Donnerstag, 16. April 2020

Die Rückkehr zur Normalität



Dienstag dieser Woche hat sich Österreich zur Rückkehr in die Normalität aufgemacht. Die ersten Geschäfte haben wieder geöffnet, nach und nach sollen Schulen, Gastronomie und Hotels folgen. Immerhin. Zur Rückkehr zur Normalität aufgemacht haben sich auch die Politik und das gesellschaftliche Leben. Nach Wochen des Stillhaltens ist allerorten Unruhe und Drängen zu spüren und es kehren Streit, Unmutsäußerungen und Auseinandersetzungen zurück.

Die Normalität drängt sich nach Wochen des Stillstands, der Rücksichtnahme und des nationalen Schulterschlusses nicht nur in der Politik, sondern auch in der Gesellschaft wieder in den Alltag. Der Ton wird wieder rauer, schärfer und auch untergriffiger. In Leserbriefen sind wieder Begriffe wie Frechheit und Sauerei zu lesen. In den Sozialen Medien geben all die Gehässigen wieder Laut. Viele von ihnen arbeiten sich nun wieder vorzugsweise am Bundeskanzler ab und twittern spöttisch von ihm als "Heiland" und davon, dass man "dem eigenen Dackel beibringen" werde, "die Pfoten zum Gebet zu falten, um dafür zu danken, dass wir einen Kanzler haben, der über Virologen und auch Wirtschaftsexperten erhaben ist".

Zu den Zeichen für die Rückkehr zur Normalität gehören wohl auch die vielen angekündigten Klagen und Beschwerden gegen die Gesetze und Verordnungen, die in den vergangenen Wochen erlassen wurden. Man zweifelt die Rechtmäßigkeit der verordneten Freiheitsbeschränkungen an, man stößt sich daran, dass "im Covid-19-Gesetz ein Minister als Organ der Exekutive im Ergebnis per Verordnung die Geltung eines Gesetzes aussetzen kann" und man macht sich Sorgen um Grundrechte.

Auch in der Politik wurde der Ton in den vergangenen Wochen wieder schärfer. Die Opposition fühlte sich übergangen und setzte alles daran, sich zumindest in Kontrollfunktionen hineinzureklamieren. Man nutzte die Hilfspakete, sich als Anwalt der eigenen Klientel -seien es die Arbeitnehmer, seien es Unternehmen -zu profilieren. Abgeordnete von Neos arbeiteten sich an der Wirtschaftskammer und ihrer Rolle bei der Abwicklung der Staatshilfe ab. Sozialdemokratische Abgeordnete versuchten, dem Kanzler die Verantwortung dafür zuzuschieben, dass die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnalzten. Es kamen in den vergangenen Tagen aber auch wieder Themen in den Vordergrund, die ganz im Schatten von Corona standen. Vizekanzler Kogler redete von einer Vermögenssteuer zur Finanzierung der Krisen-Ausgaben, die Umweltministerin brachte die ökologische Steuerreform aufs Tapet und manch Roter machte Staatsbeteiligungen zum Thema, die Höhe des Arbeitslosengeldes und das Grundeinkommen.

"Die erste Phase einer politischen Geschlossenheit ist vorbei", hieß es dieser Tage in einer Zeitung. "Der Gegensatz von Regierung und Opposition beginnt aufzuleben, die Phase der Profilierung beginnt." Das gibt eine Ahnung von dem, was noch kommen wird. Und wohl auch eine Ahnung davon, dass auch nach Corona nichts anders sein wird als vorher.

Man kann vieles von dem, was sich jetzt auf dem Weg zur Rückkehr in die Normalität wieder immer öfter zeigt, angesichts der Situation in der wir uns befinden, als ungehörig empfinden. Notwendig und Teil des Lebens und des Systems ist es wohl allemal. Und möglich sein muss es auch. Eine Gesellschaft wie die unsere lebt von der Diskussionen, vom Diskurs und von der Auseinandersetzung. Auch in Situationen, wie wir sie rund um Corona erleben. Unterschiedliche Meinungen sind es, die uns immer weitergebracht haben und auch in Zukunft weiterbringen werden.

Wie vor Corona und wohl auch wie in Zukunft bleibt aber die Frage, in welcher Form dieser Diskurs geführt werden sollte. So untergriffig wie in den eingangs zitierten Tweets? Oder eher doch so, wie rund um die missglückte Oster-Ausgangsverordnung des Gesundheitsministers, mit Verständnis und Zurückhaltung?

Die Mehrheit im Land wünscht sich wohl Letzteres, schließlich geht es so auch. Das dient dem Zusammenhalt und dem Fortkommen der Gesellschaft wohl sehr viel mehr als die Art von Streitkultur, die über Jahrzehnte eingerissen ist in diesem Land und deren Rückkehr sich jetzt wieder abzeichnet. Und das könnte sich durchaus bewähren bei all dem, was auf unser Land noch zukommen wird.


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. April 2020

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