Was bisher eine gängige Vermutung war, wurde jetzt erstmals wissenschaftlich untermauert. Eine Untersuchung der Linzer Johannes Kepler Universität bestätigte, dass beim Kauf regionaler, biologisch hergestellter und qualitativ hochwertigen Lebensmittel bei den Konsumentinnen und Konsumenten Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Demnach geben 47 Prozent der Befragten zu, dass sich bei ihnen Einstellung und Einkaufsverhalten nicht decken. Aber es ist nicht nur das. Gleich 72 Prozent gehen davon aus, dass nicht nur bei ihnen, sondern auch bei den anderen, Einstellung und konkretes Einkaufserhalten nicht übereinstimmen.
Österreichischer
hätte das Ergebnis der Studie nicht sein können – wenn man selbst in
Erklärungsnot ist, zeigt man gerne mit dem Finger auf die anderen. „Die sind ja
noch schlimmer“.
Man
ahnt, dass das nicht nur beim Einkaufen von Lebensmitteln gilt, sondern auch
bei Kleidung, beim Klimaschutz und vielem anderen. Ganze Dörfer und Kleinstädte
gehen seit Jahren wegen dieser Haltung unter, Bauern auch und kleine Händler,
nicht nur Lebensmittelhändler, und Gewerbetriebe, Wirte auch und alle anderen,
die sich auf das verlassen haben, was allerorten von den Konsumenten und auch
von der Politik versprochen wurde. Weil überall Anspruch und Wirklichkeit
auseinanderklaffen und oft nicht zusammenpasst, was versprochen und was dann
wirklich getan wird.
Und
überall hat man allerhand Ausreden und Erklärungen dafür. Die hohen
Lebenshaltungskosten, die Preise – man findet immer etwas, um zu entschuldigen,
warum bei einem Denken und Handel auseinanderklaffen. „Begründete
Scheinheiligkeit“ wird das genannt.
Oft
ist es freilich auch Gedankenlosigkeit. Just die ÖVP, deren Bauernbund nie müde
wird darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist heimisch zu kaufen, sorgt derzeit
in der Bauernschaft für Staunen. Der Zucker in den kleinen Säckchen, die
derzeit überall im Land von den Wahlhelfern in allem Haushalten verteilt
werden, ist nämlich ganz anders als man meinen möchte, nicht aus Österreich.
„Die süße Wahl“ steht in großen Lettern auf dem kleinen Säckchen und ganz klein
daneben „Zucker aus anderer Herkunft“. Ausgerechnet.
Man
ist es gewohnt in diesem Land und man nimmt es hin. Das Umfragergebnis aus
Linz, die Zuckersackerl der Volkspartei, sie fügen sich in eine Linie. Ein
bisserl Augenzwinkern allerorten, ein bisserl schlampig. Anspruch und
Wirklichkeit sollen übereinstimmen, man soll nicht einfach gedankenlos handeln?
Ja eh – wenn es passt. Man ist es gewohnt, dass allerorten Wasser gepredigt
aber Wein getrunken wird.
Das
gilt ganz unten und ganz oben genauso. Das gilt am Stammtisch, beim
Kaffekränzchen, im Sportplatzbuffet und in der Politik. Man redet den anderen
gerne nach dem Mund, man weiß was man wo zu sagen hat und was man wo nicht
sagen darf. Weil man Anerkennung will, weil man unangenehme Fragen oder
Diskussionen gar vermeiden will. Viele trauen ich meist nicht sagen, was sie
wirklich denken, viele wollen das auch gar nicht. Man redet herum, man weicht
aus, man duckt und man drückt sich. Man legt bei anderen gerne die Latte hoch,
hat aber keine Probleme drunter durchzugehen, wenn‘s um einen selbst geht. Die
Landwirtschaft kann ein Lied davon singen, die Wirtschaft auch und, ja, auch
die Politik.
Selbst
die Meinungsforscher haben damit zu kämpfen. Nicht zuletzt deshalb lagen sie
bei den jüngsten Wahlen oft so deutlich daneben - die Befragten sagen ihnen
immer öfter auch unter Zusicherung der Anonymität nicht, wie sie sich wirklich
denken und wählen. Das gilt auch für die kommenden Nationalratswahlen. Bei den
Prognosen muss man diesmal vor allem einkalkulieren, dass viele nicht sagen
wollen, dass sie Kickl wählen.
Auf
diese Art und Weise sind in den vergangenen Jahren im ganzen Land quer durch
alle Gesellschaftsschichten regelrechte Parallelwelten entstanden. Nicht nur
unter Ausländern, die in Österreich leben und die dafür von manchen so gerne
kritisiert werden, sondern auch und vor allem unter Österreicherinnen und
Österreichern. Kreise, in denen man sich unter sich wähnt und in denen man
redet, wie man sonst nicht reden würde.
Nicht
zuletzt deshalb wohl ist vieles in diesem Land unberechenbar geworden. In der
Politik und in der Gesellschaft. Anspruch und Wirklichkeit klaffen immer weiter
auseinander – auch weil die „begründete Scheinheiligkeit“ längst für allzu
viele zur Grundhaltung geworden ist.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 19. September 2024
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