Donnerstag, 22. August 2024

Geld gewinnt keine Wahlen

Der Wahlkampf gewinnt an Fahrt. Es sind keine sechs Wochen mehr bis zum 29. September und man redet über Vieles in diesen Tagen und Wochen. Aber man redet nicht über alles. Über ihre Wahlkampfbudget etwa haben bisher nur die NEOS (3,1 Millionen Euro) und die Grünen (fünf Millionen Euro) geredet. Die anderen wollen nicht darüber reden. Die ÖVP nicht, die SPÖ nicht und auch die Supersauber-Transparenz-Ehrlichkeits-Partei FPÖ nicht. 

Über was man schon gar nicht redet, sind die Parteifinanzen und darüber, dass, wie es eine Zeitung formulierte, "Österreich bei der Parteienförderung zur Weltspitze" gehört. Im Klartext - man mag nicht darüber reden, dass die Parteien im Geld schwimmen. 237 Millionen Euro bekamen sie allein im Vorjahr alles in allem von Bund und Ländern. Als Förderung der Parteien, als Klubförderung und als Subventionen für die politischen Akademien. Dabei sind da noch gar nicht die Subventionen eingerechnet, die in den Kammern an die Fraktionen ausgezahlt werden. Und auch nicht, was an Spenden hereinkommt.

80 Millionen der 237 Millionen, also ein knappes Drittel, flossen in die
Kassen der ÖVP, die noch heute vom Kurz-Sieg 2019 profitiert, weil sich die Vergabe der Förderungen an den Wahlergebnissen orientiert.  63,1 Millionen Euro, und damit weniger als vor 2019, kassierte die SPÖ, die noch heute am Rendi-Wagner-Desaster zumindest finanziell zu kiefeln hat. Mit 38,4 Millionen muss die FPÖ auskommen, weil ihr damals Strache und Gudenus viele Stimmen kosteten. Ganz anders hingegen die Grünen, die 2019 wieder in den Nationalrat einzogen und jetzt mit mehr als 31 Millionen aus den öffentlichen Taschen hausen können. 16,7 Millionen nahmen die NEOS, die sonst ja selten ein gute Haar an Subventionen lassen. Die KPÖ bekam 2,2 Millionen ab und die Impfskeptiker von der MFG, die in Oberösterreich im Landtag sitzen, auch noch 1,3 Millionen. 

Da kommt schon was zusammen. Erst recht, wenn man das über die gesamte Legislaturperiode, also fünf Jahre, aufaddiert. Da zeigt sich schnell - Politik ist auch hierzulande ein Milliardengeschäft. Die Gelder, die die Parteien seit den letzten Nationalratswahlen einstreiften, liegen weit jenseits der Milliarden-Euro-Grenze, zumal sie auch immer wieder valorisiert wurden. Man mag es drehen und wenden wie man will, am Ende des Tages geht es doch um nichts anderes als mit dem zur Verfügung stehenden Geld ein Maximum an Stimmen zu erreichen. 

Stellt man die Förderungen in Relation zu den erhaltenen Stimmen hat die ÖVP am wenigsten effektiv gearbeitet. Denn legt man etwa das Wahlergebnis der EU-Wahlen zugrunde musste die ÖVP für eine einzige Stimme allein auf Grundlage der Zuwendungen im Jahr 2023, gut 92 Euro aufwenden. Böse Zungen mögen behaupten, bei dem Angebot müsse man eben mehr aufwenden, um es an die Frau, respektive den Mann zu bringen. Die SPÖ und die Grünen schauen freilich kaum besser aus. 77 Euro kostet es die SPÖ eine Stimme zu kriegen, fast 79 Euro gar die Grünen.

Da können sich alle, auch die NEOS, denen eine Stimme 46 Euro kostete, bei der FPÖ in Sachen Effizienz ein Stück abschneiden. Sie kam mit nur 44 Euro für eine Stimme aus - mit mehr als der Hälfte weniger als die ÖVP. Und sie durften sich sogar über einen Stimmenzuwachs freuen, während die ÖVP bekanntermaßen ja ordentlich verlor. 

Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass in dieser Rechnung die KPÖ mit 21 Euro pro Stimme am allerbesten abgeschnitten hat.

Geht man von der aktuellen Umfragelage aus, wird sich an diesem Bild auch bei den Nationalratswahlen nicht sehr viel ändern. Bei gut 90 Euro werden die Kosten pro Stimme für die ÖVP wohl wieder liegen. Berücksichtigt man alle Gelder, die in der derzeitigen Legislaturperiode in die Parteikassa flossen, sind es gar mehr als 400. Und bei der FPÖ werden es wohl wieder nicht sehr viel mehr als 40, respektive 250 Euro pro Wählerstimme sein. 

Aber während sich die ÖVP fragen lassen muss, warum aus dem Geldsegen, den ihr Kurz mit seinem letzten Wahlsieg beschert hat, nichts gemacht hat, wird die FPÖ triumphieren damit, dass Geld alleine nicht gewinnt. 

Die ÖVP aber hat noch ein Thema mehr zum Grübeln - wäre sie mit ihrem Geld so effektiv wie die FPÖ müsste sie eigentlich 1,8 Millionen Stimmen bekommen bei den kommenden Wahlen.

Aber eben nur eigentlich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. August 2024

Dienstag, 20. August 2024

Bauern nutzen das geänderte Klima

Auf den Feldern in Österreich wird immer öfter zwei Mal in einem Jahr geerntet. Flächenmäßig gab es bereits mehr als eine Verdoppelung zum Vorjahr.

Hans Gmeiner 

Oftering. „Schaut gut aus.“ Lukas Reckendorfer hockt zwischen den Pflanzen in seinem Feld und ist zufrieden mit dem Bestand der Sojabohnen. „Die Schoten sind da, das Unkraut macht kleine Probleme. Jetzt muss nur noch das Wetter passen.“ Das tut es bisher. Der junge Landwirt aus Oftering in Oberösterreich möchte heuer zwei Ernten von einem Feld einfahren. Zum ersten Mal. „Ich will es ausprobieren.“

„Es interessiert mich einfach, die Wintergerstenernte war heuer sehr früh, da könnte sich das ausgehen.“ In den letzten Junitagen hat er das Feld abgedroschen, zwei Tage später hat er die vier Hektar Sojabohnen gesät. „Eine Sorte, die bis zum Oktober noch reif werden sollte.“ Wenn er 2000 Kilogramm pro Hektar erntet, wäre Reckendorfer zufrieden. „Dann zahle ich zumindest nicht drauf.“ Normalerweise kommt die Sojabohne Ende April, Anfang Mai in die Erde und wird ab Ende August geerntet. „Die Erträge liegen dann, in guten Jahren zumindest, bei 3500 bis 4000 Kilogramm je Hektar“, sagt der junge Landwirt.

Reckendorfer ist nicht der einzige Landwirt, der zwei Ernten von einem Feld einzufahren versucht. Möglich macht das der Klimawandel. Die Vegetationsperioden sind länger geworden, die Temperaturen höher. Auch wenn es dafür keine zusätzlichen Ausgleichszahlungen und Fördergelder gibt, tun sich für den Ackerbau damit möglicherweise neue Dimensionen auf.

Fast dreihundert Landwirte aus Oberösterreich, der Steiermark, dem Burgenland und aus Niederösterreich haben bei der Agrarmarkt Austria die sogenannte „Mehrnutzung Wintergerste/Sojabohnen“ gemeldet. „Rund 1700 Hektar macht die Fläche heuer aus“, sagt Wolfgang Kastenhuber von der Landwirtschaftskammer Österreich. Die Tendenz ist stark steigend. 2021 gab es die ersten, eher zaghaften Versuche mit Sojabohnen nach Wintergerste. 258 Hektar waren es damals. Ein Jahr später waren es dann bereits 353 Hektar und im Vorjahr immerhin fast 780 Hektar.

Überspannen will man die Erwartungen freilich nicht. Dafür sind die Unsicherheiten zu groß. „Das reicht von der Wasserversorgung im Sommer bis hin zu den Witterungsverhältnissen bei der Ernte im späten Oktober“, sagt Martin Bäck von der Landwirtschaftskammer Oberösterreich. Euphorie hält er daher für nicht angebracht. „Man muss ja auch die Wirtschaftlichkeit berücksichtigen.“ Davon, dass der „Zweitanbau“ tatsächlich auf breiter Basis zu einem Einkommensstandbein werde, sei man weit entfernt.

Das gilt auch für die Bedeutung, die die nach der Wintergerste ausgesäten Sojabohnen für den gesamten Markt haben. Die 1700 Hektar machen gerade einmal gut zwei Prozent der gesamten österreichischen Sojafläche von 87.000 Hektar aus.

Der Anbau der Sojabohne nach der Wintergerste, der einzigen Frucht, die wegen der frühen Ernte dafür infrage kommt, ist zwar die wichtigste, aber nicht die einzige Feldfruchtkombination, mit der die österreichischen Bauern experimentieren. Beliebt ist auch der Anbau von Buchweizen und von Mais nach der Wintergerste. An die Zahlen von Sojabohnen kommt aber keine dieser Feldfrüchte heran. Sie bringen es zusammen aber auch auf beachtliche 1300 Hektar.

Dennoch hat man keine Zweifel, dass diese Zahlen weiter wachsen werden. „In Norditalien etwa ist der Anbau von Sojabohne nach Gerste bereits Standard“, sagt Martin Bäck. In Deutschland planen immer mehr Bauern mit Mais als Zweitfrucht nach Gerste. Längst ist auch die Saatgutwirtschaft auf den Zug aufgesprungen. „Der Klimawandel macht es möglich, guten Wein in unüblichen Regionen zu produzieren oder Soja als Zweitfrucht nach frühräumenden Wintergetreidekulturen wie Wintergerste anzubauen“, wittert etwa die Saatbau Linz schon gute Geschäfte. „Neue Sojazüchtungen im extrem frühen Reifebereich machen den Zweitfruchtanbau überhaupt möglich“, versucht man den Landwirten die neuen Möglichkeiten, die sich durch den Klimawandel ergeben, schmackhaft zu machen.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 20. August 2024

Montag, 12. August 2024

Acker versus Liegewiese? „Das birgt Konflikte“

Wifo-Agrarexperte Franz Sinabell über das gespaltene Verhältnis der Österreicher zur Landwirtschaft, die Stärken der heimischen Bäuerinnen und Bauern und die entscheidende Frage, ob wir auch künftig noch Fleisch essen.

Hans Gmeiner

SN: Die Landwirtschaft gilt als Branche mit Zukunft, die bald zehn Milliarden Menschen ernähren soll. Eigentlich sollten das beste Voraussetzungen für die Zukunft sein. Warum sehen die heimischen Bauern trotzdem häufig schwarz?

Franz Sinabell: Die Bauern sehen, dass der Markt wächst. Auf der anderen Seite stellt die Gesellschaft immer engere Ansprüche an die Landbewirtschaftung und das beschränkt die Produktionsmöglichkeiten. Das ist der Zielkonflikt, mit dem die Bauern sich jeden Tag herumschlagen müssen.

Muss man sich Sorgen machen um die heimische Landwirtschaft?

Nein. Alles in allem gilt: Die Landwirtschaft ist gut aufgestellt. Wir haben eine gute Kapitalausstattung, hohes Eigenkapital, starke Unternehmen im vor- und nachgelagerten Bereich und viele Abnehmerinnen und Abnehmer direkt vor der Haustür. Die österreichische Landwirtschaft ist wettbewerbsfähig in Europa und damit auch weltweit - und das mit vergleichsweise kleinen Betriebsgrößen und trotz hoher Produktionskosten.

Wie sehen Sie das Verhältnis Österreichs zu seiner Landwirtschaft?

Zunehmend spannungsgeladen. Man merkt es, wenn man mit Bauern redet bzw. mit Nachbarinnen und Nachbarn von Bauern. In der Generation, in der ich groß geworden bin, hat es im Ort praktisch nur Bauern gegeben. Aber auch die Arbeiter hatten zwei, drei Kühe oder Schweine und haben auch Felder bewirtschaftet wie die Bauern. Jetzt ist die Landnutzung gespalten. Die Bauern sind für die Landwirtschaft zuständig, der Rest dient der Erholung. Das birgt Konflikte. 

Welche Landwirtschaft braucht Österreich?

Die Art der Landwirtschaft, wie es sie hier gibt, passt gut zu Österreich. Wir brauchen genau diese Art von Landwirtschaft, die Möglichkeiten zum Nebenerwerb gibt und Erwerbskombinationen. Es braucht dabei einen starken Fokus auf Berglandwirtschaft, wir brauchen aber auch wettbewerbsorientierte, leistungsfähige und schlagkräftige Vollerwerbsbetriebe.

Die Bauern hadern oft mit den Ansichten und Forderungen der Nichtbauern. Landwirte sagen, im Vergleich sei man weit vorn und umweltfreundlich.

Wenn man Umweltindikatoren vergleicht, ist Österreichs Landwirtschaft insgesamt besser als in Ländern wie Deutschland, Italien, Spanien und unseren Nachbarländern. Es ist aber nicht so, dass bei uns alles pipifein ist. So gab es bei uns bis zum Vorjahr stets Zunahmen beim Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln. Insbesondere wegen Kohlendioxid, das gegen Lagerverluste eingesetzt wird, und wegen Kupferpräparaten, die auch im Biolandbau verwendet werden.

Der Widerstand der Landwirtschaft gegen den Green Deal wird kritisch gesehen und für übertrieben gehalten. Das Verständnis für die Forderungen und Sorgen der Landwirte scheint begrenzt. Können Sie das nachvollziehen?

Man muss die Landwirtschaft schon verstehen, denn bei den Bauern kommt alles zusammen. Der Umweltminister überlegt sich dies, der Landwirtschaftsminister das, der Konsumentenschutzminister redet mit und auch die Biodiversitätsbehörde. Und allen soll der Land- und Forstwirt gerecht werden. Überall wird irgendwo eine neue Restriktion eingezogen. Das führt zu noch mehr Bürokratie. Es sind ja nicht nur die Aufzeichnungen, die der Betrieb führen muss. Da kommen auch Inspektoren, die überprüfen, ob die Aufzeichnungen mit dem übereinstimmen, was auf den Feldern und in den Ställen passiert. Das alle verursacht höhere Produktionskosten und mehr Arbeitszeit, die man aufwenden muss. Und wer hat das zu tragen? Es sind die Bauern. Sie werden oft überfrachtet mit Forderungen, die eigentlich für die gesamte Gesellschaft gelten. Das ist frustrierend.

Das ist auch in anderen Branchen so.

Mag sein. Das Thema ist, dass all die Bürokratie ja in der Substanz nichts ändert. In 90, 95 Prozent der Fälle wird nur bestätigt, dass ohnehin alles in Ordnung ist. Und da muss man sich auch als Ökonom fragen: Wo ist der Mehrwert? Ich bin skeptisch, dass vieles, was jetzt zusätzlich geprüft, bestätigt und abgestempelt wird, irgendwas bewirkt.

Kann es sich Österreich leisten, die Produktion durch Umweltprogramme etc. einzuschränken? Wie sicher ist die Versorgung? Die Auslandsabhängigkeit ist ja jetzt schon groß.

Allein wegen der Flächeninanspruchnahmen zwischen 2000 und 2020 können wir 5,4 Prozent weniger Menschen ernähren in Österreich. Das heißt, wir sind mehr auf Importe angewiesen. Pläne wie die umstrittene Renaturierungsverordnung verschärfen den Trend, auch wenn dadurch keine maßgeblichen produktiven Flächen aus der Produktion genommen werden. Nicht nur wegen der Flächenverluste ist die Selbstversorgungslage nicht so großartig. Man muss sich auch anschauen, wo der Dünger herkommt, der Traktor, der Treibstoff oder die Genetik etwa beim Geflügel, bei Getreide und bei Gemüse.

Was wird getan für Resilienz und Versorgungssicherheit?

Ich sehe, dass das Thema in der Wirtschaftspolitik präsent ist und nicht einfach ignoriert wird. Die Phase, wo man sagt, wir versorgen uns am Weltmarkt und verzichten auf die Produktion vor der Haustür, die ist vorbei. Ich glaube, jetzt wird einmal darüber geredet und es werden Studien beauftragt, um entsprechende gesetzliche Regelungen vorzubereiten, weil ja gar nicht sicher ist, wie man das am besten macht - ob man die internationalen Netzwerke ausbaut und vermehrt Freihandelsabkommen abschließt mit Ländern wie Brasilien, Australien, Neuseeland, Südkorea wie das die EU forciert. Oder ob man versucht, wichtige Produktionszweige wieder ins Land zurückzuholen, was allerdings die Produktionskosten und auch die Preise erhöhen würde.

Wo gibt es dennoch Chancen für die österreichische Landwirtschaft? Wo soll es hingehen?

Ich staune immer wieder über die neuen Ideen und Produkte der Bauern. Das ist atemberaubend. Das beginnt bei Feigen, geht über Reis und viele andere Produkte. Die Bäuerinnen und Bauern sind da sehr aufgeschlossen und neugierig und investieren sehr viel Zeit und Energie in neue Produkte. Und sie investieren auch sehr viel Zeit in neue Produktionsweisen wie bodenschonende Praktiken, die Bodenleben und Klima schützen sollen. Ich finde das sehr ermutigend. Gefordert ist auch eine Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien. Und es gilt die Chancen, die sich aus der Energiewende ergeben, aktiv zu nutzen.

Was braucht es, um die österreichische Landwirtschaft voranzubringen? Was muss sich in der Branche ändern?

Sie braucht Zugang zu zeitgemäßen Produktionsmitteln. Das bedeutet auch Zugang zu gentechnischen Methoden, zu entsprechendem Saatgut und im tierischen Bereich zu entsprechendem genetischen Material, um mit dem Klimawandel zurechtzukommen.

Da gibt es aber in der Gesellschaft großen Widerstand.

Wenn es ums Insulin geht, gibt es überhaupt keinen Widerstand, wenn es ums Essen geht, gibt es aber einen sehr pointierten und fokussierten politischen Widerstand. Da werden irrationale Ressentiments in der Gesellschaft geschürt und dadurch politischer Druck aufbaut. Die Landwirtschaft selbst ist gespalten. Vor allem in der Biolandwirtschaft wird das abgelehnt. Dabei sagen auch dort Vorreiter: "Hallo, die Welt dreht sich weiter, ihr müsst euch da weiterentwickeln."

Was ist neben dem Klimawandel der größte Unsicherheitsfaktor für die Bauern?

Ob die Menschen tatsächlich von der tierischen Ernährung vermehrt auf pflanzliche Ernährung umsteigen. Pro-Kopf-Verbrauch von Rindfleisch und Schweinefleisch sinkt bereits, nur der von Geflügelfleisch steigt noch. Derzeit wird das noch überdeckt, weil die Bevölkerung wächst. Ich halte es für möglich, dass da ein plötzlicher Ruck durch das Konsumverhalten geht. Das ist für mich das große Fragezeichen.

Was muss Politik machen, um die Zukunft der Landwirtschaft abzusichern?

Die europäische Politik soll, was die Agrarpolitik betrifft, das Augenmerk verstärkt auf die Versorgungssicherheit der Weltbevölkerung und die Chancen, die sich bieten, lenken und weniger auf die Ressourcenbeschränkung in Europa. Die heimische Politik sollte aufgeschlossen sein für neue Technologien. Und sie soll die Landwirtschaft dabei unterstützen, mit den Herausforderungen Ukraine, Klimawandel und auch ungünstige Weltmarktpreise zurechtzukommen.

Was raten Sie einem jungen Bauern, einer jungen Bäuerin?

Es ist gut, sich die Landwirtschaft in verschiedenen Ländern anzuschauen und wenn möglich ein Auslandspraktikum zu machen. Denn eine positive Zukunft gibt es absolut. Nicht nur ich möchte auch in 25, 30 Jahren Essen haben, das nicht in irgendeinem Labor mit viel Strom und chemischen Ingredienzien erzeugt wurde, sondern von Feldfrüchten und Tieren kommt, die auf Äckern und Wiesen im Umland gedeihen.

Franz Sinabell

ist Ökonom am Wifo und Lektor an der Universität für Bodenkultur.

Salzburger Nachrichten, Wirtschaft, 12. August 2024


 

Donnerstag, 8. August 2024

Der Goldesel aus der Schmuddelecke

Zu Hunderten werden in diesen Wochen von manchen Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gekündigt. Dass die Arbeitslosenrate steigen wird, ist absehbar. Der Ruf nach Kurzarbeit wird wieder laut. Immer öfter werden Unternehmen von Pleiten dahingerafft. Von einer "trüben Stimmung" ist die Rede und davon, dass man "von einem Aufschwung weit entfernt" sei.

Die Meldungslage aus der heimischen Wirtschaft war auch schon einmal besser.

Die Party ist wohl vorbei. Und was in der Politik von manchen Parteien und ihren Anführern, die sich für Kanzlerkandidaten halten, schwadroniert wird, nimmt sich angesichts der aktuellen Entwicklung mehr denn je realitätsfremd aus. Österreich kommt in der Wirklichkeit an. Und zu der passen weniger denn je Forderungen wie die Einführung einer 32-Stunden-Woche und all die Steuerpläne und Wünsche, die allerorten vor den Wahlen ventiliert werden.

Denn für Träumereien aus der politischen Mottenkiste ist in Zeiten wie diesen nicht wirklich Platz. Das Land und auch die Politik freilich wollen das nicht wahrhaben und nicht ernstnehmen. Schon gar nicht, wenn es um die Wirtschaft geht. Die versteht man vornehmlich als "Reiche" und "Millionäre", denen man alle Wünsche, Forderungen und Belastungen einfach umhängen und denen man das Geld abnehmen kann. Unternehmen und Unternehmer sollen alles machen, was man von ihnen verlangt. Wie sie damit zurechtkommen, ist ihre Sache. Über allfällige Folgen will man erst gar nicht diskutieren. Klagen werden nicht ernstgenommen und als Wehklagen abgetan, Wünsche ignoriert.

Wirtschaft versteht man in diesem Land vornehmlich als Goldesel. Freilich als Goldesel aus der Schmuddelecke, der die Leute ausbeutet und die Umwelt zerstört.

Das Image der Wirtschaft und der Unternehmer ist schlecht. Oft freilich nicht ohne Grund. Zu selten nehmen sie es auf sich, in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen und für ihre Anliegen zu werben und auch einzutreten. Zu fremd nehmen sie sich dabei oft aus und auch zu abgehoben. Ihr Image wird eher von außen geprägt - vornehmlich von den Gewerkschaften und ihren Bossen. Und das ist kein Gutes.

Da nimmt nicht wunder, dass Wirtschaft, Wirtschaftspolitik und ihre Bedeutung in den vergangenen Jahren aufs Abstellgleis gerieten. Bisher spielen sie auch im aktuellen Wahlkampf eine untergeordnete Rolle. "Eine Entfremdung" lautete der Titel eines Leitartikels der OÖN-Chefredakteurin Susanne Dickstein, in dem sie sich mit dem Auseinanderdriften von Wirtschaft und Politik beschäftigt. Insbesondere die, die so vehement in den Kanzlersessel drängen, kommen dabei nicht gut weg. Herbert Kickl sei für große Teile der Wirtschaft eine "Blackbox" und SP-Chef Andreas Babler allenfalls ein Robin Hood, der den Reichen nehmen und den Armen geben will. "Wirtschaftliche Kompetenz haben beide bisher nicht aufblitzen lassen." Aber auch am Kanzler lässt sie kein gutes Haar. Als ehemaliger ÖAAB-Vertreter werde Karl Nehammer von der Wirtschaft nicht als einer der ihren wahrgenommen. Auch ihr Kollege Unterhuber vom Kurier fordert: "Reden wir endlich über Wirtschaft." Von der wirtschaftlichen Lage unseres Landes würden unser Wohlstand und unsere Sicherheit mehr denn je abhängen.

Da verwundert freilich, dass nicht mehr Unternehmer Klartext reden wie Stefan Pierer. "Die Industrienachfrage liegt um 10 bis 20 Prozent unter dem, was während der Corona-Zeit war", sagt der KTM-Boss. In derselben Zeit aber seien die Personal-und Energiekosten dramatisch gestiegen. "Wir hatten in Österreich in den letzten zwei Jahren 20 Prozent Personalkostensteigerungen, auf der anderen Seite aber gehen Umsätze und Nachfrage in Europa zurück." Er rechnet damit, dass Industrieunternehmen ihre Mitarbeiterstände um 10 bis 15 Prozent abbauen werden. "Das ist ein Muss, sonst gehen sie unter." Das zweite Halbjahr werde sehr schwierig werden. Beim Benennen der Gründe für die trüben Aussichten nimmt er sich kein Blatt vor den Mund: "Österreich hat massive Fehler in der Standortpolitik gemacht, durch die hohen Kollektivertragsabschlüsse haben wir den Industriestandort massiv beschädigt", und Österreichs Unternehmen hätten die höchsten Lohnstückkosten in Europa.

Der Haken: Hören will das keiner. Man hat ja anderes zu tun. Und zu den Plänen und Versprechungen, mit denen manche Parteien auf Stimmenfang für die kommenden Nationalratswahlen gehen, passt das gar nicht.

Gmeiner meint - Raiffeisenzeitung, 8, August 2024

Mittwoch, 7. August 2024

Ernte machte Bauern nicht viel Freude

Die Getreideernte war heuer unter dem Durchschnitt. Das Warten auf das AMA-Gütesiegel für Getreide indes geht weiter.

Hans Gmeiner 

Wien. Niedrigere Erträge als im Vorjahr, schlechtere Preise und eine Gesamternte, die mit rund fünf Millionen Tonnen deutlich unter dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre liegt: Die Bilanz, die die Agrarmarkt Austria (AMA) traditionell nach der Getreideernte zieht, fiel auch schon einmal besser aus. Und auch für die Früchte, die im Herbst zur Ernte anstehen, schraubt man die Erwartungen Woche für Woche zurück. Die Hitze und die Trockenheit im Land setzen vor allem Mais, Soja und den Kartoffeln zu und machen den Bauern mittlerweile große Sorgen. Um die Versorgung braucht man sich dennoch keine Sorgen zu machen, versicherte AMA-Chef Günter Griesmayr Dienstag bei der Präsentation der Ernteergebnisse. „Wir können den Markt weiterhin komfortabel bedienen.“

Für die Bauern war das freilich eine große Herausforderung. Wegen des nassen Herbstes mussten sie auf den Anbau von Frühjahrsfrüchten ausweichen. Während die Anbaufläche für Weizen deutlich zurückging, profitierten davon Feldfrüchte wie Zuckerrüben, Ölkürbis und Kartoffeln. Körnermais, der ebenfalls im Frühjahr gesät wird, konnte davon hingegen nicht profitieren, weil die Industrie ihre Abnahmeverträge aus konjunkturellen Gründen einschränkte.

Eine Herausforderung war das Getreidejahr für die Bauern auch wegen der Preise, die längst wieder auf das Niveau vor der Ukraine-Krise zurückgefallen sind. Die Kosten für Betriebsmittel seien hingegen immer noch hoch, klagte Lorenz Mayr, oberster Bauernvertreter in der AMA. „Dünger kostet immer noch 71 Prozent mehr als vor der Krise“, nannte er ein Beispiel. Bei anderen Betriebsmitteln sei es kaum anders.

Für die Bauern heißt das, dass unter dem Strich heuer deutlich weniger bleibt. Der sogenannte Deckungsbeitrag, also das, was von den Erlösen nach Abzug der Kosten bleibt, hat sich gegenüber dem Vorjahr oft mehr als halbiert. Die Landwirtschaftskammer Oberösterreich rechnet vor, dass der Deckungsbeitrag bei einem Weizenertrag von 7,2 Tonnen pro Hektar heuer mit 320 Euro je Hektar um gut 200 Euro oder knapp 40 Prozent niedriger liegt als im Durchschnitt der Jahre 2017–2021. Unter Berücksichtigung der Inflation komme man gar auf ein Minus von 50 Prozent. Bei Wintergerste rasselte diesen Berechnungen zufolge der Deckungsbeitrag um mehr als 80 Prozent auf gerade einmal 79 Euro herunter.

Schwer unter Druck sind aktuell die Biobauern. Witterungsbedingte Pilzkrankheiten, die bei Getreide kaum bekämpfbar sind, sorgten vielerorts für schlechte Erträge. Dazu kamen Preise, die teilweise unter denen von konventioneller Ware lagen, weil die Lager schon vor der Ernte gut gefüllt waren und die Nachfrage mit dem Angebot nicht Schritt hält. „Man sieht, dass es da nicht nur um Förderungen geht“, sagt Griesmayr. „Man darf nicht ausblenden, dass auch bei Bio das Angebot der Nachfrage folgen soll und dass man nicht einfach nur mehr produziert.“ In nächster Zeit würden Diskussionen geführt, wie es weitergehe.

Diskussionen werden auch immer noch um das AMA-Gütesiegel für Getreide geführt. Obwohl von allen Ackerbauern bereits im Vorjahr dafür fünf Euro pro Hektar einbehalten wurden, ist das Projekt noch nicht in trockenen Tüchern. Nur 6600 Bauern nehmen am Programm teil. Es seien noch nicht alle Richtlinien von der EU genehmigt, sagt Griesmayr. Auch mit den Marktteilnehmern wie Mühlen und Backwarenherstellern liefen noch Gespräche. „Das Getreide liegt jetzt einmal in den Silos und wartet auf die Vermarktung.“

Im Spätherbst, heißt es, sollen erstmals Mehl, Brot und Gebäck mit dem neuen Siegel, das österreichische Herkunft garantiert, auf den Markt kommen. Frühestens dann wird sich zeigen, ob die Bauern mit einem Preisaufschlag rechnen können.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 7. August 2024
 
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