Donnerstag, 28. Oktober 2021

Blackout auf allen Linien

Anfang Oktober war es, als plötzlich nichts mehr ging. Trotz hektischem Tippen und Wischen auf den PCs und Handys dieser Welt war Facebook nicht erreichbar und auch nicht Instagram und WhatsApp. Mehr als sechs Stunden ging nichts mehr. 3,5 Milliarden Benutzer rund um den Globus waren betroffen. "Viele Menschen wurden schier in die Verzweiflung getrieben", hieß es in den Medien. Das alles nur, weil einem Facebook-Techniker in einer fernen Kleinstadt im Westen Kaliforniens ein Fehler bei der Netzwerkkonfiguration passierte, der sich nicht so schnell beheben ließ.

Selten wurde den Menschen rund um die Welt so drastisch vor Augen geführt, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen, und wie groß die Abhängigkeit. Von einer Sekunde auf die andere kann weg sein, was Tag für Tag selbstverständlich ist und worauf wir uns verlassen. Blind meist und ohne darüber nachzudenken, schon gar nicht über mögliche Folgen und Konsequenzen. Auf Dinge, die einfach da sind. Auf Facebook und seine Dienste, auf den Strom aus der Steckdose, auf das Wasser aus dem Wasserhahn, auf den Sprit an der Tankstelle, auf die jeden Tag gefüllten Regale in den Supermärkten, auf die Milch am Frühstückstisch, auf das Mehl zum Backen und auf das Schnitzel am Sonntag.

Beim Strom fürchtet man den Blackout, das plötzliche Zusammenbrechen der Versorgung. Erst unlängst meinte der Präsident der österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge in einem Interview, ein baldiger Blackout sei "schon in den nächsten Monaten sehr realistisch". Europaweit werde es immer kritischer, zu jedem Zeitpunkt genug Strom aufzubringen. Heuer schrammte Europa und damit auch Österreich schon zweimal knapp an einem Blackout vorbei.

Genau betrachtet drohen solche Blackouts aber in den unterschiedlichsten Formen überall. Seit Monaten etwa zeigte sich, wie brüchig die Lieferketten sind und wie sehr die Welt von Fernost und insbesondere von China abhängt. In der Autoindustrie stehen Bänder still, weil Bauteile fehlen. Es ist nichts anderes als eine Variante eines Blackouts. Heute bestellt und morgen geliefert ist nicht mehr selbstverständlich. In vielen Sparten gibt es inzwischen zum Teil sehr lange Lieferzeiten. Mittlerweile müssen sich sogar schon die Kinder Sorgen machen, ob denn das Christkind wirklich bringt, was sie sich wünschen.

Achselzuckend nehmen wir all das zur Kenntnis. Mit Ärger vielleicht auch. Aber sonst? Wird schon nicht so schlimm werden. Irgendwer wird es schon richten. Wir werden schon zurechtkommen. Dass kaum jemand reagiert auf all die immer eindringlicheren Warnungen und darauf, wie uns die Abhängigkeit von fernen Weltregionen vor Augen geführt wird, will so gar nicht zur Versicherungsmentalität passen, der sonst Herr und Frau Österreicher oft so inbrünstig frönen, um nichts dem Zufall zu überlassen und vor jeder Überraschung gefeit sein zu wollen.

Sehr viel eher passt das Verhalten, das wir an den Tag legen, zur gerade in diesem Land so weit verbreiteten Versorgungsmentalität, die davon ausgeht, dass man für nichts selbst, sondern andere für alles und jedes zuständig sind. Der Staat, die Energieversorger, die Ölmultis, die Supermärkte, die Bauern.

Beteuerungen und Vorsätze, das ändern zu wollen und etwa die Eigenversorgung zu stärken, sind in akuten Krisensituation schnell ausgesprochen, bleiben aber vorübergehend. Immer. Auf der Jagd nach den günstigsten Preisen und Kosten ist alles schnell vergessen. Dass man sich nicht zuletzt damit selbst verkauft und nicht nur die Selbstständigkeit, sondern auch die Versorgungssicherheit, wird da im Handumdrehen vergessen und aus den Augen verloren.

Was uns einst eine ungeheure Angebotsfülle und günstige Preise bescherte und unseren Wohlstand schier grenzenlos wachsen ließ, ist längst in Abhängigkeit gemündet. Mangel und Knappheit sind mit einem Mal Thema. "Was lange kaum vorstellbar war, ist nun fast allgegenwärtig", schreibt die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit". In Haushalten, in den Geschäften, in der Wirtschaft und in der Industrie. Blackout auch da.

Die Bemühungen, dem vorzubeugen, bleiben überschaubar. "Wird schon wieder werden", sagt man allemal viel lieber.

Hoffentlich, möchte man hinzufügen. Wiewohl der Zweifel daran nie größer war.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. Oktober 2021

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1