Donnerstag, 15. April 2021

"Familie" ohne Alternative

"Buberlpartie einmal anders. Über Haider und seine Buberln haben wir noch gelacht. Und jetzt bei uns. Respektlos, wenn man die Chats liest." Die Krise der Türkisen hat jetzt auch den Chatverkehr Ihres Kolumnisten erreicht. Ein Erz-ÖVPler, wie man wohl jene nennt, die sich seit Jahrzehnten von nichts und niemanden erschüttern lassen wenn es um ihre Partei geht, lässt tief in seine Seele blicken. Er ist nicht der einzige türkis-schwarze Parteigänger, bei dem sich in diesen Tagen Entsetzen breit macht und Verärgerung. Da ist kaum mehr was von Verteidigungsätzen für den Kanzler und seine Leute zu hören. Da macht man sich fast nur mehr Sorgen, wie das wohl weitergehen wird mit dem Kanzler und der Regierung.

Die Schmid-Chatprotokolle haben das Zeug dazu, dereinst als ein "Game-Changer" in der heimischen Innenpolitik und in den Karrieren von Kurz und seiner "Familie" gesehen zu werden, um einen vom Kanzler gerne eingesetzten Begriff zu verwenden. Die Art und Weise wie und der Ton, in dem die Chats geschrieben sind, die Wahl der Emojis, mit denen man darin die Gefühlswelt ausdrückt, das offene Geschacher, die Verächtlichmachung katholischer Würdenträger und der Hass, der dabei zu spüren ist -das ist eine neue Qualität, die jetzt auch bei vielen Kurz-Getreuen in der Wählerschaft für Ärger sorgt.

"Und jetzt bei uns. Respektlos, wenn man die Chats liest." Die Mischung beginnt toxisch zu werden für Kurz und die Seinen, zumal dann, wenn man in den Ländern hört und auch beobachtet, wie sich die türkis-schwarzen Landeschefs in den vergangenen Monaten wieder emanzipiert haben und wie groß der Groll dort zuweilen ist. Und wenn man verfolgt, wie in den Umfragen die Werte sinken, zumal jene, in denen es um Vertrauen geht.

Was die Türkisen bislang zu ihrer Verteidigung vorzubringen hatten oder dafür, um Vertrauen zurückzugewinnen oder gar Zweifel zu beseitigen, ist schwach. Blümels nach wie vor arrogante Auftritte in den Medien und auch nicht die Versuche, die politische Konkurrenz anzupatzen, weil auch die alles andere als weiße Westen hat, wenn es um Postenschacher und ähnliche Dinge geht, sind geeignet, die Partei-Yacht wieder in ruhigere Gewässer zu führen.

Und auch nicht Auftritte wie jener von Klubobmann Wöginger am vergangenen Samstag im Ö1 Mittagsjournal. Dort bot der wackere "Gust", wie ihn seine Freunde nennen, das Bild eines Mannes, der selbst knietief im Dreck steht und wie ein kleines Kind nichts anders im Sinn hat, als mit dem Kübel in seiner Hand die ganze Umgebung mit diesem Dreck anzuschütten. "Bundeskanzler Kern war Vorstand im Verbund und hat später die ÖBB geführt." Drozda sei in eine Wohnbaugesellschaft gewechselt und Ostermayr in eine Soziale Wohnbaugesellschaft, die über die Commerzialbank Mattersburg gerade 70 Millionen Euro in den Sand gesetzt habe. Dazu die "Milliardenverluste" in der Verstaatlichten "unter SPÖ-Herrschaft". Und auch den FP-ler Sidlo "hat uns nicht der Heilige Geist" in den Vorstand der Casinos Austria gesendet. Keine Antwort, ohne nicht Solcherlei einzuflechten.

Wöginger hat ja nicht unrecht, in der Sache bringt das der ÖVP wohl nichts. Dennoch haben die ÖVP respektive Kurz und seine "Familie" trotz all dem Getöse, das in diesen Tagen aus allen Ecken kommt, nicht wirklich Anlass nervös zu werden. Die Opposition schafft es nicht, aus all den Steilvorlagen, um ein Bild aus der Fußballersprache zu bemühen, einen Erfolg zu machen. Nicht die SPÖ, die die Parteivorsitzende, ohnehin nicht mit so etwas wie einem Zug zum Tor gesegnet, verhungern lässt. Auch nicht die Freiheitlichen, vor denen sich eine Zerreißprobe aufbaut, weil der Graben zwischen Kickl und Hofer immer tiefer wird. Und erst recht nicht die NEOS, deren zuweilen originelles, aber zahnloses Gebell kein Gehör findet bei den Leuten.

Und auch innerhalb der ÖVP - das vor allem - ist weit und breit keine Alternative zu Kurz und seiner "Familie" zu sehen.

"Österreich wird in diesen Tagen bis zur Kenntlichkeit" enthüllt, schrieb Andreas Koller in den "Salzburger Nachrichten". Er hat wohl recht damit. Dieser Satz sollte freilich nicht allein auf die Politik beschränkt gesehen werden. Denn die Politik spiegelt nichts als die Volksseele in all ihren Facetten wider. Niemand in diesem Land sind Interventionen, Mauscheleien und Sondervereinbarungen fremd, wenn es um das eigene Fortkommen geht. Um Jobs, um Wohnungen und um vieles andere mehr. Gut ist das nicht. In beiden Fällen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 15. April 2021

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