Kurz, Kurz, Kurz. Seit mehr als einer Woche scheint sich das ganze Land am Ex-Kanzler abzuarbeiten. Da ist nichts mehr vom Strahlemann, von der Bewunderung und der Verehrung. Da ist jede Menge Häme dabei, Bosheit natürlich auch und Verachtung. Der Karikaturist Gerhard Haderer, der einen herzlosen Kurz schon überdimensional auf eine Wiener Hauswand malte und ihn oft süffisant als Heiland zeichnete, nahm diesmal bei der Darstellung des Heiligen Sebastian Anleihe und traf damit wohl am besten die Stimmung, die sich seit der Verkündung des "Seitentritts" im Land breitgemacht hat und die zum Sport, wenn man das so nennen mag, geworden ist -Sebastian Kurz, der sich, wie der Heilige in den zahllosen Darstellungen, entblößt und durchbohrt von Pfeilen, im Schmerz windet.
Man mag zu Kurz stehen, wie man will, man mag froh sein darüber, dass er nicht mehr Kanzler ist, man mag sich über das "System Kurz" alterieren, über die "Familie" und über die Politik-Kultur, die er etablierte. Man, respektive die Parteien im Land, aber auch die Politiker, sollte sich dennoch an der Nase nehmen, und prüfen, wie viel Kurz ihn ihnen steckt. Hat man nicht gerade dort oft neidvoll auf Kurz geschaut, wie er es schaffte die Volkspartei auf seine Linie zu bringen? Darauf, dass alles auf seine Person zugeschnitten und ausgerichtet war und er sich alle Durchgriffsrechte sichern konnte? Hat man nicht sogar oft versucht sein Konzept und seine Methoden zu kopieren. War man nicht neidisch auf all diese Perfektion? Sah man sich nicht leid, dass von den Landeshauptleuten und anderen Parteigranden bis hinunter zum Kassier in den Ortsgruppen alle in der Partei geschlossen hinter dem jungen Mann standen? Dass Wähler, Parteimitglieder und selbst hochrangige Funktionäre nicht lange Fragen, unangenehme gar, stellten? Dass sie ohne zu mucken allem folgten, was er sagte und verlangte? Eingeschworen und ausgerichtet auf alles, was von oben kam und damit steuerbar? Hat man sich nicht oft dabei selbst ertappt, wie angenehm und nachgerade toll so eine Einigkeit in der eigenen Partei wäre und so eine Geschlossenheit, die man auf Knopfdruck einsetzen kann?In den anderen Parteien findet man längst vieles davon auch. Kurz wirkte auch bei ihnen. Im öffentlichen Auftritt, in der Werbung, in den Corporate-Identity-und Marketing-Konzepten, in der Ausrichtung auf einzelne Personen bis hin zum Kleidungsstil. Auch die FPÖ und die NEOS sind auf eine einzige Person, den Parteiobmann, respektive die Parteiobfrau, zugeschnitten und von ihnen ausgerichtet. Man will gar nicht wissen, wie oft sich Pamela Rendi-Wagner in den vergangenen Monaten gedacht hat, ach, hätte ich meine SPÖ doch auch so auf Linie wie Kurz seine Volkspartei. Selbst Werner Kogler hat die Grünen in der Hand, wie es vor gar nicht langer Zeit noch völlig undenkbar gewesen wäre. Die Kurz oft vorgehaltene Oberflächlichkeit machte sich überall breit. Und Meinungsumfragen bestimmten nicht nur bei den Türkisen die Politik und nicht die Programme. Inhaltliche Diskussionen gerieten unter die Räder. Überzeugungen verschwanden und Grundwerte. Bei allen Parteien.
Sebastian Kurz hat zur Perfektion gebracht, was schon vor seiner Zeit in politischen Kreisen als wünschenswert, notwendig, modern und zukunftsträchtig galt. Politik als Marketing-Strategie. Kurz war der, der all das konsequent wie niemand vor ihm und mit einer oft beängstigenden Präzision umsetzte. Beobachter konnten sich oft nur wundern, wie ihm seine Leute folgten und was er mit ihnen anstellen konnte. Es konnte einem darob nachgerade bange werden. Mit Schaudern erinnern sie sich an die Bilder von Parteitagen, in denen sich alle in türkis zeigten - bis hin zu in türkiser Tracht gewandeten Blasmusikkapellen.
Der Traum eines jeden Marketingsprofis ist nun wohl ein Alptraum geworden. Nicht nur für Kurz, sondern auch für die Volkspartei. Schade angesichts des politischen Talents von Kurz. Und schade auch angesichts seiner politischen Leistungen.
Und dennoch ist vielen nun leichter. Auch vielen in der Volkspartei. Das Korrektiv funktioniert doch auch dort. Spät, aber doch, haben offenbar die Landeshauptleute eingegriffen.
Das ist gut so. Auch für die politische Kultur im Land. Auch wenn die Volkspartei den jüngsten Umfragen zufolge wohl wieder eine Partei unter mehreren ist.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen