Donnerstag, 22. April 2021

Risiko und Risiko

Die Corona-Pandemie und erst recht die Impfstoffe haben das Risikobewusstsein vieler Menschen nicht geschärft, sondern erst recht durcheinandergebracht. Bei manchen völlig. Während viele in Panik verfallen, weil bei AstraZeneca, aber auch bei anderen Impfstoffen bei einer Million Impfungen vier, fünf, sechs oder sieben Fälle von Thrombosen aufgetreten sind, schluckt man weiterhin täglich die Pille, die erwiesenermaßen 500 bis 1.200 von einer Million Frauen Blutgerinnsel beschert oder zündet sich bei hitzigen Diskussionen darüber vielleicht gar auch noch gerne ein Zigaretterl an, und denkt sich nichts dabei, dass das bei 1.800 von einer Millionen Raucherinnen und Rauchern zu Thrombosen führt.

Da ist schwer zu verstehen, wenn Leute bei Impfterminen umkehren, wenn sie sehen, dass es nur AstraZeneca gibt, oder dass sie sich gleich nicht zur Impfung anmelden, obwohl die Risken in anderen Zusammenhängen meist um ein Vielfaches größer sind. Genauso wie auf der anderen Seite schwer zu verstehen ist, dass Woche für Woche tausende Menschen in vielen Städten Europas gegen die Lockdowns und als die anderen Maßnahmen demonstrieren, obwohl das Risiko an Covid und damit möglicherweise auch an allen seinen Folgen zu leiden zu haben, um ein Vielfaches größer ist, als die paar tausendstel Promille, derentwegen viele vor Impfstoffen zittern. Vollends absurd freilich wird es dann, wenn ebendiese Leute in ihren krausen Argumentationen dann allen Ernstes über AstraZeneca und Co herfallen.

Wissenschaftler scheinen machtlos gegen diese Ignoranz. Gegen die eine wie gegen die andere. Dass die Infektionssterblichkeit von Covid-19 im Mittel bei etwa 0,7 Prozent liegt, vermag nicht zu beeindrucken. Dabei bedeutet das nichts anderes, als dass einer von 140 Infizierten stirbt. Für Experten wie dem Molekularbiologen und Coronamythen-Jäger Martin Moder, einem breiteren Publikum als einer der Science Busters aus dem Fernsehen bekannt, ist klar, dass nicht zu impfen "deutlich mehr Menschen gefährdet und eine trockene Kosten-Nutzen-Rechnung nach wie vor stark für die Impfung spricht".

Dass das Risikobewusstsein so auseinanderdriftet, hat Gründe. Die Fülle an Daten, die einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sind, war noch nie so groß. Und sie kommt auch in die Hände von Leuten, die damit nicht umgehen können und die sie nicht einzuordnen vermögen, die aber dennoch keine Scheu haben, das trotzdem zu tun. Tausende und abertausende selbsternannte Experten zimmern sich aus all den Informationen ihre persönlichen Wahrheiten zusammen oder biegen sich das Zahlengeflecht zurecht, um ihre Ansichten, Meinungen und Thesen zu stützen. Medien und natürlich auch die Politik mischen in diesem pseudowissenschaftlichen Tohuwabohu selbstverständlich eifrig und zuweilen hemmungslos mit, spitzen zu und schärfen nach -ganz wie sie glauben, dass es ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen dienen könnte.

Da nimmt nicht Wunder, dass vielen jedes Gespür für vernunftbasierte Risikoabwägung abhanden gekommen ist, wie Journalisten wie Timo Küntzle meinen. "Politik und Medien schaffen ein hysterisches Stimmungsbild, bei dem jedes Risiko, unabhängig von der Größe, gleich bewertet wird." Er bringt damit auch die Verbraucherschützer und die Umwelt-NGOs in Zusammenhang und hat nicht unrecht damit. Sie hätten seit Jahrzehnten minimale Rest-Risiken zu fetten Schlagzeilen aufgeblasen, um gierige Journalisten damit zu verführen und Aufmerksamkeit zu generieren. "Dabei starren wir mit Scheuklappen auf das Risiko in Stecknadelgröße und übersehen das Risiko von der Größe eines Heuhaufens."

In Wirtschaftszweigen wie der Landwirtschaft leidet man seit Jahren darunter. Längst ist dieses Spiel dort dabei, nicht nur die Bauern, sondern die Selbstversorgung Europas zu gefährden. Ohne jede Rücksicht.

In der Pandemiebekämpfung geht es freilich um noch mehr. Die verantwortlichen Stellen in Europa und auch in Österreich haben das erkannt und lassen sich nicht von noch so fetten Schlagzeilen und von noch so mächtigen Politikern ins Bockshorn jagen, und auch nicht von den Demonstranten auf den Straßen. Und schon gar nicht von den zahllosen "Experten", die außer den Anführungszeichen nichts verdient haben.

Wenn es in der derzeitigen Situation etwas Tröstliches gibt, dann gehört das dazu, auf jeden Fall.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. April 2021

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