Donnerstag, 4. Dezember 2025

Ein Mann sieht rot – und ein Land auch

Ein Mann sieht rot. Nicht immer, aber immer öfter. Und er ist nicht alleine in Österreich. „Ich stehe mit vier Leuten auf dem Feld und ich bin der Einzige, der etwas erzeugt, verkauft, davon auch lebt und davon seine Steuern zahlt“, schimpft er. „Die, die meinen Grund wollen, genauso wie die von der Finanzprokuratur, die denen beistehen, und auch die von der Landwirtschaftskammer, die auf meiner Seite sind“.

Die Stimmung ist kaputt, der Glauben an die Zukunft geschwächt, der Regierung fehlen Kraft und Vertrauen.“

Der Gute kommt gerade von einer Enteignungsverhandlung, der vierten oder fünften, und ist geladen. Es geht um ein großes öffentliches Bahn-Infrastrukturprojekt, bei dem die Kosten längst völlig aus dem Ruder gelaufen sind, weil man die partout nicht hören wollte, von denen man Grund brauchte. Man gängelte sie lieber über Jahre dahin, provozierte sie mit Geringschätzung, mit allerlei Tricks und billigen Gutachten. „Die haben nichts anderes zu tun als uns zu quälen“, sagt er. „Die klagen jetzt nicht das erste Mal gegen Gutachten, die sie selbst in Auftrag gegeben haben, natürlich auf Kosten der Staatsbürger“, schimpft er. „Dabei haben sie bis jetzt jedes Mal verloren.“ Und da redet er noch gar nicht davon, dass die Bauarbeiten trotzdem schon begonnen haben und dass man das Geld immer noch zurückhält.

Was er erlebt, ist „Austria in a Nutshell“, wie man so schön sagt. Es ist alles da in dieser kleinen Nussschale. Vorschriften und Gesetze zuhauf, Verwaltung und Bürokratie bis zum Abwinken, Fortschritte, die zuweilen nur unterm Mikroskop erkennbar sind, und explodierende Kosten. Das sowieso. Und ein frustrierter Bürger, der wiewohl guten Willens, das alles nicht mehr versteht und nicht mehr verstehen mag. Und der dafür auch nicht mehr bezahlen mag.

Schon gar nicht, nach dem, was er gerade kurz zuvor auch erlebte. „Jetzt hat mir ein Inkassobüro geschrieben wegen des Haushaltsbeitrags für den ORF, den meine Firma bezahlen soll, obwohl ich gar nicht wüsste, was wir dort mit einem Fernseher tun sollen. Und für das wenige ORF online zahlt wohl jeder einzelne Mitarbeiter schon in seinem Haushalt. Ich kann mich jedenfalls an so eine Vorschreibung nicht erinnern.“ So weit, so schlecht, so haben es auch andere schon erlebt. „Und als ich dann angerufen habe, hat man mir dann im Callcenter gesagt, dass sie nicht sagen können, ob sie mir die Vorschreibung überhaupt geschickt haben.“

„Austria in a Nutshell“ – auch das. Die linke Hand weiß oft nicht, was die rechte tut. Und das gar nicht selten.

Der gute Mann war damit aber noch nicht am Ende. „Und da denkt man an Steuererhöhungen und gar neue Steuern, und streicht vielleicht da und dort was“, greift er sich an den Kopf. „Das tut man doch alles nur, um das derzeitige System beibehalten zu können, um nichts umstrukturieren, um nichts neu ordnen zu müssen – genau das System, das so vieles blockiert, so vieles verhindert, so teuer und das oft so abstrus ist.“ Für ihn ist klar: „Das ist an Absurdität nicht zu toppen.“

Er setzt nun auf einen der größten Ökonomen, den das Land je hervorgebracht und der auch internationale Anerkennung erlangt hat, und hält für unausweichlich, dass nur mehr das Schumpeter’sche Gesetz das Land retten kann – das „Gesetz von der schöpferischen Kraft der Zerstörung“, die Neues hervorbringt.

Viele im Land sehen das wohl ähnlich. Und es werden immer mehr. Die Stimmung ist kaputt, der Glauben an die Zukunft geschwächt, der Regierung fehlen Kraft und Vertrauen. Die Umfragen bestätigen das. Die Volkspartei und die SPÖ haben zuletzt in Umfragen historische Tiefststände erreicht. Nicht einmal zusammen können sie mit mehr Wählerinnen und Wählern rechnen als die FPÖ, die immer höher fliegt. Alles schaut danach aus, als werde Kickl die „Kraft der Zerstörung“ und als werde er als solche von immer mehr gewünscht. Man will nicht noch mehr vom Alten, sondern ist zunehmend bereit, stattdessen lieber die Unsicherheit und den Systembruch in Kauf zu nehmen – oft in der Hoffnung, dass das nur eine Zeit des Durchtauchens werde, auf dass sich der Staat und das Gemeinwesen und auch die Politik danach wieder erfangen.

Es sind schon zu viele in diesem Land, die rot sehen. Und die nicht mehr bereit sind, bei all den Gängelungen mitzuspielen und gute Miene zu zeigen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 4. Dezember 2025

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1