Der Wahlkampf, man sagt es in diesen Tagen so, ist in der Zielgeraden. Hektik allerorten, Analysen, mehr oder weniger klug, zuhauf, Fernsehduelle, Elefantenrunden, Spekulationen über künftige Koalitionen. Aber das Ziel dieser Geraden, von der die Rede ist - dieses Ziel wird man wohl verfehlen. So viel scheint jetzt klar. Es wird wohl ein Wahlergebnis geben, das mehr Unsicherheit bringt als die Klarheit, die sich viele Menschen in diesem Land so wünschen und die es auch bräuchte. Wie die Dinge liegen, scheinen wir eher auf instabile Verhältnisse zuzusteuern. Wie immer sich die künftige Regierung zusammensetzen wird, sie wird in jedem Fall mit einer erbitterten Opposition zu tun haben.
Es liegt Unsicherheit über dem Land. Bis wir eine neue Regierung haben, wird es Monate dauern. Wie sie ausschauen wird und ob sie auch von der Bevölkerung akzeptiert wird, ist schwer zu sagen. Niemand weiß, wie das Land wirklich reagiert, wenn Kickl tatsächlich gewinnen sollte oder es gar wieder zu einer schwarzblauen Koalition kommt, zu diesem Rechtsruck, der von manchen als der Schrecken schlechthin an die Wand gemalt wird. Und schon gar niemand weiß, was sein wird, wenn ihm das Regieren verweigert wird. Drohen uns unruhige Zeiten? Chaos gar?Die Situation, wie wir sie jetzt in dieser Woche vor den Nationalratswahlen vorfinden, ist ein Spiegel der Politik der vergangenen Jahre. Der raue Ton, die oft spürbare gegenseitige Verachtung, der mangelnde Wille zur Zusammenarbeit, die dem Land zunehmend zu schaffen machten. Man flickte sich sehr viel lieber gegenseitig ans Zeug, als dass man die Energie darein setzte, für das Land etwas weiterzubringen. Man setzte die Energien vornehmlich dafür ein, die Mitbewerber zu Versagern zu stilisieren und sie als Gefahr für die Zukunft zu stigmatisieren, denn diese Zukunft anzugehen.
Darin spiegelt sich freilich auch, dass die Erwartungen und Wünsche der Österreicherinnen und Österreicher in den vergangenen Jahren zuweilen nachgerade diametral auseinandergelaufen sind. Selten, und das macht die Wahlen am kommenden Sonntag auch so spannend, sind sie so wenig in eine Richtung gegangen wie diesmal. Das hat auch damit zu tun, dass die Politik das Trennende vor das Gemeinsame stellte. Gräben gehen heute durch die Gesellschaft, um die zuzuschütten sich kaum jemand kümmern mag.
Die Hochwasserkatastrophe in Niederösterreich brachte zuletzt etwas Ruhe in den hitzigen Wahlkampf. Die unfreiwillige Wahlkampfpause tat gut. Sie zeigte auch, wofür es die Politik braucht und dass es sie braucht. Allerorten ergeht man sich freilich seither in Spekulationen über die möglichen Auswirkungen der Katastrophe auf das Wahlergebnis. Aber wackeln mit einem Mal wirklich alle Prognosen, wie es manche meinen? Profitieren wirklich die Regierenden von so einer Situation? Wer hat was richtig gemacht in diesen Tagen und wer etwas falsch?
Man ist geneigt zu meinen, dass der Kanzler davon am meisten profitieren konnte, weil seine Rolle als Verantwortlicher für das Land auf allen Kanälen zu sehen war. Aber auch der Spitzenkandidat der SPÖ gewann in diesen Tagen an Profil. Die Bilder von ihm in Feuerwehruniform wirkten authentisch und dass man nun im ganzen Land weiß, dass er sogar Feuerwehrmitglied ist, gereicht ihm sicherlich nicht zum Schaden. Und sein Einsatz findet immer mehr Anerkennung. Der freiheitliche Spitzenkandidat hingegen wirkte in seinem Statement in seinem Holzfällerhemd in einem schlecht ausgeleuchteten Hinterzimmer mehr beliebig als betroffen. Ganz abgesehen davon, dass die Ereignisse der vergangenen Tage seine Einschätzung zum Klimawandel eindrücklich konterkarierten. Die Grünen hingegen könnten die Bilder von der Katastrophe vor dem Untergang gerettet haben, zeigten sie doch eindrücklich, dass ihre Warnungen und ihre Ideen durchaus ihre Berechtigung haben.
Nach den vergangenen zwei Wochen ist nicht unwahrscheinlich, dass das Wahlergebnis doch sehr viel enger ausfällt, als man bisher meinte und als es die Prognosen vorhersagen. Schon das Ergebnis der Europawahlen zeigte das. Entgegen allen Erwartungen rückte die ÖVP auf 0,9 Prozent an die Freiheitlichen heran. Und auch die SPÖ lag nicht wirklich weit dahinter.
Am Sonntagabend wissen wir mehr - ob Österreich wirklich anders wird, wie sich das viele wünschen, wird sich erst danach weisen.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 26. September 2024
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen