Donnerstag, 27. Juni 2024

Es geht um mehr als die „Leberkässemmel für zwischendurch“

In einer Bezirksstadt im Oberösterreichischen, mitten in einer Region, in die die Bauern vorwiegend von der Tierhaltung leben, macht demnächst der Metzger zu. Der letzte Metzger. Den Braten fürs Wochenende, die Würstel für die Kinder, die Leberkässemmel für zwischendurch und Vieles, Vieles andere gibt es demnächst in der kleinen Stadt nur mehr in den Supermärkten der großen Handelsketten. Mit Fleisch, mit Wurst, mit Leberkäse von irgendwo, mit ungleich schmälerem Angebot, herbeigebracht mit Lkw von weit her.

Wenn so ein Fleischhauer sein Geschäft für immer schließt, geht nicht nur ein Partner für die örtliche Landwirtschaft verloren. Da geht ein Nahversorger verloren, auf den man immer zählen konnte. Einer, bei dem man wusste, was man in die Taschen packte. Einer auf den man sich verlassen konnte, einer der bei Vereinsfesten auch noch am Samstag in der Nacht Bratwürstel lieferte, wenn‘s knapp wurde. Einer, der seine Wurzeln in der Region und der auch deren Geschmack geprägt hat. Der von und für die Region lebte, Arbeitsplätze schuf und Produkte, die dort erzeugt wurden zu wertvollen Nahrungsmitteln weiterverarbeitete und damit das schuf, was man regionale Wertschöpfung nennt. Kurzum mit so einem Metzger verschwindet ein Teil einer Kultur, die von regionalen Kreisläufen geprägt war.

Es ist wohl der Zug der Zeit, der der auch diesen Metzger überfahren hat. Die Gründe kann man vermuten - der wirtschaftliche Druck, die Bequemlichkeit der Kunden und ihr geändertes Kaufverhalten, ein Generationsproblem vielleicht. Vom Trend, regionale Produkte zu kaufen konnte er nicht mehr profitieren. Nicht so jedenfalls, dass die Jungen weitermachen wollten und eine Zukunft sahen.

Das Loch ist groß, das der Metzger hinterlässt. Solche Löcher werden immer größer.Handwerker fehlen allerorten. Der Installateur, den man schnell anrufen konnte, Tischler, Baufirmen, Bodenleger, Glaserer, Schneider und viele, viele andere. Und da ist noch gar nicht die Rede von den Arbeitsplätzen, die damit verloren gehen, von den Abgaben für die Gemeinde und von den Aufträgen, die anderen Unternehmen in der Region plötzlich fehlen.

Nicht erst die Pandemie zeigte die Bedeutung regionaler Wirtschaft und regionaler Wirtschaftskreisläufe auf, als augenscheinlich wurde, wie gut es ist, Angebot und Möglichkeiten direkt vor Ort zu haben und nicht irgendwo. Oder gar nur irgendwo im Internet.

Dabei geht es nicht nur um das Angebot. Regionale Wertschöpfung und regionale Wirtschaftskreisläufe und regionale Vielfalt können auch sehr viel dazu beitragen die Auswirkungen von Krisen zu dämpfen. Das bestätigt auch eine Studie von Eco Austria, die im Auftrag des Österreichischen Raiffeisenverbandes durchgeführt wurde. Die Wirtschaft von Regionen, die auf mehreren Standbeinen fußt, sei im Durchschnitt von negativen Entwicklungen weniger stark betroffen als in Regionen, die vorwiegend in einem Wirtschaftszweig stark spezialisiert sind, heißt es da. Regionale Wirtschaftskreisläufe seien weniger anfällig für globale Krisen und könnten schneller auf lokale Bedürfnisse und Herausforderungen reagieren. Im Klartext: Regionales Wirtschaften trägt zur Erhöhung der ökonomischen Widerstandsfähigkeit nicht nur der Region, sondern im ganzen Land bei.

An Bemühungen das auch umzusetzen, fehlt es nicht. Die Politik arbeitet seit Jahren daran. Und auch die Wirtschaft. Raiffeisen kann man dabei mit seiner Genossenschaftsidee und mit seiner Struktur als so etwas wie einen Archetypen sehen. Auch wenn viele Kritiker sich nicht genug darüber erregen können, dass Raiffeisen, wie sie gerne sagen, „überall die Finger drinnen hat“, ist nicht auszudenken, wenn es die Banken, die Lagerhäuser, die Milchverarbeiter und die vielen anderen Unternehmungen nicht gäbe im Land und vor allem auf dem Land. Auch wenn das zuweilen sehr schwierig ist und Anpassungen verlangt, die auch schmerzen können. Man denke nur an die mitunter heftigen Diskussionen, wenn es um die Schließung von Bankfilialen oder um Bankomat-Standorte geht.

Der „ökonomische Fußabdruck“ alleine von Raiffeisen aber spricht für sich und gibt eine Idee davon um wieviel es geht.  93.000 Arbeitsplätze sichert die Gruppe österreichweit, mehr als 13 Milliarden Euro beträgt der gesamtwirtschaftliche Beitrag und 3,7 Milliarden Euro führen die Raiffeisen-Unternehmungen zusammen an Steuern und Abgaben ab.

 Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. Juni 2024

Montag, 24. Juni 2024

Panik eines Ertrinkenden?


Das Theater rund um die Renaturierungsverordnung, die Europas Umwelt retten soll, war in den vergangenen Tagen ein Großes. Alle reden von der Umweltministerin, die von ihren Parteigängern mitunter gar zur so etwas wie einer Heiligen stilisiert wurde, während sie bei ihren Gegnern, die sie in der politischen Arena am Nasenring vorführte, zuweilen die niedrigsten Instinkte weckte. Aber niemand redet von der Volkspartei und davon, was sie schlecht gemacht hat und was sie hätte besser machen können. Am wenigsten die Volkspartei und ihre Proponenten selbst.

Die schimpfen lieber wie die Rohrspatzen, zerren die Umweltministerin vor den Kadi, schwänzen wie die sprichwörtlichen Schulbuben Veranstaltungen und stellen sich gar, wie der Kanzler höchstselbst, in Brüssel hin, um eine Ministerin der eigenen Regierung anzuschwärzen und damit das eigene Unvermögen gleichsam vor ganz Europa zu dokumentieren und sich nachgerade zu entblößen. 

Souverän ist anders.

Wie man es auch dreht und wendet – Verlierer in dem Match mit der Umweltministerin und im Match um die Renaturierungsverordnung ist die ÖVP. Da mögen die Parteigranden noch so viel lamentieren und Klagen einbringen. Sie haben es zu verantworten und damit zu leben. Sie, und damit ihre Partei, stehen als Bremser und Verweigerer da – just bei einem Thema, das für viele Menschen, zumal für viele junge Menschen, als das Zukunftsthema schlechthin gilt.

Rund um die Renaturierungsverordnung zeigte sich wieder einmal wie schwer sich die ÖVP mit „modernen“ Themen tut. Dabei hätte man durchaus nachvollziehbare Argumente und kann in vielen Bereichen auf eine beispielhafte Politik verweisen, die für ganz Europa vorbildlich ist. Der Bogen reicht von den Umweltprogrammen in der Landwirtschaft bis hin zu Nachhaltigkeitsinitiativen in den Wäldern, die ihresgleichen suchen.

Das alles freilich findet kaum Gehör, weil die ÖVP seit jeher in Umweltfragen ein massives Glaubwürdigkeitsproblem hat. Man steht in der Öffentlichkeit dennoch als die Partei da, die nichts für die Umwelt tun will und am liebsten jede Maßnahme, jedes neue Konzept blockiert und hintertreibt und der nichts anderes einfällt als über den Bürokratiewahnsinn zu lamentieren, wenn es heißt, dass angeblich 80 Prozent der Flächen in einem schlechten Zustands sind. Gar nicht zu reden davon, dass man zu allem Überfluss auch noch die Bauern und Forstwirte rebellisch macht, obwohl man noch gar nicht weiß, was die Verordnung in Österreich wirklich bedeuten wird.

Das alles hat zum einem mit schlampiger und oft auch schlechter Kommunikation zu tun, die an Überschriften hängenbleibt, die sich zu oft weigert in die Tiefe zu gehen und die sich oft lieber drüberschwindelt, statt belastbare Fakten zu liefern. Das hat aber vor allem damit zu tun, dass der Volkspartei in Sachen Umwelt in der breiten Öffentlichkeit keine Kompetenz zugestanden wird. Da rächt sich, dass es nie gelang, wenn es diese Versuche denn überhaupt gegeben hat, auf allen Ebenen Netzwerke vor allem in die Wissenschaft hinein und zu den NGO aufzubauen - zu jenen Netzwerken, die in vielen Analysen als einer der wichtigsten Gründe dafür genannt wurden, dass Umweltministerin ihren Coup tatsächlich landen konnte.

Es ist hoch an der Zeit für die ÖVP in sich zu gehen. Auch wenn man dazu neigt, sich das Ergebnis der EU-Wahlen schön zu reden und glaubt mit all den Klagen gegen die Umweltministerin Stimmen zu gewinnen. Für außenstehende Beobachter wirkt die Volkspartei in dem ganzen Streit wie ein in Panik geratener Ertrinkender der in seinem Kampf ums Überleben wild um sich schlägt. Da ist nur Hilflosigkeit.

Längst steht man wieder dort, wo man auch schon in den Jahren vor Sebastian Kurz gestanden ist. Die Volkspartei folgt keiner Idee mehr und lässt jede Vision missen. Es fehlt an Leuten mit Charisma und vor allem auch an Leuten die über die Parteigrenzen und die nächsten Wahltermine, kurzum, die über Trachtenjanker, Lederhose und Dirndl hinausschauen und sich mit der Welt auseinandersetzen, die sich rasant wie noch nie weiterentwickelt und neue Antworten braucht.

Man kann der Volkspartei freilich auch etwas zugutehalten – sie sorgt bei Themen wie der Renaturierung wenigstens noch für Diskussionen. Bei Parteien wie der SPÖ oder der FPÖ ist nicht einmal mehr das ein Thema.

Hans Gmeiner direkt, 24. Juni 2024

Donnerstag, 20. Juni 2024

Demokratie muss man auch aushalten

In Italien haben die Rechten gewonnen und in Frankreich, in den Niederlanden und in Österreich auch. Diese Wahlergebnisse bei den EU-Wahlen machen seither vielen Sorgen. Sorgen vor einem Rechtsruck nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Manche fürchten, dass "Europa kippt", wie das Nachrichtenmagazin "profil" formuliert, was wohl viele denken. Man fürchtet eine Machtverschiebung und einen Politikwechsel nicht nur in Österreich, sondern auch in ganz Europa. Viele machen sich diese Sorgen nicht nur wegen Themen wie Sozialpolitik, Minderheitenpolitik, Migration und Umweltpolitik, sondern um die Demokratie insgesamt.

Damit mögen sie durchaus recht haben und vieles ist nachvollziehbar. Was man in der Diskussion allerdings übersieht oder gar nicht sehen will -das, was die einen als "Rechtsruck" fürchten und vor dem sie nicht genug warnen können, ist für die anderen ein Durchbruch, ein Sieg, für viele wohl auch ein Triumph. "Gott sei Dank haben endlich wir die meisten Stimmen", denkt man dort, "endlich müssen wir nicht mehr hinnehmen, was die anderen wollen.""Endlich gibt es Aussicht, dass Politik nach unseren Vorstellungen gemacht wird."

Sie sind es jetzt, die in manchen Ländern die Mehrheit stellen. Sie kommen jetzt wohl immer öfter an die Schalthebel der Politik. Und so wie in den vergangenen Jahren sie damit leben und ertragen mussten, was Politiker anderer politischer Richtungen beschlossen haben, haben nun jene mit ihrer Politik zu leben und sie zu ertragen, die sie nicht gewählt haben und für die sie nicht selten nachgerade ein Feindbild waren.

Freilich kann -und viele meinen: muss -man das schlimm finden. Aber es unterscheidet sich kaum davon, dass zumindest ebenso viele Menschen linke und auch grüne Parteien und deren Politik schlimm und unerträglich finden und überzeugt sind, dass es mit solchen Leuten an der Regierung nur eine Richtung gibt -bergab.

Was wir erleben und was so viele besorgt, ist nichts anderes als Demokratie. So ist Demokratie eben. Solang es nicht -auf beiden Seiten sei hier angefügt -um extreme Positionen geht und solange Parteien zugelassen sind und ihre Politik rechtlich gedeckt ist, muss die Gesellschaft mit einem Kippen sowohl auf die rechte Seite als auch auf die linke Seite zurechtkommen, ohne dass gleich der politische Zusammenbruch ausgerufen wird und gar Panik ausbricht.

Ungeachtet der zuletzt immer schwächer gewordenen politischen Mitte -vor allem die, die sich jetzt so besonders fürchten vor rechter Politik und alles rechts von ihnen meist oft auch gleich für rechtsextrem halten, sollte man sich fragen, warum die Verhältnisse jetzt so sind. Ein selbstkritischer Ansatz schadet dabei sicherlich nicht. Denn ihre zuweilen abgehobenen Positionen, ihre Selbstherrlichkeit und ihre an Hoffärtigkeit und Verachtung grenzende Abneigung, sich wirklich ernsthaft mit den Ansichten und Sorgen der Leute auseinanderzusetzen, ist ein ganz wesentlicher Grund für den Rechtsruck, den jetzt alle fürchten. Diese Leute sollten sich die Frage stellen, die die konservative Schweizer Weltwoche stellte -"Warum wählen Millionen Menschen diese Parteien?" Dass sie Populisten auf den Leim gehen, dass sie zu wenig Verständnis aufbringen, dass sie gar zu dumm sind oder dass die Medien schuld sind, reicht dabei, das sei von vorneherein gesagt, viel zu kurz.

Vielmehr muss man sich fragen, ob man wirklich ehrlich auf die Leute zugegangen und ob man wirklich versucht zu verstehen. Oder ob man ihre Ansichten und Wünsche und Sorgen nicht viel zu oft viel zu schnell ins rechte Eck gestellt und ihnen gar keine Chance gelassen, ihnen gar nicht zugehört und sich nicht um sie bemüht hat und damit das Spielfeld für Populisten aller Art freigegeben hat.

Und dann bleibt da noch eine große Frage, über die man überhaupt nicht reden mag, vor allem jene aus der Linken, die sich besonders gerne über rechte Wähler mokieren -was ist zum Beispiel mit all denen, die früher die SPÖ gewählt haben, jetzt aber bei der FPÖ ihr Kreuzerl machen? Da sind nicht wenige, vor allem in der Arbeiterschaft. Sind sie plötzlich Rechte oder wie manche meinen, gar Nazis geworden? Und was wären sie dann, wenn sie wieder SPÖ wählen?

Allein dieses Gedankenspiel zeigt, dass die Situation wohl sehr viel komplexer ist. Und dass es sehr viel zum Nachdenken, zum Korrigieren und zum Bessermachen gibt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 20. Juni 2024

Donnerstag, 13. Juni 2024

Von den Qualen mit den Wahlen

Dass Wahlen oft zu Qualen werden, ist nicht neu. Dass die Leiden der Wählerinnen und Wähler aber gleich so groß werden wie bei den Wahlen am vergangenen Sonntag ist es doch. Selten wohl hat man so gelitten, selten wohl hat man so viel auf sich nehmen müssen, um sich für eine Partei zu entscheiden. Und selten wohl war es vor allem für Stammwähler, denen ihre Partei ein Anliegen ist, so schwer, der Partei, der man sich seit jeher verbunden fühlt, seine Stimme zu geben. „Kaum je hat man sich so verbiegen müssen, um seine Partei zu wählen“, war am Sonntag und in den Tagen davor oft zu hören. Es fehlte an Ideen, es fehlte an Persönlichkeiten, es ging schier alles in billigem Populismus unter der zuweilen erschreckend, immer aber beschämend war.

Stammwählern, eigentlich das Rückgrat einer jeden Partei, wurde es bei diesen EU-Wahlen schwer gemacht wie nie, Stammwähler zu bleiben. Von allen Parteien. Ganz besonders aber gilt das wohl für die Parteigänger der Grünen und der Volkspartei. Man denke das Getöse rund um Lena Schilling das die Wählerinnen und Wähler der Grünen ertragen mussten und deren guter Wille in den Wochen vor den Wahlen durch das Theater um die Spitzenkandidatin nahezu jeden Tag aufs Neue auf die Probe gestellt wurde. Man denke an die Parteigänger der Volkspartei, die mit Slogans wie „Europa, aber richtig“ abgespeist wurden oder mit dem an dieser Stelle schon besprochenen Slogan einer Kandidatin aus Oberösterreich, die versprach, dass in Brüssel für sie nur dieses Bundesland zähle. Man fühlte auch mit den SP-Stammwählern mit, die mit einem blassen Langzeitpolitiker haderten, der in seinen vergangenen Jahren als Abgeordneter im EU-Parlament kaum je durch irgendetwas und im Wahlkampf auch nur durch Fotos in Wander-Adjustierung aufgefallen ist. Und zu leiden hatten wohl auch jene, die aus Tradition die Freiheitliche Partei wählen und einer freiheitlichen Gesinnung nachhängen, die längst nichts mehr mit dem zu tun hat, was die FPÖ respektive ihr Spitzenkandidat vertreten.

„Man musste sie ja nicht wählen, man hätte anders wählen können“ ist die Standard-Antwort darauf. Diese Antwort aber greift wohl zu kurz. Stammwählern bleiben wenige Alternativen. Ein Weltbild kann man nicht einfach austauschen, Ziele, die einem wichtig sind, kann man nicht einfach leugnen. Einfach eine andere Partei zu wählen, bloß weil man mit der eigenen nicht mehr zufrieden ist, ist für die meisten wohl kein Weg. Und Interessen, die man vertreten sehen will, vertreten nicht alle. Wem würde ein Wechsel nutzen? Hätte man irgendetwas davon? Würde das irgendetwas bewirken? Bewertet man die eigene Stimme und die eigene Bedeutung damit nicht gar zu hoch?

Fraglos haben schon bei zahllosen vergangenen Wahlen viele Menschen diesen Weg gewählt und ihr Kreuzerl nicht mehr dort gemacht, wo sie es zuvor immer gemacht haben. Oft einfach aus Bestemm und aus Protest. Immer mehr Menschen aber wurden zu echten Wechselwählern, machten ihre Wahlentscheidung von aktuellen Entwicklungen, von Skandalen und von Versprechungen abhängig. Sie werden von den Parteien seit je her entsprechend hofiert und umgarnt.

Freilich sind es diese Wähler, die über Sieg und Niederlage entscheiden, aber rechtfertigt das all die Zumutungen die man Stammwählern zumutet und für dass sie sich zuweilen schämen müssen? Kein Wunder, dass sie selten geworden. Dabei sind sie die Wählerinnen und Wähler, auf die sich die Parteien verlassen können, auf die sie auch zählen können, wenn es nicht gut läuft für sie. Stammwähler sind die Wähler, auf die sich die Parteien verlassen können. Sie sind aber auch die, die auf Inhalte zählen, auf Vorstellungen und Ideen. Da ist gerade vor dem Hintergrund der EU-Wahlen, und nicht nur vor dem Hintergrund dieser Wahlen, zu fragen, warum es aufgerechnet ihnen so schwer gemacht wird von ihren Parteien.

Freilich, frustrierte Stammwähler, die sich nicht noch mehr verbiegen wollen, als ihnen ohnehin schon abverlangt wird, könnten einfach nicht wählen gehen. Aber wer hätte davon etwas? Diesen Weg gehen zwar immer mehr, für viele ist er dennoch keine Alternative.

Da bleibt man wohl beim aus der eigenen Sicht kleineren Übel und gibt sich der Hoffnung hin, dass alles wieder einmal besser wird, auch wenn einem dräut, dass diese „Wieder einmal“ wohl eher ein „Irgendwann“ sein wird.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 13. Juni 2024

Mittwoch, 5. Juni 2024

Die Froschperspektive ist keine Perspektive für Europa

 

Ihr Name ist Angelika Winzig, sie ist Unternehmerin aus Oberösterreich und ist im EU-Parlament seit Jahren die Delegationsleiterin der Österreichischen Volkspartei. "In Brüssel zählt für mich nur eines: Oberösterreich" wirbt sie in diesen Wochen im Land ob der Enns auf hunderten Plakaten und zieht damit viel Häme auf sich. Und das, bei Licht betrachtet, völlig zu Recht. Als "Verhöhnung aller Nicht-Oberösterreicher" empfindet man das und, wie es ein Kommentator formulierte als "totale Verkennung der Funktion des EU-Parlaments, das keine Außenstelle des Linzer Landtags ist, sondern das einzig direkt gewählte Organ der Union, weshalb seine Angehörigen denn doch einen etwas weiteren Horizont haben sollten".

Mit dem Slogan, mit dem die oberösterreichische Abgeordnete um Stimmen buhlt, formuliert sie eines der größten Probleme mit dem die Europäische Union zu kämpfen hat - Leute wie sie, die sich Europapolitiker nennen, verstehen die EU-Politik falsch. Und zwar von Grund auf. Sie verstehen sich weniger als Politiker für Europa, sondern sehr viel eher als Lobbyisten für die Interessen ihrer Region, ihre Wählerklientel, ihrer Wirtschaftsbranchen und anderer zumeist sehr partikulärer Interessen. Es geht ihnen vornehmlich darum, ihrer Region genehme Vorschriften durchzusetzen und aus den Geldtöpfen der Union für ihre Wähler das meiste herauszuholen. Und es geht ihnen darum möglichst viel von dem zu verhindern, was ihnen und ihrem unmittelbaren Umfeld zum Nachteil gereichen könnte. Um die Europäischen Union, um Europa als Gesamtes und um ihr Fortkommen geht es ihnen hingegen kaum. Und da ist noch gar nicht die Rede von denen die die Union am liebsten sprengen würden. 

Echte "Europäer" sind vor allem in den Reihen der EU-Parlamentarier selten geworden. Längst hat man die ursprünglichen Ziele aus den Augen gelassen - das Friedensprojekt, als das die Union gedacht war, das Wirtschaftsprojekt, als das es auch gegründet worden und auch die sozialen Ziele, die man damals hatte. Zuviel im heiklen Gefüge der Interessen zwischen den einzelnen Nationalstaaten und der Gemeinschaft ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, getrieben von einer immer sorg- und verantwortungsloser agierenden Politik ist aus der Balance gekommen. Für alles, was im Land nicht funktioniert, werden "die in Brüssel" verantwortlich gemacht. Von allen. Das alles öffnete ein weites Spielfeld für Populisten jedweder Provenienz, die nun quer durch die EU die Union diskreditieren und in Frage stellen.

Die Folgen sind unübersehbar. Europa ist nur noch Mittelmaß. Wenn überhaupt. Der ökonomische Rückstand nicht nur auf die USA ist in den vergangenen Jahren dramatisch gewachsen, China eine permanente wirtschaftliche Bedrohung. Der Ukraine-Krieg zeigt die Mängel in der Sicherheitspolitik schonungslos auf. Und viele fürchten um den Wohlstand. 

Europa steht sich selbst auf den Füssen und leidet darunter. Unter der Uneinigkeit in der Führung der Union und der Staaten, unter der Überregulierung, unter Doppelgleisigkeiten und unter der Trägheit des Systems. Man wollte oft zu viel und zu schnell und hat sich zu wenig um die Menschen und ihre Sorgen gekümmert. Und ja - man hat sich der Frage
verweigert, warum für immer mehr Menschen die EU zum Feindbild wurde und so leicht zum Feindbild gemacht werden konnten.

Das sind keine guten Voraussetzungen, um mit den Herausforderungen gerecht zu werden vor denen man nun steht. Dabei sind die groß wie kaum je zuvor. Es geht um den Zusammenhalt und um eine gemeinsame Richtung. Denn die braucht ein einiges Europa, will man mit den großen Herausforderungen zurechtkommen. Es braucht eine Politik, die an einem Strang zieht. 

Es nimmt nicht Wunder, dass angesichts der Entwicklung in den vergangenen Jahren und angesichts des politischen Klimas nicht wenige Beobachter die Union an einem Scheideweg sehen und von einer Richtungsentscheidung sprechen bei dem, was am 9. Juni ansteht. Die Angst vor einem Rechtsruck geht um, der Europa zurück in eine Nationalstaatlichkeit führen könnte, in dem alles den Partikularinteressen einzelner Staaten untergeordnet wird, aber nicht mehr dem gemeinsamen Europa. 

Ob sich Europa das leisten kann, sei in Frage gestellt. Die Froschperspektive, die sich hinter Wahlslogans wie "In Brüssel zählt für mich nur eines: Oberösterreich" zeigt, ist jedenfalls der falsche Ansatz.  

Es mag viel falsch laufen, eine Alternative zur Europäischen Union gibt es
freilich nicht.

 Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 6. Juni 2024
 
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