über Bauprojekte von Unternehmen, deren Genehmigung sich bereits über Jahre hinzieht. Da kämpft in Wels ein Bauunternehmer seit Jahren um ein neues Firmengelände und gegen einen dort nistenden Brachvogel, der allem Anschein nach auf dem längeren Ast zu sitzen scheint. In Grieskirchen legt sich der Umweltanwalt gegen die Pläne der renommierten Firma Pöttinger, eine Größe auf dem internationalen Landtechnik-Markt, quer, 100 Millionen Euro zu investieren und 700 neue Arbeitsplätze zu schaffen. In Leonding hat eine Siemens-Tochter Probleme mit der geplanten Erweiterung, weil die Behörde das Gebäude in einem Hochwassergebiet wähnt. Dass es dort seit 100 Jahren kein Hochwasser gab und auch dass auch das Hauptgebäude dort steht, spielt keine Rolle. In Salzburg schlagen sich Porsche und Maco bereits seit acht Jahren mit Konzepten und Plänen für Umpflanzungsaktionen und Tunnels für Äskulapnattern und Ähnlichem herum, ohne voranzukommen, weil der Naturschutz immer neue Begehrlichkeiten erfindet, mit denen man die Unternehmen nervt.
Da ist es schwer, die österreichische Welt zu verstehen. Da stimmen die Relationen nicht mehr, da ist die Güterabwägung völlig aus dem Lot. Da geht es viel zu oft eher ums Verhindern als ums Unterstützen. Das macht es schwer, die Anforderungen zu bewältigen, denen die heimischen Unternehmen im Land selbst, aber auch auf den internationalen Märkten gegenüberstehen. Gar nicht zu reden von den Anforderungen, die an sie von der Gesellschaft gestellt werden - Arbeitsplätze, Steuern und Abgaben.
"Wir sind drauf und dran uns aus dem Markt zu schießen", sagte erst kürzlich der Chef eines großen Anlagenbaubetriebs. Die politisch Verantwortlichen lassen sich davon freilich nur mäßig beeindrucken. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist das nötige Fingerspitzengefühl abhanden gekommen. Es geht inzwischen nicht mehr darum, allfällig verantwortungslosen Unternehmen und Unternehmern Zügel anzulegen, um Umwelt und Arbeitnehmer vor ihnen zu schützen. Längst hätten sich die Anforderungen umgekehrt. Hätten. Die Unternehmen schützt niemand vor verbohrten, ewig gestrigen Sozialkämpfern, vor zügellosen Bürokraten und vor dreisten Umweltschützern, die allesamt den Bezug zur Realität verloren haben.
Zur Kenntnis nehmen will das freilich niemand.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. Oktober 2015
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