Donnerstag, 1. August 2019

"Übliche Praxis" in honorigen Kreisen



Dass ein Mitarbeiter des Bundeskanzlers kurz vor dessen Abwahl fünf Festplatten schreddern ließ, mag verwundern, ist es doch nicht wirklich ganz alltäglich, wie der gute Mann dabei vorgegangen ist. Was aber noch viel mehr verwundert und erstaunt, ist, dass die Vernichtung von Unterlagen aller Art in den Regierungsbüros im Zuge eines Regierungswechsels nicht nur vom Kurz'schen Umfeld als üblicher Vorgang bezeichnet wird. "Die Löschung bestimmter sensibler, nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegender Daten entspricht der üblichen Praxis bei Regierungswechseln", ließ sogar Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein wissen.

Und so verwundert auch nicht, dass sich vor allem ehemalige Regierungsparteien wie die SPÖ, aber auch die FPÖ dazu sehr zurückhaltend geben und die Diskussion auf Beamte anderer Parteizugehörigkeit in Kanzleramt und Ministerien und die von ihnen vorgeblich ausgehenden Gefahren zu lenken versuchen. Schließlich waren Lkw von derselben Firma, bei der der Kurz-Mitarbeiter die Festplatten vernichten ließ, im Innenministerium vorgefahren, als dort Kickl den Posten räumen musste. Auch nach dem Abgang von Christian Kern waren die Büros besenrein und leer und keinerlei Datenträger oder andere Unterlagen zu finden. Und längst zu den gern erzählten Anekdoten der österreichischen Geschichte gehört auch, dass die Mitglieder der Regierung Schüssel im Jahr 2000 in Büros der SP-geführten Ministerien einziehen mussten, die teilweise verwüstet waren und in denen sogar die Computer-und Telefonanschlüsse aus den Wänden gerissen worden waren.

Da war selten etwas davon zu hören, dass, wie man es erwarten würde, in honorigen Einrichtungen von honorigen Herrschaften die Geschäfte in ordentlicher, korrekter und von Verantwortung dem Amt gegegenüber getragener Weise übergeben wurden. Vielmehr muss man erkennen, dass hierzulande Amtsübergaben auf höchster Ebene nicht auf Grundlage genauer Regeln und Vorschriften abgeführt werden, sondern eher hemdsärmelig, oft wohl auch am Rande der Legalität und jedenfalls in einem riesigen rechtlichen Freiraum.

Es muss ja nicht gleich darum gehen, etwas zu vertuschen. Merkwürdig ist das allemal in einem Land wie Österreich, in dem die Bürokratie und ihre Vorschriften aus jedem Lebenswinkel kriecht und in dem man jedem am liebsten aufs Konto, ins Telefon und in den Computer schauen würde. In dem Gewerbetreibende jeden Handgriff und jeden noch so kleinen Vorgang dokumentieren müssen, in dem man das Gastgewerbe mit einer Registrierkassenpflicht quält und in dem man Bauern mit mitunter absurden Aufzeichnungs-und Belegpflichten karniefelt, auf dass alles transparent und nachvollziehbar ist.

Ganz oben aber, an der Spitze des Staates, darf das offenbar ganz anders sein. Da ist nichts von Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Da richtet man sich die Dinge seit Jahrzehnten selbst. Wenn nötig mit Reißwolf und Verwüstung. Man mag es nicht glauben, wie dort, man mag es nicht anders nennen, gefuhrwerkt wird. Ohne jede Rücksicht, ohne jeden Genierer und, das vor allem, ohne jede Kontrolle. Und wie man das ganz normal findet. Und nicht nur das.

Das lässt tief blicken. Was sind das für Leute, die da an den Schalthebeln unseres Landes sitzen? Wie denkt man dort und welcher politischen Kultur fühlen sie sich verpflichtet? Was bedeuten ihnen die Einrichtungen der Demokratie, die ihnen nicht, wie sie vielleicht meinen, zur Verfügung gestellt wurden, sondern die ihnen von den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes im Zuge von Wahlen anvertraut wurden? Und was wird dort alles gemacht, was eigentlich nicht hingehört?

Das störte bisher niemand. Und niemand fand es bisher wert, darüber zu reden. Erst jetzt zeigt sich, wie groß der Graubereich ist, wenn eine Regierung wechselt, und wie groß die Lücken sind. Das Bundesarchivgesetz, das in solchen Fällen angewendet wird, erweist sich offenbar als völlig zahnlos. Was in die Archive kommt, entscheiden allein die Ministerien und ihre Mitarbeiter und sonst niemand. Das Gesetz selbst weist riesige Lücken auf. "Es fehlen die elektronischen Medien und all diese neuen Dinge", sagt der ehemalige Leiter des Staatsarchivs.

Man staunt über solche Lücken und mag es nicht glauben. Aber es passt zu all dem anderen, das man nicht glauben mag, wenn in diesem Land eine Regierung übergeben wird. Von dem man aber dennoch hofft, dass es anders wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. August 2019

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