Donnerstag, 2. April 2020

Die Welt neben Corona



"Bei der Caritas laufen die Telefone heiß" war in diesen Tagen zu lesen. Es gehe um Menschen, die schon vor der Krise in einer schwierigen Lage gewesen seien und die die Krise nun voll treffe.

Corona ist nicht nur ein Virus und Covid-19 nicht nur eine Krankheit. Und sie sind nicht nur für Menschen gefährlich, die davon direkt oder indirekt betroffen sind. Die Sorgen und die Angst verdrängen, dass es auch eine Welt neben Corona gibt. Menschen und Einrichtungen gehören dazu, die schon vor Ausbruch der Pandemie Probleme hatten und auf Hilfe und Unterstützung angewiesen waren, aber auch Krisenherde, die die Weltpolitik über Jahrzehnte beschäftigen. Sie sind mit Corona nicht verschwunden. Sie sind vielleicht nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein, aber sie sind immer noch da. Denn die Welt dreht sich weiter und es wäre gefährlich das zu negieren.

Corona scheint in diesen Tagen und Wochen alles zu verschlingen und alles zu verdrängen. Das mag verständlich sein angesichts der pandemischen Bedrohung, die sich in rasender Geschwindigkeit rund um die Welt breitmacht. Auch, dass die Sorgen um das persönliche Fortkommen im Vordergrund stehen. Und auch, dass man sich, nachdem man genug Klopapier und Germ gehamstert hat, fürs eigene Ego glaubt etwas Sicherheit verschafft zu haben.

Man sollte aber in diesen bedrückenden Wochen die Welt neben Corona nicht außer Acht lassen, mit all ihren Problemen, mit all ihren ungelösten Fragen und mit all ihren Konflikten. Gefährliche Situationen können sich weiterentwickeln, ungelöste Situationen zu noch größeren Schwierigkeiten führen und Gefahren noch größer werden.

Gerade in dieser Situation ist man gefordert, auch nicht auf die zu vergessen, die mit einem Mal in der aktuellen Stimmungslage kein Gehör mehr finden mit ihren Nöten, mit ihren Problemen und mit ihren Sorgen. Sie hatten oft die Probleme schon vor Corona und sie haben sie mit Corona erst recht. Und sie harrten oft schon vor Corona mitunter jahre-oder gar jahrzehntelang einer Lösung und tun das jetzt erst recht. Dass Corona und der Bekämpfung des Virus jetzt alles untergeordnet ist, ist nachvollziehbar und ohne Alternative. Aber es gibt, das sollte nicht außer Acht gelassen werden, auch ein Leben neben Corona. So wie es auch ein Leben vor Corona gegeben hat und so wie es auch ein Leben nach Corona geben wird.

"Stell dir vor es ist schlimm -und keiner schaut hin" schrieb kürzlich eine deutsche Zeitung. "Während der Kampf gegen Corona alle Kräfte bündelt, entwickeln sich Krisen und Konflikte weiter, denen wir ansonsten viel Aufmerksamkeit widmen würden, die aber keineswegs weniger gefährlich sind, nur weil niemand hinschaut." Der Syrische Bürgerkrieg wird genannt und die über eine Million Menschen, die in türkischen Flüchtlingslagern an der Grenze zu Syrien leben. Die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern wird angeführt. Man bringt die militärischen Machtspiele Nordkoreas in Erinnerung, hat doch Kim Jong-un gerade in der Vorwoche Raketenwerfer getestet und man verweist auf das iranische Atomprogramm, über das trotz Corona gestritten wird. US-Präsident Trump treibt trotz der Not im eigenen Land seine weltpolitischen Ziele voran. Und auch Wladimir Putin lässt sich von Corona nicht von seiner politischen Agenda abbringen. Allenfalls versteht er sie mit Hilfstransporten oder Auftritten in einem Schutzanzug für sich zu nutzen. Und gar nicht zu reden vom ungarischen Staatschef Viktor Orbán der Corona nutzte, um in unserem Nachbarland die Macht an sich zu reißen.

Die Welt dreht sich weiter. Auch in diesen Tagen. Auch in Österreich. Die Sozialthemen etwa verschwinden auch hier nicht, weil jetzt niemand darüber redet und auch nicht die Bildungsthemen und viele andere. Man hat Verständnis, wenn sie jetzt im Hintergrund stehen. Noch, sei hinzugefügt. Die aufflammende Diskussion um die Grundrechte, die in der Coronabekämpfung möglicherweise beschnitten werden sollen, zeigt, dass sich andere Themen wieder ihren Platz zurückholen. Da formiert sich Widerstand im Land.

Könnte durchaus sein, dass damit die Wende in der Geschlossenheit im Kampf gegen Corona eingeleitet wird. In Deutschland wird inzwischen eine Frage diskutiert, die man hierzulande noch meist vermeidet: "Alle Macht dem Virus?"


Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. April 2020

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