Putin eskaliert in der Ukraine und wir haben keine Antwort. Das alles wäre ja noch zu akzeptieren, weil es in solchen dramatischen Situationen, wie wir sie jetzt erleben, wohl nie eine und schon gar keine einzige Antwort geben kann. Das Schlimme aber ist, dass es bei uns scheint, nicht einmal darum zu gehen, wirklich eine Antwort zu finden, eine Antwort, die zumindest ein stückweit Vertrauen erwecken könnte.
Da ist nichts von einem Ruck in Politik und Gesellschaft zu spüren, dass es jetzt eigentlich gelten sollte, zusammenzurücken und an einem Strang zu ziehen. Es ist nichts zu spüren vom vielbeschworenen nationalen Schulterschluss über alle Partei-und Ländergrenzen hinweg, um all die Krisen besser zu bewältigen, die uns jeden Tag tiefer hinunterziehen. Unbeeindruckt balgt sich die Politik, als ginge es wirklich nur darum, wer wen am besten und möglichst medienwirksam zum Gaudium des Publikums heruntermacht.Und alle machen mit. Den einen geht es darum, die Umweltministerin möglichst schlecht aussehen zu lassen, die anderen haben nichts anderes im Sinn als Nehammer und die ÖVP anzupatzen. Die meisten tun so, als gäbe es ganz einfache Rezepte, die nur umgesetzt müssen. Und allen geht es nur um Geld und Entschädigungen und die Sicherung des Standards der vergangenen Jahrzehnte, nicht aber um Strategien, wie wir in Krisensituationen wie der jetzigen wirklich leben können. Da ist viel zu wenig zu hören von möglichst nachhaltigen Antworten auf die handfesten Anforderungen einer Krise, wie wir sie derzeit erleben. Da ergeht man sich lieber in Streitereien auf Nebenschauplätzen, wie etwa Heizschwammerl oder Adventbeleuchtung, schüttet mit Geld lieber um sich, damit ja niemand spürt, dass Strom teuer geworden ist, und funkt möglichst herzige Bilder von Politikerinnen und Politikern in die Redaktionen, die zeigen sollen, wie besorgt man um seine Klientel ist.
Genau das ist man mit all dem freilich nicht. Eher das Gegenteil davon. Der Situation, vor der wir stehen, wird man damit kaum gerecht. Schon gar nicht, wenn im Vordergrund nicht die Sache, sondern - und das ist bei all den Diskussionen rund um die Krise und wie man mit ihr umgeht nicht zu übersehen - der politische Gegner steht. Man kann und muss die Regierung für ihre Krisenpolitik kritisieren, die ja nicht wirklich vertrauenerweckend ist, aber muss das Niveau, auf dem das geschieht, deswegen gleich so erbärmlich, beschämend und kleinkariert sein?
Keine Stunde nach Putins Drohrede am Mittwoch voriger Woche fragte der künftige SP-Vorsitzende in Oberösterreich, Michael Lindner, doch tatsächlich: "Gibt es von LH Stelzer und der ÖVP nach der Mobilmachung schon eine neue Evaluierung der Russland-Sanktionen oder knickt man weiter vor der FPÖ und den Rechten ein?"
Selbst Beate Meinl-Reisinger, sonst gerne in der Rolle der Jeanne d'Arc im Kampf gegen Alimentierung und Überversorgung, fordert Steuererleichterungen -und vergisst dabei offenbar, dass in diesem Land ohnehin weniger als die Hälfte der Menschen überhaupt Steuern zahlt.
Rund um den Gewerkschaft-Aktionstag Mitte September, an dem übrigens bemerkenswert wenig Menschen teilnahmen, war in einem Zeitungskommentar der Satz zu lesen, dass damit die Gewerkschaft zum "Widerstand gegen die Wirklichkeit" aufgerufen habe.
Diese Einschätzung hat etwas. Selbst der Wirtschaftsminister, gelernter Wissenschaftler, konnte sich nicht verkneifen, darauf aufmerksam zu machen, dass die Forderung "Preise runter" nichts als "Wunschdenken" sei, weil man nicht einfach den Zauberstab herausholen und die Preise senken könne. "Das ist so wie: Ich will keinen Regen haben."
Allerorten hat man den Eindruck, als mache sich eine fatale Fehleinschätzung der Wirklichkeit breit. Immer noch glauben viele, mit einer Geldspritze da und einer neuen Steuer dort sei alles wieder gut. Dabei ist die Lage wohl viel dramatischer, als alle glauben, und viel komplexer, als viele glauben machen wollen.
Vielerorts wachsen Unruhe und Sorge. Noch hinter vorgehaltener Hand. Von möglichen Diesel-und Gas-Engpässen ist die Rede, von einer gefährdeten Dünger-Produktion, von Betriebs-Stilllegungen und von vielem anderen mehr, was unser Leben nicht nur einschränken, sondern wirklich auf den Kopf stellen kann.
Das aber scheint Österreich bewältigen zu wollen wie immer - mit aussitzen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. September 2022
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