Donnerstag, 29. April 2021

Der Keil in der Gesellschaft

Mit einer missratenen Youtube-Aktion, mit der sie auf ihre schwierige Situation in der Corona-Zeit im stillgelegten Kulturbetrieb mit all seinen beschränkten Auftrittsmöglichkeiten unter dem Hashtag #allesdichtmachen aufmerksam machen wollten, haben jetzt einmal die Schauspieler einen Shitstorm abgekriegt, der sich gewaschen hat, und landeten im Eck der Coronaleugner und Neonazis. Dabei zählen sie normalerweise zu jener Gruppe, die in der Regel weiß, was gut und was schlecht ist, was richtig oder was falsch, was zu tun oder was zu lassen ist. Nun wurden sie von ihresgleichen auf allen Kanälen niedergemacht und erlebten, was so viele Leute längst verbittert, Keile in die Gesellschaft treibt und zu einer politischen Herausforderung geworden ist, auf die es noch keine wirksame Antwort gibt.

Ein bisschen links, ein bisschen liberal, meist ohne darüber lange Diskussionen zuzulassen, meist von oben herab und meist ohne jeden Millimeter Toleranz geben Medienmenschen und Intellektuelle und alle, die sich dafür und für etwas Besseres halten, zu schier allen Themen die Meinung vor, die sich zuweilen schnell in regelrechte Denk-und Thematisierungsverbote auswachsen. Sei es in der Politik, Religion, in der Wirtschaft. In der Migrationspolitik, bei Energiefragen wie Atomkraft, bei Gentechnik und der Landwirtschaft sowieso. In diesem Milieu hat man immer und überall Ideen und Vorschläge und weiß immer besser, was zu machen ist, ohne überhaupt gefragt zu werden. Man nimmt sich ungefragt die Deutungshoheit in Sachen Moral und Richtigkeit. Wer sich dagegen stellt, wird ohne langes Federlesen gerne an den Pranger gestellt, ohne auch nur den Funken einer Chance zu haben, sich zu wehren. Als gebe es nur schwarz oder weiß, nur gut oder schlecht, nur richtig oder falsch. Diese Leute erzeugen damit in allen Gesellschaftsschichten Beleidigte und Frustrierte sonder Zahl und nicht selten Gegenwehr und Ablehnung, die inzwischen zu einem gesellschaftlichen und politischen Problem geworden ist.

Ausgerechnet der deutschen Paradelinken Sarah Wagenknecht, in der DDR sozialisiert und jahrelang Chefin der deutschen Partei "Die Linken", gelingt in ihrem neuen Buch "Die Selbstgerechten", was so viele nicht schaffen, die sich erdrückt fühlen von all dem, was sie für richtig halten sollen. Seitenweise liefert sie Argumente und Beispiele, die die Situation

beschreiben, unter der so viele leiden. "Jeder Satz ein Treffer", schreibt eine Zeitung und zitiert Sätze wie: "Das Grundproblem ist die Haltung: Wer nicht für mich ist, ist kein anders denkender, sondern ein schlechter Mensch." Die "Selbstgerechten" predigten eine offene, tolerante Gesellschaft, legten aber selbst im Umgang mit abweichenden Ansichten eine oft erschreckende Intoleranz an den Tag, die sich mit der äußersten Rechten durchaus messen kann, schreibt Wagenknecht. Liberal sei der "Lifestyle-Linke" nur im Dunstkreis seiner Filterblase, meint sie. "Diskontfleisch-Esser, Dieselautofahrer und Mallorca-Billigreisende sind ihm ein Graus. Er hält seine Privilegien für Tugenden, für moralische Überlegenheit".

Die deutsche Politikerin -und Ehefrau des einstigen SPD-und Linken-Chefs Oskar Lafontaine -trifft mit dem Buch einen Punkt. Dieses Klima, das durch diese "Selbstgerechten" etabliert wurde, treibt einen Keil in die Gesellschaft. Schnurgerade führt der Weg zu Frustrierten aller Art, zu Wutbürgern und Coronaleugnern, die keiner Diskussion zugänglich sind und jedes Vertrauen verloren haben.

Man lasse Vorbehalte gegen Wagenknecht auf der Seite und man verschanze sich auch nicht dahinter, dass sie vornehmlich Linke und nicht Liberale meint, und auch nicht dahinter, dass das allenfalls ein Thema der Linken oder der Grünen ist.

Denn das ist es mitnichten. Das Thema geht längst uns alle an. Es geht um den Umgang miteinander, um Respekt. Auch um Wertschätzung. Es ist hoch an der Zeit, wieder zu einer Gesprächskultur zurückzufinden, die allen Beteiligten Luft lässt und nicht auf Vernichtung und Abkanzelung aus ist.

Längst hat diese Spaltung, die von den "Selbstgerechten" auf allen Seiten ausgeht, die Mitte der Gesellschaft erreicht. Und längst ist dabei der Respekt verloren gegangen. Das vor allem. Inzwischen nicht nur hüben, sondern auch drüben. Und das ist nicht ganz unverständlich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. April 2021

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