Donnerstag, 7. September 2017
Echoraumleben auf höchster Stufe
Mit Staunen schaut man dem Einen zu, wie er immer höher und höher zu fliegen scheint und wie ihn nichts aus der Bahn werfen kann in seiner türkisen Wunderwelt. Der andere hingegen muss sich in Interviews fragen lassen, ob er Stimmen will oder Mitleid.
Ein Land gerät in den Bann eines Wahlkampfes, den es so noch nie zuvor gegeben hat. Von den Kandidaten her, von den Inhalten her, von den Umfragen und Prognosen her. Und vor allem von den Medien her, über die das alles transportiert wird. Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen, Radio - das ist bekannt und einigermaßen berechenbar. Aber erstmals in diesem Umfang spielen bei Nationalratswahlen die neuen Medien eine Rolle - Twitter, Facebook, Instagram. Und genau Letztere sind der Stoff, aus dem etwas entsteht, was man bisher in dieser Form kaum kannte. Blasen, in denen man die Wirklichkeit und die Vorgänge und Veränderungen dort, nicht mehr wahrnimmt, und Echoräume, in denen man nur mehr hört, was man auch selbst sagen und hören will, aber nichts mehr von dem, was außerhalb geredet, gemeint, gefordert und getan wird.
Die Volkspartei, respektive die Parteigänger der Liste Kurz, scheinen sich in diesen Blasen und Echoräumen besonders wohl zu fühlen. Erfolgssicher ergeht man sich in Selbstlob, wohlig hat man sich die türkise Welt zum Lebens-und Hoffnungsraum gemacht und sieht die Zukunft ausschließlich und vorzugsweise in der Farbe, die nicht blau und nicht grün ist. Es tut offenbar gut, sich auf der Siegerseite zu fühlen. Der "Sebastian", und alles was er tut und sagt, wird mit Entzückung aufgenommen und weitergetragen und man erfreut sich daran, wenn es von denen bestätigt wird, die es ebenfalls weitertragen. Echoraum-Leben auf höchster Stufe sozusagen.
Man wundert sich und beobachtet das Treiben und das Verhalten mit immer größerem Staunen. Man registriert, wie in der türkisen Blase die Sensibilität fürs Umfeld abhanden kommt, für Themen auch und vor allem für die eigene Situation. Das Leben in solchen Echoräumen ist kommod und bequem, man erspart sich das Fragen und das Nachdenken. Und man erspart sich auch Argumente und die Auseinandersetzung damit. Man staunt, wie sehr selbst Menschen, deren Kritikfähigkeit man kennt, in einer solchen Blase abschalten und das politische Leben nur mehr durch einen engen Tunnelblick wahrnehmen. In einem Tunnel, an dessen Ende das Licht türkis leuchtet. Die Volksparteigänger neigten schon in der Vergangenheit immer wieder zu einem solchen Verhalten, selbst wenn die Parteiobmänner im Jahrestakt ausgetauscht wurden. So wie diesmal aber ist es noch nie gewesen.
Dabei könnten sich Parteigänger angesichts dieses blind-türkisen Hypes, der da grassiert, Sorgen machen. Das Gespür für die Realität und die Strömungen in diesem Land erodiert zusehends. Typisch dafür ist, dass völlig untergegangen ist, dass laut einer Umfrage im Profil Sebastian Kurz in der Kanzlerfrage -Für wen würden Sie stimmen, wenn man den Bundeskanzler direkt wählen könnte? - fünf Prozentpunkte verlor, während Kern drei Prozentpunkte zulegen konnte. Kurz 32 Prozent, Kern 28 Prozent lautet der Stand Ende August. Das mag man immer noch für komfortabel halten, man kann es aber auch als Zeichen sehen, dass die Welt doch nicht so türkis ist, wie man sie einschätzt. Und dass die Wahlen nicht so entschieden sind, wie man das in der türkisen Wunderwelt gerne glaubt. Und auch, dass "der Sebastian" nicht unverwundbar ist. Letzteres auch, weil Kanzler Kern kämpft - während Kurz immer glatter wird und Gefahr läuft, dass seine Auftritte und Statements nur mehr als Posen wahrgenommen werden. Kern hingegen hat seinen Slimfit-Anzug längst ausgezogen, um bei den Leuten anzukommen. Nach anfänglichen Patzern scheint ihm das zusehends zu gelingen. Er gewinnt an Glaubwürdigkeit und ist ganz offensichtlich nicht Willens, seinen Platz freiwillig zu räumen. Er hat nichts zu verlieren. Darin liegt seine Stärke.
Wer auf Kurz setzt, der könnte sich hingegen Sorgen machen, wie sehr es sich die Schwarzen in ihren türkisen Echoräumen und Blasen selbstzufrieden bequem machen und kaum mehr wahrzunehmen scheinen, was rund um sie in diesem Land läuft. Denn dort ist ihr Jungstar kein Heiliger. Dort wird mit zunehmender Vehemenz daran gearbeitet, ihm den ihm von seinen Fans verpassten Heiligenschein abzumontieren. Und das könnte Folgen haben, die so gar nicht in die Echoräume passen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 7. September 2017
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