Donnerstag, 30. April 2020

"Bauernopfer" Globalisierung



Langsam richten sich die Blicke wieder nach vorne. Viele möchten die Corona-Krise, neben vielem anderen, auch als Chance genutzt sehen, den Reset-Knopf für die Wirtschaft zu drücken. Als Gelegenheit, Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zu korrigieren, es besser zu machen als bisher, eine neue Basis zu legen.

Wie schwierig das ist, zeigt sich allein schon beim Thema Globalisierung, bei der man allerorten den größten Änderungsbedarf zu sehen scheint. Von gestrafften Wertschöpfungsketten ist da gerne die Rede, von mehr Regionalität, von einer Re-Nationalisierung der Lieferketten, von einem Zurückdrehen der internationalen Arbeitsteilung.

Da wirklich etwas zu ändern, mag noch relativ einfach sein, wenn es darum geht, etwa die Produktion von Medikamenten, Wirkstoffen oder Schutzmasken aus Ländern wie China zurückzuholen. Das ist aber wohl weitaus schwieriger bei komplexen Waren, die aus tausenden von Einzelteilen bestehen. Wie schwierig, davon bekommt man allenfalls eine Ahnung, wenn man etwa liest, dass der südkoreanische Elektronik-Konzern Samsung nicht weniger als 2.500 Zulieferer aus einem Dutzend Länder in aller Welt braucht, um eines seiner Smartphones zusammenzubauen.

Die Herausforderung ist nicht nur bei Samsung groß, das Rad der internationalen Arbeitsteilung zurückzuschrauben, deren Verletzlichkeit Corona so deutlich wie nie etwas zuvor gezeigt hat. Es wird heikel sein, diese Globalisierung der Produktion auf neue Beine zu stellen und nach anderen Mustern zu organisieren. Es wird darum gehen, wie man sich vor allem in Europa weniger abhängig macht von Ländern wie China. Und es wird darum gehen, wie sich Unternehmen weniger abhängig machen von Zulieferern.

Die vergangenen Jahre kannten nur eine Richtung -auslagern, aufteilen, globalisieren. Wirtschaftsexperten wissen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, diesen Geist wieder in die Flasche zurückzubekommen. "Man wird das System nicht grundlegend verändern", sagte etwa dieser Tage der Ökonom Mathias Binswanger in einem Interview. "Viele Produkte sind heute so komplex, hoch spezialisiert und in globale Wertschöpfungsketten involviert, die kann man gar nicht zur Gänze lokal produzieren."

Da nimmt nicht Wunder, dass man vielerorts die Globalisierung für das "Bauernopfer" in der Diskussion über Schuld oder Unschuld in einer weltweiten Krise wie Corona hält. Während die einen sich am liebsten in eine möglichst weitreichende Autarkie hinter geschlossenen Grenzen verschanzen möchten, sagen die anderen auf die Frage, ob die Globalisierung eingeschränkt werden muss: "Die Antwort heißt eindeutig nein." Und man hat gute Gründe dafür, war es doch die internationale Arbeitsteilung in den vergangenen Jahrzehnten, von der wir, alles in allem betrachtet, in aller Welt gut gelebt haben und die mehr Menschen als je zuvor einen höheren Lebensstandard, Arbeit und sichere Ernährung zu günstigen Preisen ermöglicht hat.

Das gilt gerade auch für Österreich. Unser Land erzielt mehr als die Hälfte der wirtschaftlichen Wertschöpfung im Ausland und lebt wie kaum ein anderer Staat vom Export. Gerade für so ein Land wäre es schlicht eine Katastrophe, wenn international das Dichtmachen der Grenzen die Antwort wäre auf die Corona-Krise und die Abhängigkeiten, die sich zeigten.

Dennoch gilt es einen Weg zu finden, um sich aus der in vielen Bereichen erdrückenden Abhängigkeit von anderen Staaten zu lösen. Mehr Unabhängigkeit und die Resilienz der Wirtschaft werden wohl eine neue Rolle spielen - und Lagerhaltung auch. Auch um den Preis, dass viele Produkte dann wohl teurer sein werden. Der Weg, den es zu finden gilt, verlangt Behutsamkeit, Umsicht und viel Augenmaß. Radikale Rezepte, ideologisch gefärbte zumal, sind sicherlich eine schlechte Antwort. Nichts wäre schlimmer als eine weitere Stärkung des schon jetzt überall aufflammenden Nationalismus.

Im Mittelpunkt einer sinnvollen Strategie für die Zukunft muss stehen, dass Unternehmen, Staaten, Institutionen und auch die Menschen selbst Verantwortung übernehmen, zusammenarbeiten und gemeinsam die Vernetzung nutzen - zum Wohle aller.

Ob das gelingt, steht in den Sternen, tut man sich allein innerhalb der EU schon schwer diese Ziele umzusetzen.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. April 2020

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