Donnerstag, 16. November 2023

Ade Vergangenheit

Der Nahe Osten brennt, die Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand. Auf einmal gibt es in Europa und auch bei uns wieder mit Hakenkreuzen beschmierte Häuser, brennt ein jüdischer Friedhof, gibt es lautstarke Demonstrationen gegen Israel, offenen Antisemitismus inklusive. Täglich neue Horrormeldungen. Und man mag gar nicht dran denken, was ist, wenn Trump wirklich zurückkommen und Putin gewinnen sollte.

Mit dem täglichen Wahnsinn zurechtzukommen ist schwierig geworden und es verwundert nicht, wenn sich viele Menschen einfach ausklinken, als gäbe es die Realität rundherum nicht. Was wir erleben, ist wohl nur der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die viele heute als Untergang der Nachkriegswelt verstehen. Einer Welt, in der es alles in allem lange und ziemlich zuverlässig aufwärts ging, in der sich die Supermächte auf ein erträgliches Nebeneinander verständigten. In der vieles, was immer sich durch die Geschichte zog, überwunden geglaubt war. Nie wieder Krieg, hieß es zumindest in Europa, nie wieder Faschismus. Und auch nie wieder Antisemitismus. Und nie wieder Unsicherheit über die Zukunft, sondern ein gemeinsames Grundverständnis, gemeinsame Regeln, an die sich zu halten man bereit war. Hüben wie drüben, da wie dort. Fragil oft und nicht immer unumstritten, aber stabil genug, um ein Gleichgewicht zu halten. Die Staaten der Welt schlossen Bündnisse, die getragen waren von der Idee, Vergangenes zu überwinden und für die Zukunft zu verhindern, und auch davon, sich voreinander zu schützen, oft sogar davon, an einer besseren Zukunft zu bauen. Die UNO, die EU gehörten dazu und viele andere auch. Man hatte eine Form gefunden, miteinander umzugehen. Alles in allem und immerhin.

Und heute? Die UNO ist zahn-und die EU orientierungslos wie nie zuvor, und an den Schalthebeln von Supermächten sitzen unberechenbare Despoten. Denen alles egal zu sein scheint, und denen niemand etwas entgegenzusetzen vermag. Die sich aus den internationalen Verträgen einfach verabschieden, die unsteuerbar sind und die sich nicht scheuen, Gewalt anzuwenden. Man muss sich wieder Sorgen machen und Angst haben. Um die Wirtschaft, um den Wohlstand, vor Kriegen und vor Terror sogar. So viel von dem, worauf man sich in den vergangenen Jahrzehnten verständigt hatte, scheint nichts mehr zu gelten. So viel scheint verloren. Jener Grundkonsens vor allem, den man sich nach dem Zweiten Weltkrieg rund um den Erdball mühsam erarbeitet hat, und auf dem der Fortschritt und der Wohlstand der vergangenen Jahrzehnte fußt. Einfach weg. Nicht alles vielleicht, aber doch sehr viel.

Die Welt und die internationale Ordnung sind Trümmerhaufen geworden, wo nichts mehr zu gelten scheint, was man mühsam ausverhandelt hat. Vom Übergang zu einer neuen Weltordnung ist die Rede. Nie hätte man noch vor wenigen Jahren geglaubt, dass die internationale Politik so schnell und so leichtfertig zurückfällt in Zeiten, die man längst überwunden glaubte. Wer hätte je gedacht, dass wir das erleben müssen, was wir nur von unseren Vorfahren kannten.

Freilich ist viel schiefgelaufen in den vergangenen Jahrzehnten, und das ist sicherlich auch mit dem in Zusammenhang zu bringen, was wir nun erleben müssen. Die Welt ist wieder hässlich geworden. So hässlich, wie man es nicht mehr glaubte, dass sie wieder hässlich werden könnte. Auch bei uns. Vielen wird bang dabei. Da wird gehetzt, geschimpft, gestritten und verunglimpft. Nicht wenigen freilich gefällt das. Es fügt sich in das, was schon in den vergangenen Jahren überall zu spüren war -nicht nur die Welt, auch unsere Gesellschaft hat den Kompass verloren.

Das ist eine enorme Herausforderung. Denn das hat vielleicht auch damit zu tun, dass man es möglichst vielen recht machen wollte. Damit, dass man sich in Randthemen verloren hat mit dem Ergebnis, dass man schlussendlich in Wirklichkeit alles vermasselt hat.

Wir alle sind gefordert, uns neu einzuordnen, geleitet und begleitet von einer Politik, die wieder Verantwortung übernimmt und Linie zeigt. Die sich den wirklichen Fragen stellen und nicht in Genderei, LGBTQI und Heißluftthemen wie Bargeld, Privatjet-Verbot, billigem Klassenkampf und dergleichen verliert. In der nicht alles zerredet und nichts mehr verstanden wird. Man hat den Leuten zu viel zugemutet und muss das zur Kenntnis nehmen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. November 2023

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