Donnerstag, 23. Januar 2025

Von der Volkspartei zur Nanny des "Volkskanzlers"?

Seit Montag dieser Woche verhandeln FPÖ und ÖVP über eine künftige Koalition. Ohne großes Tamtam. Man versucht, so der Eindruck, den Ball flach zu halten, wie es so schön heißt. Der Chef der Freiheitlichen schlägt neue Töne an. Da ist nichts mehr von den schulmeisterlichen Ansagen wie in seiner ersten Pressekonferenz, als er den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen hatte. Die Töne, die vom neuen Chef der Volkspartei zu hören sind, sind leise. Zuletzt hieß es immerhin "Ich bin nicht die Nanny der FPÖ". Stocker will offenbar Land gewinnen.

Und dennoch gilt immer noch, was in einem Leitartikel der vergangenen Woche im Kurier festgestellt wurde -"Neben Kickl wirkt die ÖVP sehr klein." Eindrücklich ist das bei allen gemeinsamen Auftritten von FP-und VP-Politikern vor Kameras zu erleben, wenn Letztere neben Kickl oder Leuten wie dem FP-Budgetexperten Hubert Fuchs wie Ministranten wirken.

Da nimmt nicht wunder, dass die Partei nicht zur Ruhe kommen mag. Viele hadern nach wie vor damit, dass jetzt mit Kickl verhandelt wird. Die Zahl derer, die ein Scheitern der Verhandlungen für möglich halten, scheint nicht gering zu sein. Es wirkt ab und an, als nehme der Widerstand in der ÖVP gegen eine Koalition mit Kickl Fahrt auf. Und es scheint immer mehr zu geben, die glauben, dass es auch mit dieser Koalition nichts wird. Manche glauben gar erkennen zu können, dass sich auch bei Kickl Zweifel breit machen, weil er neue Töne anschlägt und Fristen nach hinten hinaus verlängert.

Es grummelt in der Volkspartei. Viele beschreiben gerne mit "Kopfweh" und anderen Leibschmerzen, was die Koalitionsverhandlungen mit einem machen. Manche werden aber inzwischen auch deutlicher. Ende vergangener Woche ließ Josef Moosbrugger, als Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich nicht nur oberster Bauernvertreter, sondern auch Mitglied des ÖVP-Präsidiums, aufhorchen, als er Klartext in Richtung FPÖ redete und unter anderem einen Preisdeckel für Lebensmittel, wie ihn die FPÖ auch schon forderte, als klares "No-Go" für eine Koalition abkanzelte.

Sogar aus der Industriellenvereinigung und aus der Wirtschaft, die von vielen als maßgeblicher Betreiber von Blau-Schwarz gesehen werden, kommen inzwischen neue Töne. Ganz so, als hätte sich nach der ersten Euphorie nun nach dem ersten Auftritt Kickls doch Fracksausen breitgemacht. "Es geht um eine starke Stimme Österreichs in der EU", wird inzwischen selbst der Präsident der IV nicht müde zu betonen. Eine Festung Österreich könne kein Ziel sein, man brauche qualifizierten Zuzug.

Von "ehernen Grundsätzen", die "nicht verhandelbar" seien, spricht auf einmal der Wirtschaftskammerpräsident, was freilich nach der 180-Grad-Wende vor drei Wochen nicht ohne Pikanterie ist. Man wird auf einmal nicht müde, den Wert der Werte zu betonen, jenen des Rechtsstaates und jenen der Demokratie. Und sogar, "dass die FPÖ in der Regierung ihre Einstellung zum Klimaschutz überdenkt", wünscht sich mancher Proponent der Wirtschaft.

Mag sein, dass all das echt ist, was da auf einmal an Sorgen und Forderungen geäußert wird, mag aber auch sein, dass man damit nur Positionen für die Verhandlungen abstecken will. Wie auch immer. Es ist nicht alleine das. Immer mehr wird bewusst, mit wem man sich da eingelassen hat.

Aber reicht das dafür, dass die Koalition noch platzen könnte? Das ist wohl eher zu bezweifeln. Auch weil man sich in Situationselastizität übt. Von "Verantwortung" ist viel die Rede, von "Realismus" und von "Handlungsfähigkeit", die für das Land zu erhalten sei. Man sieht keine Alternative und fürchtet die Gefahr, bei Neuwahlen völlig unterzugehen. Das vor allem.

Aber könnte die Volkspartei nicht gerade daran wieder erstarken, dass sie doch Haltung zeigt und Charakter und sich auf einen anderen Weg einlässt? Reden davon mag noch niemand so recht.

Eher ist wohl doch zu erwarten, was derzeit noch als Forderung oder gar No-Go formuliert wird, eingeschliffen und passend gemacht wird. Kickl sagt ja schon jetzt, dass er für Europa ist und mit Moskau nichts am Hut hat. Und für die Ukraine wird sich auch noch ein Wording finden. Das wird dann wohl reichen für die ÖVP, mit ihm zu gehen.

Darum sollten sich die, die sich Hoffnung machen, nicht allzu große Hoffnung machen, dass die Verhandlungen noch scheitern.

Aber hoffen darf man freilich immer.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 23. Jänner 2025

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