Es darf nicht sein, dass Österreich und Europa bei Lebensmitteln oder Arzneien in eine immer stärkere Abhängigkeit kommen, warnt Klaus Hraby, Chef der Efko-Firmengruppe.
Hans GmeinerSN: Sie nehmen sich selten ein Blatt vor den Mund, wenn es um Themen wie Arbeitskosten und Lohnnebenkosten in Österreich, Billigimporte, Handel, NGOs oder das Verhalten der Konsumenten geht. Was regt Sie am meisten auf?
Klaus Hraby: Aktuell sind das wohl die Arbeitskosten. Es kann nicht sein, dass in einem Nachbarland, im konkreten Fall in Deutschland, die Erntehilfe den Bauern um 20 bis 25 Prozent weniger kostet als in Österreich, dort aber höhere Löhne an die Erntehelfer gezahlt werden können als bei uns. Denn anders als bei uns muss dort für Erntehelfer, die weniger als 70 Tage angemeldet sind, nicht einmal Krankenversicherung bezahlt werden, weil man davon ausgeht, dass diese Leute im Herkunftsland versichert sind.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Lebensmittelhandel?
Was braucht es dann jetzt in Österreich?
Dennoch werden Sie von Gewerkschaft und auch von NGOs kritisiert, weil Sie das auch für Österreich fordern.
Das ist typisch für eine Haltung, die weit verbreitet ist im Land. Wir sind in Österreich stolz auf unsere sozialen Errungenschaften, wir wünschen uns auch weniger Pflanzenschutz, wir wünschen uns Tierwohl, aber es soll auf uns keine Auswirkung haben. Bezahlen wollen wir freilich nicht, was gefordert wird. Da kaufen wir lieber dort, wo es billig ist. Das geht wie ein roter Faden durch alles durch. Aber wir können nicht österreichische Löhne zahlen und asiatische Preise haben wollen.
Worum geht es Ihnen?
Worum geht es Ihnen?
Mir geht es vor allem um Chancengleichheit. Die haben wir nicht. Nicht nur gegenüber Deutschland, sondern auch gegenüber anderen Ländern wie Ungarn oder Italien, wo die Standards ganz andere sind als bei uns. Die Italiener etwa produzieren den ganz normalen Häuptelsalat weit billiger als wir in Österreich und können ihn bei uns trotz des weiten Transports günstiger verkaufen. Es kann doch nicht sein, dass wir innerhalb der EU so ungleiche Voraussetzungen in der Produktion haben. Und da rede ich noch gar nicht von Ländern wie der Türkei, die gar nicht in der EU sind, aus denen aber große Mengen importiert werden. Uns treffen vor allem die Importe von Gurkerln.
Wer steht dem entgegen?
Bei uns werden die EU-Vorschriften anders interpretiert als in anderen Ländern. Wir wollen überall die Allerbravsten sein. Mir gefällt der Ausdruck Gold-Plating nicht, aber es trifft leider über weite Strecken zu.
Stimmen Sie in das Klagelied über die angeblich überbordende Bürokratie ein?
Vor allem für die EU gilt, dass viele Themen gut gemeint, aber schlecht gemacht sind. Wir alle haben das zu tragen. Wir müssen in Audits nachweisen, welche Prozesse wir haben, um Kinderarbeit bei uns zu verhindern. Da greift man sich an den Kopf. Kinderarbeit ist ja ohnehin verboten bei uns. Dann gibt es so Dinge wie das Lieferkettengesetz. Das kann nicht funktionieren und ist der nächste Bürokratiemoloch, der daherkommt.
Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Gesamtausgaben eines Haushalts steigt aber wieder. Die Klagen über hohe Lebensmittelkosten sind nicht zu überhören.
Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Gesamtausgaben eines Haushalts steigt aber wieder. Die Klagen über hohe Lebensmittelkosten sind nicht zu überhören.
Wir befinden uns in einem Paradigmenwechsel. Über Jahrzehnte ist der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel gesunken. Möglich wurde das durch die Rationalisierungen in der Landwirtschaft, bei den Verarbeitern und im Handel. Das hat sich jetzt gedreht und das tut furchtbar weh, weil für Nettigkeiten wie das Handy, die Bekleidung oder den Urlaub weniger Geld bleibt. Daher sagt man jetzt, die Lebensmittel müssen mit aller Brachialgewalt billig bleiben. Da wird gnadenlos importiert. Wo die Ware billig ist, wird sie gekauft. Wie, unter welchen Umständen und zu welchen Standards sie erzeugt wurde, spielt da kaum eine Rolle.
Die Teuerung ist aber ein großes Thema. Gerade bei Lebensmitteln.
Sicherlich macht das vielen Leuten Probleme. Aber ich behaupte, dass es nicht darum geht, dass nicht genug Geld da ist, sondern dass das, was wir derzeit erleben, auch eine Frage der Prioritäten ist. Ein Kardinalfehler wurde schon vor Jahren gemacht – meiner Meinung nach hat die öffentliche Hand versäumt, für leistbaren Wohnraum zu sorgen. Das ist eine der größten Sünden, die begangen wurden. Das kann man nicht dem Markt überlassen. Den sozialen Wohnbau gibt es nicht mehr und das nimmt extrem viel Geld aus dem Kreislauf heraus.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Lebensmittelhandel?
Nach wie vor scheint der Preis das wichtigste Marketinginstrument zu sein. Wegen der intensiven Flächenexpansion der vergangenen Jahre hat der Handel hohe Fixkosten zu tragen. Dazu kommt die Kostenbelastung aus den diversen Lohnrunden. Der Kampf um Marktanteile ist seit Jahren brutal. Vor dem Hintergrund der Kostensituation des Handels ist das eine toxische Mischung. Und dann kommt es zu Situationen wie mit dem Bier-Radi.
Was meinen Sie damit?
Bier-Radi wird in Österreich nicht mehr erzeugt, weil dafür bei uns kein Pflanzenschutzmittel mehr zugelassen ist. In Bayern gibt es den Bier-Radi aber weiterhin, weil dort dieselben EU-Vorschriften anders ausgelegt werden, was für mich ja ein Witz ist. Jetzt kauft der Handel halt dort, „wir müssen ja Konsumentenbedürfnisse befriedigen“, heißt es dann. Der Handel hätte extrem viele Möglichkeiten, das zu steuern, nutzt sie aber nicht, weil man in einem extremen Wettbewerb verfangen ist. Dort schenkt man sich nichts.
Und das bekommen die Erzeuger zu spüren?
Und das bekommen die Erzeuger zu spüren?
Weil in den Preiseinstiegslagen kaum etwas zu verdienen ist, versucht man das bei den Markenartikeln zu kompensieren. Seit die Wettbewerbsbehörde Spar wegen Absprachen verurteilt hat, verweigert der Handel jedes Gespräch mit der Industrie über die Regalpreise. Das Urteil erweist sich als ein Bärendienst für uns. Wir und andere müssen erleben, dass Preise für unsere Produkte im Regal erhöht werden und wir nichts davon bekommen. Im Gegenteil – oft werden wir für die Preiserhöhungen verantwortlich gemacht. Die Wettbewerbsbehörde sagt, das sei nicht ihre Agenda.
Was heißt das für die Zukunft?
Weil bei uns die Produktion so teuer ist, können wir kaum mehr exportieren. Der Druck wird in den kommenden Jahren noch größer und die Produktion in Österreich zurückgehen. Die extreme Kurzfristigkeit unseres Denkens in frappierend.
Was meinen Sie damit?
Was meinen Sie damit?
Als Corona kam, sind wir, wie auch die gesamte Lebensmittelindustrie, für systemrelevant erklärt worden. Als dann auch noch ein Containerschiff den Suezkanal verstopfte, hieß es, wir brauchen wieder mehr Produktion in Europa, wir können nicht nur von Fernost abhängig sein.
Dann kam auch noch der Ukraine-Krieg, da war dann überhaupt alles zu wenig und es hieß, wir müssen uns wieder mehr um die eigene Produktion kümmern. Und jetzt? Jetzt ist alles schon wieder vergessen. Jetzt geht es wieder nur mehr um den Preis. Dabei ist das ja nicht 20 Jahre her, das war ja gerade gestern. Erwartungen und Handeln passen oft nicht zusammen.
Dann kam auch noch der Ukraine-Krieg, da war dann überhaupt alles zu wenig und es hieß, wir müssen uns wieder mehr um die eigene Produktion kümmern. Und jetzt? Jetzt ist alles schon wieder vergessen. Jetzt geht es wieder nur mehr um den Preis. Dabei ist das ja nicht 20 Jahre her, das war ja gerade gestern. Erwartungen und Handeln passen oft nicht zusammen.
Die Landwirtschaft klagt über zu wenig Verständnis, ihre Branche auch. Empfinden Sie das als ungerecht?
Definitiv ja. Der Kunde handelt am Regal völlig anders als er in Umfragen angibt. Auch große Handelsabkommen wie Mercosur liegen auf dieser Linie – weil man Autoteile nach Brasilien liefern will, soll der Import von 200.000 Tonnen Rindfleisch in die EU erlaubt werden. Das mag gesamtwirtschaftlich durchaus interessant sein, die Bauern sind halt die Geschnapsten. Vieles, wozu sie in der Produktion gesetzlich verpflichtet sind, spielt dort keine Rolle – aber bei uns müssen sie sich mit Ewigkeitschemikalien herumschlagen, für die ihnen die Verantwortung in die Schuhe geschoben wird. NGOs, die das betreiben, lehnen ja in ihrer Hybris wirtschaftliche Gesamtverantwortung generell ab. Sie sagen, wir wollen das, den Rest müssen die anderen machen, uns ist das egal. Das ist nichts als thematisches Rosinenpicken.
Was muss geschehen?
Es kann einfach nicht sein, dass die europäische Produktion, nicht nur in der Landwirtschaft und bei Lebensmitteln, mit unlauteren Mitteln ausgehebelt wird. Ich war in jüngeren Jahren der Meinung, dass der Markt alles regle. Von dieser Meinung bin ich abgegangen. Das funktioniert nicht, weil die jeweiligen Marktteilnehmer mit unterschiedlichen Mitteln kämpfen.
Was braucht es dann jetzt in Österreich?
Ich bin zur Meinung gekommen, dass die Politik lenkend eingreifen muss. So, wie es jetzt läuft, begeben sich Österreich und Europa etwa bei Lebensmitteln immer mehr in die Abhängigkeit von fremden Ländern und Mächten. Es kann nicht sein, dass die Produktion abwandert. Aufklärung und all das, was uns immer empfohlen wird, reicht da nicht. Da müsste die Politik klar eingreifen. Was mich so grantig macht, ist, dass wir all diese Themen seit Jahren trommeln und uns alle Politikerinnen und Politiker mitleidsvoll anschauen und sagen „ja, das ist ein Problem“ – und dass aber nichts passiert.
Wie wird es realistischerweise weitergehen?
Die Lebensmittel werden nicht an Wert gewinnen. Der Handel wird wohl weiter in seinem brachialen Machtkampf um jeden Preis hängen bleiben und darauf setzen, dass die Leute nur billig kaufen wollen und die entsprechende Ware auch anbieten. Die produzierten Mengen bei uns werden weniger werden, weil wir nicht billig genug produzieren können. Wenn Lifestyle und Reisen wichtiger sind als Lebensmittel, wird man sich nicht für Lebensmittel interessieren und dafür mehr ausgeben wollen.
Klaus Hraby (65) führt seit 2012 die Efko-Gruppe in Eferding (OÖ). Sie verarbeitet 85.000 Tonnen Gemüse und Obst aus heimischem Anbau. 50.000 Tonnen entfallen auf eingelegtes Sauergemüse wie Essiggurken.
Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 26. Juli 2024
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