Donnerstag, 1. April 2021

Die Dinge sind dabei sich zu verschieben

Die Pandemie hinterlässt immer mehr Spuren in unserem Leben. Statt leichter zu werden, scheint alles immer noch mühsamer. Die Hoffnung darauf, dass es bald vorbei ist, wird eher kleiner als größer. Immer wieder verschiebt sich, was uns als Horizont in Aussicht gestellt wird. Immer neue Hiobsbotschaften vom Virus, immer neue Gefahren, immer neue Hoppalas und Probleme. Und zuletzt wieder stark wachsende Sorgen - das vor allem.

Die Folgen werden immer deutlicher sichtbar. Kinder und Jugendliche die leiden, viele Unternehmer, die um ihre Zukunft bangen, und Arbeitnehmer, die um ihren Arbeitsplatz zittern, wenn sie ihn denn überhaupt noch haben. Die Arbeitslosigkeit hat Rekordniveau erreicht. So viele Langzeitarbeitslose gab es noch kaum jemals in der Geschichte des Landes. Der Schuldenberg der öffentlichen Hand wird immer größer. Und die Sorgen wachsen, dass "wir uns ein riesiges Armutsproblem züchten", wie Markus Marterbauer, Leiter der Abteilung Wirtschaft in der Arbeiterkammer formuliert.

Überall wird spürbar, dass das, was wir seit einem Jahr erleben, mehr ist als eine Krise, die schnell vorbei ist.

Aber es gibt auch im positiven Sinn Bemerkenswertes, das viel zu kurz kommt zwischen all den Sorgen um die Zukunft und dem Streit um die Corona-Politik, die Impfungen und die Lockdowns und all das andere, was uns zunehmend zur Last wird. Der Sozialstaat, der derzeit gefordert ist wie wohl noch nie, und der seine schärfste Bewährungsprobe seit Jahrzehnten durchmacht, funktioniert. Das Sozialsystem hält. Vorerst, sollte man wohl hinzufügen, denkt man an das, was noch kommen könnte. Man erkennt die Bedeutung und man erkennt auch den Wert halbwegs solider Staatsfinanzen, die Spielraum geben.

Denn die Dinge sind gerade dabei, sich krass zu verschieben. In den vergangenen Monaten mussten auch viele von denen im Sozialstaat Unterschlupf suchen, die oft nur abfällige Worte dafür übrig hatten, die über die hohe Abgabenbelastung klagten und die sich eher ausgenommen als behütet fühlten. Die sich damit brüsteten, den Staat zu erhalten und die -je nach Persönlichkeitsstruktur -ihr Selbstbewusstsein oder ihren Ärger damit speisten, dass sie davon ausgingen, dass sie mehr in die staatlichen Kassen einzahlten als sie zurückbekommen. Und die nie im Entferntesten dran dachten, jemals in dem Maße wie derzeit auf Hilfen des Staates angewiesen zu sein. Jetzt brauchen auch viele Unternehmer Unterstützung und auch viele Gutverdiener, auch in besten Jobs.

Längst schlägt sich das auch in den öffentlichen Kassen und in den Zahlen nieder. Was noch vor einem Jahr Gültigkeit hatte, stimmt nun nicht mehr. Nur noch 40 Prozent der Österreicherinnen und Österreich sind im System, in und von dem wir leben, Nettozahler, hat Agenda Austria herausgefunden. Nur mehr 40 Prozent zahlen also mehr ein, als sie herausbekommen. Was nichts anderes heißt, als dass heute 60 Prozent mehr vom Staat bekommen, als sie einzahlen. Sechs von zehn Österreicherinnen und Österreichern würde es also schlecht oder zumindest schlechter gehen, wenn nicht die 40 Prozent mehr einzahlten.

Vor der Krise, vor einem Jahr also, war das noch ganz anders. Da zahlten 73 Prozent der Österreicher mehr in den Staat ein, als sie bekamen. Nun sind es nur noch 55 Prozent, und wenn man die Sachleistungen wie Bildungs-und Gesundheitskosten berücksichtigt, eben nur mehr die 40 Prozent.

Alleine die Sozialquote, also der Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung, hat ein Rekordhoch von mittlerweile 34 Prozent erreicht. Die Sozialausgaben machen inzwischen jährlich an die 110 Milliarden Euro aus.

Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Auch wenn gerade die Pandemie zeigt, dass die Umverteilung Sinn macht und wirkungsvoll ist, bleiben viele Fragen offen. Wie lange kann man sich das leisten? Wie wird das alles einmal bezahlt? Und wie lange geht das, ohne dass die Nettozahler aufbegehren? "Die Agenda-Austria-Ökonomen fordern hier kreative Lösungen statt der ewigen Leier von zusätzlichen Steuern", schreibt die "Presse". Es gehe um Treffsicherheit und um Effizienz. Das vor allem. Und nicht um höhere Steuersätze und auch nicht um die Besteuerung von Vermögen oder Erbe.

Das freilich wollen viele in Österreich nicht recht hören. Vor allem nicht die, die zu den Nettoempfängern gehören.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 1. April 2021

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