Freitag, 31. August 2012

Salzburgs Bauern als Gewinner





Vereinheitlichung der Förderung pro Hektar bringt kräftige Umschichtungen

Wels (SN-gm). Die heimischen Agrarier haben sich auf ein Modell zur Angleichung und Vereinheitlichung der Prämien, die direkt aus Brüssel kommen, geeinigt. Ackerland und intensives Grünland werden in Zukunft gleich behandelt. Nach derzeitigen Berechnungen werden die Bauern dafür nach Ende der Übergangsphase ab 2019 zwischen 290 und 300 Euro je Hektar erhalten. Bisher lagen die Prämien je nach Produktionszweig oder Region teilweise weit darüber oder darunter. Für produktionstechnisch weniger wertvolle Flächen, wie sogenannte Hutweiden, Bergmähder und Wiesen, die jährlich nur ein Mal gemäht werden, soll es künftig 25 Prozent davon, also rund 75 Euro pro Hektar geben.

Aus diesem flächenbezogenen Konzept sollen in Zukunft die rund 400.000 Hektar Almen herausgenommen werden. Nach den Schwierigkeiten mit der Flächenfeststellung, die zum Teil zu hohen Prämienrückzahlungen führte, wird die Förderung auf die tatsächlich auf der Alm gehaltenen Tiere abgestellt. Für Milchkühe soll es dabei höhere Prämien geben. Insgesamt will man mit den derzeit für die Almflächenförderung aufgewendeten 35 Mill. Euro auskommen. Nicht mehr vorgesehen sind produktionsbezogene Koppelungen der Prämien wie derzeit für die Mutterkuhhaltung.

Das neue System lässt in der Agrarförderung keinen Stein auf dem anderen, gilt aber im Vergleich zu anderen diskutierten Varianten als die für alle Bauern verträglichste.

Zu den Gewinnern des neuen Systems zählen vor allem die westlichen Bundesländer. Nach Ende der Übergangsperiode dürfen sich die Salzburger Bauern insgesamt über rund ein Drittel mehr Agrarförderungen freuen als derzeit. Mit einem Plus von gut 35 Prozent liegt nur Tirol höher. Einbußen gibt es vor allem für die beiden größten Agrarländer Niederösterreich (geschätzt minus acht Prozent) und Oberösterreich (minus zehn Prozent).

„Wichtig ist uns die Verhältnismäßigkeit zwischen den Regionen und die Schaffung ausgewogener Perspektiven“, sagte Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich. Die Verschiebung der Mittel Richtung Westen bedeute nicht, dass dort automatisch alle Bauern zu Gewinnern und alle in Ober- und Niederösterreich zu Verlierern gezählt würden. Die Entwicklung könne von Betrieb zu Betrieb und von einen Produktionszweig zum anderen sehr unterschiedlich ausfallen, sagte Berlakovich.

Notwendig ist die Umstellung, weil die EU ein Abgehen vom sogenannten historischen Modell verlangt, das sich bei der Gestaltung der Flächenprämien auf die Markt- und Produktionsverhältnisse in den Jahren 2000 bis 2002 bezog. Endgültig fixieren will man das Modell erst nach dem Beschluss der Agrarreform. Berlakovich: „Bis dahin gilt der Grundsatz, es ist so lang nichts vereinbart, bis alles vereinbart ist.“
Salzburger Nachrichten .- Wirtschaft, 31. August 2012

Donnerstag, 30. August 2012

Milchquote kostete die Bauern 750 Mill. Euro


 

 

Das auslaufende Milchquoten-System war nur teuer. Die Zukunft der Milchbauern liegt in einer Ausweitung der Produktion.
 
GMEINERWels(SN).Die heimische Milchwirtschaft steht vor einem markanten Expansionsschub. Die Milchbauern werden ihre Erzeugung in den kommenden acht Jahren deutlich erhöhen müssen, um wirtschaftlich bestehen zu können. Verantwortlich dafür sind die bevorstehende EU-Agrarreform und das damit einhergehende Ende des Lieferrechtssystems. Statt durch Quoten beschränkt zu sein, können die Bauern in Zukunft liefern, was sie für notwendig halten. Beschränkend ist allenfalls die zur Verfügung stehende Fläche. „Das ist die neue Quote“, sagt Leopold Kirner vom Institut für Agrarwirtschaft des Landwirtschaftsministeriums. Er analysierte in einer Studie Chancen und Risken der Milchwirtschaft.

Anders als viele Bauern sieht Kirner das Ende der Quote als Befreiung und Chance für die Landwirtschaft und nicht als Gefahr. Große Auswirkungen auf die Preise erwartet er nicht. „Die Milchquote kostete die Bauern sehr viel Geld“, sagte der Experte am Mittwoch bei der Präsentation der Studie bei der Landwirtschaftsmesse in Wels. „Den Milchpreis stabilisiert die Quote schon lang nicht mehr.“ Vorsichtigen Schätzungen zufolge zahlten die österreichischen Bauern in den vergangenen zehn Jahren für den Zukauf von Quoten und für Strafen, die bei Überlieferung fällig wurden, rund 750 Mill. Euro.

Kirner sieht die Zukunft für die Milchbauern gelassen. „Die Betriebe haben große Reserven“, sagt er. „Ohne große Investitionen oder Aufstockung des Viehbestands können die meisten Bauern praktisch von einem Tag auf den anderen die Produktion um rund 15 bis 20 Prozent erhöhen, um die steigenden Kosten auszugleichen“.

Kirner erwartet, dass sich europaweit die Milchproduktion in Zukunft noch stärker als bisher in Grünlandstandorte verlagern wird. Das gilt auch für Österreich. Hier wandert die Milchproduktion seit Jahren ins Berggebiet. So wuchs in Salzburg im Pinzgau und im Lungau die Milchproduktion zuletzt am stärksten.

„Österreich hat eine gute Ausgangsposition für eine erfolgreiche Milchproduktion“, sagt Edith Klauser, Sektionschefin im Landwirtschaftsministerium. „Wir haben uns früh höchster Qualität verschrieben und sind Vorreiter bei der Produktion nicht gentechnisch veränderter Milch sowie bei Bio.“

Gelassen sehen auch die heimischen Milchverarbeiter die Entwicklung. „Wir rechnen mit zehn bis 20 Prozent mehr Milch“, sagt Helmut Petschar, der Sprecher der heimischen Molkereien. Die Absicherung des Markts durch regionale Spezialitäten, der Ausbau der Exporte und die verstärkte Zusammenarbeit in der Branche stehen im Mittelpunkt der Strategie, mit der die Molkereien die Milchflut bewältigen wollen. Anton Wagner, Obmann der Rinderzüchter, teilt diese Einschätzungen grundsätzlich. Finanziell dürften die Rinderhalter bei der EU-Agrarreform und bei der Umschichtung des österreichischen Fördersystems dennoch nicht zu kurz kommen, verlangt er. Je nach Berechnungsmodell für die anstehende Angleichung der Flächenprämien drohen Milchbauern Förderkürzungen bis zu 56 Prozent. Wagner verlangt insbesondere eine Berücksichtigung des Arbeitseinsatzes bei der Agrarförderung. „Das Arbeitseinkommen in einem Marktfruchtbetrieb ist doppelt so hoch wie in der Milchwirtschaft“, sagt er. „Das muss in der Gestaltung des Ausgleichszahlungssystems berücksichtigt werden.“

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 30. August 2012

Wo sind die Spielverderber?





"Jugendcheck“ heißt die neue politische Wunderwaffe. Alle Gesetze müssen künftig, so sieht es der Plan von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner vor, auf ihre Auswirkungen auf die Jugend hin geprüft werden. Erst dann dürfen sie in die Beschlussfassung. Schon jetzt darf man neugierig sein, wie das künftig etwa beim Budgetgesetz laufen wird, hat doch kaum ein anderes Gesetz derart weitreichende Auswirkungen auf die kommenden Generationen. Und da tut die Generation, die derzeit am Ruder ist, nachgerade so, als ob es die nicht gäbe.

Die Entwicklung der Zahlen und damit der Generationenlast ist so beeindruckend wie erschreckend. Mitte der 1950er Jahre, als die Generation, die heute in Österreich in Pension geht, zur Welt kam, betrug die Finanzschuld des Bundes gut dreizehn Milliarden Schilling. Das war damals ungefähr so viel, wie heute sieben Milliarden Euro wert sind. Pro Kopf machte das zu heutigen Preisen 1.000 Euro aus. Heute haben die Mädchen und Buben, die in diesen Tagen in diesem Land ihren ersten Schrei machen, schon ein Schuldenpackerl von 30.000 Euro in der Wiege liegen. Man mag gar nicht ausrechnen, wie das weitergehen wird, zumal es gerade einmal zehn Jahre her ist, dass die Schuldenlast pro Kopf gerade halb so groß war.

Es ist nachvollziehbar, dass immer mehr Menschen Angst und bang wird in Zeiten wie diesen, wo so viel mit Zahlen herumjongliert wird, die man auf den ersten Blick ob ihrer vielen Nullen gar nicht mehr benennen kann. Alleine die Entwicklung der Relation zwischen Staatsschulden und Steueraufkommen, aus dem sie bedient werden müssen, könnte einem die Ganselhaut aufziehen.

Die Staatsschulden der Republik Österreich haben heuer ein Volumen von unvorstellbaren 225 Milliarden Euro erreicht. Das ist 2,71 Mal so viel, wie die jährlichen Steuereinnahmen, die mit 82,7 Milliarden Euro in Österreich - alle wissen es und viele leiden darunter - ohnehin nicht gering sind. Diese Relation könnte, man denke nur an die Haftungen, die Österreich im Zug der Eurokrise übernommen hat, bald sehr viel schlechter und die Steuerlast noch sehr viel höher sein.

Aber Forderungen nach Zuschüssen, Ausgleichszahlungen, Renten und Förderungen werden in diesem Land, mit ein paar populistischen Abstrichen allenfalls, immer noch bedient, als gäbe es kein Morgen. Alle greifen gerne zu und alle greifen so gerne zu, weil die anderen auch zugreifen. Stopp sagt niemand. Und wer‘s dennoch versucht, wird als Spielverderber angeprangert.

Es wäre hoch an der Zeit, dass sich die kommenden Generationen für das Spiel derer interessieren, die es mit ihrem Anspruchsdenken geschafft haben, aus den gut 1.000 Euro Schulden, die sie bei ihrer Geburt hatten, im Lauf ihres Lebens 30.000 zu machen, das nun den Jungen einfach umhängen und für den Rest ihrer Tage weiterhin ungehemmte Alimentierung verlangen.

Doch von den Jungen ist wenig zu hören. Viel zu wenig. Die Jugendorganisationen der Parteien sind keine Einrichtungen der Erneuerung und der Weiterentwicklung, sondern dienen in praktisch allen Fällen zu nichts anderem, als das künftige Wahlvolk möglichst stromlinienförmig im Sinne der Partei-Interessen auszurichten.

Eine garantierte Altersversorgung ist es, die junge Menschen erwarten, Bildung und Jobs. Tun will man wenig dafür. Politisches Engagement ist nicht das, was in der Lebensplanung der Jungen ganz oben steht. Zu verargen ist es ihnen nicht, zumal sie und ihre Meinungen durchaus nicht überall so willkommen sind, wie das in Sonntagsreden gerne kundgetan wird.

Das sollte aber kein Grund sein, nichts zu tun. Denn sonst überlässt man das Feld womöglich genau denen, die einem die Politik nicht nur vergällen, sondern die die Zukunft vollends verbauen. Die Gefahr dafür ist sehr hoch. Denn derzeit gilt wohl bis auf ganz wenige Ausnahmen uneingeschränkt, was Salzburgs Bürgermeister Heinz Schaden, ein Sozialdemokrat, aus dem Innersten seines Herzens auf die Frage nach Jungpolitikern von sich gab: "Wenn ich mir so den Nachwuchs anschau: Boah! Das Personal wird nicht besser, fürchte ich.“

Das sollte die Generation, die mit einem Handicap 30.000 Euro in die Welt und ins Berufsleben startet, nicht hinnehmen. Das Leben sollte doch mehr bieten, als Schulden zurückzuzahlen, noch dazu solche, die man selbst gar nicht gemacht hat.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. August 2012

Freitag, 24. August 2012

Bauern vor großen Änderungen


 

Der heimischen Landwirtschaft stehen große Anpassungen bevor. Spannungen zwischen den Bauern sind programmiert.

HANS GMEINER Salzburg (SN). Lang bevor Finanzstaatssekretär Andreas Schieder der Landwirtschaft einen „heißen Herbst“ ankündigte, sprach Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich davon. Er weiß längst um die Herausforderungen, vor denen die Agrarpolitik steht. Vor allem die Anforderungen, die in Österreich selbst zu bewältigen sind, haben großes Sprengpotenzial in der Regierungskoalition und in der Bauernschaft. 


1 Einheitswerte
 Die Voraussetzungen für die bis 1. Jänner 2014 fällige Feststellung der Einheitswerte für die Landwirtschaft sind nur zum Teil erfüllt. Die Landwirtschaft hat zwar ein neues Modell, es fehlt aber an Bewertungsrichtlinien, die bei der Neufeststellung angelegt werden sollen. Nach viel Streit um das Bewertungsgesetz gibt es nun doch Bewegung. Eine Einigung soll bevorstehen.
 Insgesamt soll die Summe der Einheitswerte, die Grundlage für die Festlegung von Steuern, Abgaben und Sozialversichungsbeiträgen gleich hoch bleiben, wünscht sich die Landwirtschaft. Grund und Boden sollen in der Bemessung in Zukunft weniger Gewicht haben, der Tierbestand und die Ausgleichszahlungen aus Brüssel mehr. Tendenziell hätten die Bauern in Ostösterreich Entlastungen zu erwarten, während es im Westen zu größeren Belastungen kommen kann. 

 2 Besteuerung 
 Für heftige Diskussionen sorgt, dass Bauern mit einem Einheitswert von bis zu 100.000 Euro die Möglichkeit haben, ihre Steuern pauschal zu ermitteln. Basis dafür ist ein bestimmter Prozentsatz des Einheitswerts oder der Verkaufserlöse pro Jahr. Kritiker wie die Arbeiterkammer sehen darin ein Steuerschlupfloch und verlangen eine Besteuerung aufgrund einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung. Statt eines Steueraufkommens von derzeit 45 Mill. Euro werden dann 300 bis 400 Mill für möglich gehalten. Die Landwirte wehren sich. „Die meisten Bauern würden auch dann nicht den Schwellenwert von 11.000 Euro erreichen, der die Steuerpflicht auslöst“, sagen sie. Das sei den bürokratischen Aufwand nicht wert. Zudem fürchten sie um die Sozialversicherung. Würde dort das Einkommen und nicht der Einheitswert als Grundlage genommen, gäbe es für viele Bauern kaum eine Pension, so die Bauernvertreter. Das auszugleichen käme den Staat wesentlich teurer als die relativ geringen Steuerzahlungen. Die Fronten sind einstweilen starr. Bei der 100.000-Euro-Grenze signalisiert die ÖVP Bereitschaft zur Absenkung. Die SPÖ-Bauern wollen eine Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für alle Bauern.

3 Prämienangleichung
Vor dem EU-Beitritt 1995 wurde die bis dahin übliche Stützung der Preise pro Kilogramm Getreide oder Fleisch und Liter Milch möglichst einkommensneutral als Prämie pro Hektar auf die Flächen der Bauernhöfe umgelegt. Weil etwa die Getreidepreise nach Wegfall der Stützung wesentlich stärker sanken als die Milchpreise, wurden die Prämien pro Hektar entsprechend unterschiedlich festgesetzt. Die EU verlangt ein Abgehen von diesem sogenannten historischen Modell. Jeder Hektar soll möglichst gleich viel wert sein. Die Verschiebungen wären enorm. Den Ackerbauern im Osten drohen Verluste in der Größenordnung von bis zu 50 Prozent. Den Bauern von Salzburg westwärts hingegen winken bis zu 100 Prozent höhere Prämien. Entsprechend groß sind die Spannungen in der Bauernschaft.
Umstritten ist auch der Zeitraum der Umstellung. Die Bauern im Westen und die SPÖ plädieren für eine rasche Änderung schon ab dem Jahr 2014, die westlichen Bundesländer wollen eine Übergangsfrist bis 2019, die
Grünen bis 2017.

4 Agrarreform
Die EU-Agrarreform steht im Wesentlichen. Allerdings ist völlig offen wie viel Geld für die Bauern in Zukunft zur Verfügung stehen wird. Für Österreich geht es vor allem um die Finanzierung der zweiten Säule, der sogenannten ländlichen Entwicklung. Aus diesem Topf werden zum Großteil die Umweltprogramme und die Biobauern- und Bergbauernförderung finanziert. Dafür stand bisher im EU-Vergleich überdurchschnittlich viel Geld zur Verfügung, das in Österreich von Bund und Land verdoppelt wurde. Das gilt es abzusichern. Die Kofinanzierungsmöglickeit von 50 Prozent wackelt. Zudem wird von Arbeitnehmervertretern und Wirtschaft kritisiert, dass zu viel Geld in die Landwirtschaft fließe.
 Nichts als eine vage Hoffnung ist, dass Bauern, die am Umweltprogramm teilnehmen, von den sogenannten Greening-Verpflichtungen ausgenommen sind, einem Kernstück der Agrarreform. Wie das im Detail aussehen könnte, ist völlig ungewiss.
Umstritten sind auch die Stilllegung von sieben Prozent der Flächen und die Obergrenze für die Förderungen. Der Kommissionsvorschlag sieht 150.000 Euro pro Betrieb vor. In Österreich will die SPÖ bei 25.000 Euro eine Grenze einziehen, die Grünen bei 35.000.

5 Zeitdruck
All diese Themen müssen innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre gelöst werden. In Brüssel droht zudem eine Verzögerung der Agrarreform, weil kaum damit zu rechnen ist, dass heuer noch eine Einigung auf den EU-Finanzrahmen zustande kommt. Das bedeutet, dass für die Bauern weitreichende Entscheidungen möglicherweise ohne genaue Kenntnis der finanziellen Spielräume gefällt werden müssen.


Salzburger Nachrichten - Wirtschaft 24.August 2012

Donnerstag, 16. August 2012

Krokodile spielen Vabanque





Was die deutsche Kanzlerin tun soll, weiß man genauso, wie man Tipps für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank je nach Bedarf aus dem Ärmel schüttelt. Was die Griechen verdienen, ist eine klare Sache, und warum auch Italien und Spanien im Dreck stecken, ist genauso sonnenklar, wie die Rettung des Euro unmöglich und der ESM ein Schmarrn.

Man staunt über die Expertisen zu Euro und Krise, die einem in diesem Land an den Stammtischen und aus den Medien entgegen hallen und darüber, von wem sie kommen. Offenbar alles Experten, möchte man meinen. Überall Auskenner, überall Leute, die wissen, wie es ginge. Alles bestens also? Mitnichten. Das Land leidet an den vielen dieser "Auskenner“, deren Zahl sich reziprok zu jenen verhält, die tatsächlich was wissen.

Man kann sich oft nur wundern, wer was sagt, zumal die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Qualifikation dafür kaum vorhanden ist. Erst jüngst bescheinigte eine Spectra-Umfrage, in Auftrag gegeben von der OÖ Industriellenvereinigung, den Österreicherinnen und Österreichern einen verheerenden Stand in Sachen Wirtschaftswissen. Demnach sind drei von zehn nicht in der Lage schlüssig zu erklären, was man unter Export versteht. Selbst zwei von zehn Akademikern sind dazu nicht fähig. Mit "Gewinn“ und "Umsatz“ steht man noch viel mehr auf Kriegsfuß. "Nur 56 Prozent und damit gut die Hälfte der Österreicher kann Gewinn klar definieren“, heißt es in der Studie. Und die Hälfte der Maturanten und Akademiker sieht sich außerstande, den Begriff "Umsatz“ zu erklären.

Und selbst mit Begriffen, die gerade in der Diskussion um den Euro von nicht geringer Bedeutung sind und entsprechend häufig in den Mund genommen werden, kann man wenig anfangen. Nur ein Drittel der Bevölkerung weiß, was unter "Staatsverschuldung“ zu verstehen ist, Begriffe wie "Budgetdefizit“ oder "Bruttoinlandsprodukt“ werden gar von drei Viertel der Bevölkerung nicht verstanden.

Aber was beim Euro zu tun wäre, das weiß man dennoch.

Da wundert nicht, dass der Diskurs hierzulande so flach gerät. Mit allen bedenklichen Folgen. Denn eine sich so ungeniert blank zeigende Bevölkerung ist Wachs in den Händen von Politikern, deren Tun sich an der Maximierung der Stimmen orientiert. Das ist ein Fressen für die Mundwerksburschen und Maulhelden an den Rednerpulten und treibt die Gefährdung von Währung und Wirtschaft sehr viel eher an die Spitze als sie abzuwenden. Ein bedrohliches Vabanque-Spiel, zumal sich die allermeisten Politiker mit ihrem Wirtschaftswissen kaum von dem ihrer Wähler abheben und wohl zumeist das Wort von den Blinden, unter denen der Einäugige König ist, gilt. Da verwundert nicht, dass vor allem der schnelle und griffige Sager zählt, zumal das tiefe Wissen nicht vorhanden ist.

Es fehlt an entsprechenden Autoritäten, die mit Fachwissen und nicht mit plumpen Sprüchen überzeugen und denen zu glauben die Menschen bereit sind. Nicht nur in der Politik. Auffällig ist auch, dass sich die ohnehin wenigen Experten kaum am öffentlichen Diskurs beteiligen und es dementsprechend an jeder Autorität fehlen lassen.

Die Gründe dafür sind allzuoft zutiefst österreichisch. Die Experten stehen entweder im Sold von Interessenvertretungen und Banken und sind entsprechend instrumentalisiert. Oder sie haben es sich längst und sehr lauschig in ihren wissenschaftlichen Elfenbeintürmen an den Unis und in Instituten eingerichtet. Von dort aus verfolgen sie lieber bei Kaffee und Kuchen über die Medien das so hilflose wie laute Hin und Her der Argumente, als sich selbst in die Schlacht der Worte zu werfen. Man scheut sich, Stellung zu beziehen und hat Angst davor, sich eine blutige Nase zu holen. Denn das, so viel Verständnis sei den honorigen Herrschaften entgegengebracht, passiert schnell bei dem hohen Maß an Einfluss, den die Politik in Österreich am Wissenschaftsbetrieb hat.

Tragbar ist das freilich nicht, aber ein Grund, sich an der Nase zu nehmen.

Das übrigens sollten alle tun. Vor allem aber die Oberg‘scheiten mit ihren schnellen wie haltlosen Argumenten und die stimmenjagenden Politiker sollten sich das nötige Wissen aneignen und etwas mehr Zurückhaltung an den Tag legen. Sonst müssen sie sich wie weiland ein Abgeordneter im Nationalrat auf Eigenschaften beschränken lassen, die ansonsten Krokodile beschreiben - große Klappe, kleines Hirn.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. August 2012

Mut zum aufrechten Gang






Die Landwirtschaft hat's wohl schon sehr klein beisammen. Wie klein, zeigt ein gut gemeinter Film aus der Werbekampagne der LK Niederösterreich. Unter dem Motto "Landwirtschafft's" will man die Leistungen der Landwirtschaft aufzeigen. Mehr als drei Minuten lang werden zwar jede Menge Zahlen und Schönbilder von Landschaften und aus der bäuerlichen Welt aufgeboten. Bis auf ein paar Sekunden mit einer Kuh auf einer Wiese ist aber kein einziges Tier zu sehen. Kein Schwein, kein Huhn, nichts -ganz so, als ob man sich nicht getraut, zu zeigen, wie die Tiere gehalten werden, um nicht die Konsumenten zu verschrecken.

Die Verunsicherung ist offenbar groß und grenzt immer öfter an Selbstverleugnung. Kein Wunder. Denn längst haben andere das Heft in der Hand und zeichnen bei den Konsumenten ein Bild, das mit der Landwirtschaft, wie sie heute betrieben wird, kaum etwas zu tun hat. "Ja! Natürlich" schickt ein munteres Schweinderl mit flapsigen Sprüchen in die Werbeschlacht. Im Schärdinger-TV-Spot wärmt ein schlaftrunkener Milchbauer mit seinem Atem die Hände, eher er der Kuh ans Euter greift, um sie per Hand zu melken. Und auf schier jeder Verpackung von Lebensmitteln finden sich Fotos von Bergpanoramen, Bauernhäusern und glücklichen Tieren.

"Diese Werbung funktioniert", rechtfertigt man sich bei Verarbeitern und im Handel. "Die Konsumenten fahren drauf ab."

Auch die Bauern machen mit. Vom Ministerium abwärts bis zu den Ortsbauernschaften und Direktvermarktern wird mit Bildern von einer Landwirtschaft geworben, die es längst nicht mehr gibt. Kuschelig, klein, sauber und soooo natürlich.

Was den Konsumenten vorgegaukelt wird, ist, allen Werbeerfolgen zum Trotz, längst zur Bedrohung für die Landwirtschaft geworden. Denn die Landwirtschaft wird daran gemessen. Das Bild aber, das die Konsumenten von den Produktionsweisen in der Landwirtschaft haben, und die tatsächlichen Verhältnisse in den Ställen und auf den Feldern driften immer schneller auseinander. Kein Wunder, dass Konsumenten, die von den Werbebildern eingelullt werden, heftig reagieren, wenn sie erkennen müssen, dass sie eigentlich hinters Licht geführt wurden.

Den Schwarzen Peter haben dann immer die Bauern. Ihnen fällt diese Art der Werbung auf den Kopf. Die heftige und langwierige Diskussion um die Kastenstände bewies das in den vergangenen Monaten eindrücklich. Die Schweinezüchter hatten alle Hände voll zu tun, sich dafür zu rechtfertigen, wie sie Zuchtsauen halten.

Auch in der Agrarpolitik werden die falschen Bilder zu einer zunehmenden Gefahr. Für sie wird es immer schwieriger, gegen Forderungen anzukämpfen, die von den Bildern der Heile-Welt-Landwirtschaft genährt sind. Der Bogen reicht von immer neuen Auflagen und Beschränkungen bis hin zu immer mehr Kontrollen.


Die Bauern sind in der Defensive. Der Druck, zu einer selbstbewussten Darstellung zu finden, die der Realität entspricht, wächst. Sonst geht die Landwirtschaft auch in Zukunft in jeder Diskussion unter.

Die Linie, an die sie sich dabei halten sollte, ist eigentlich einfach. Wenn man was Schlechtes macht, das man sich nicht herzuzeigen traut, soll man es nicht machen. Wenn man davon überzeugt ist, nichts Schlechtes zu machen, dann soll man auch den Mut haben, es zu vermitteln. Auch wenn das ein sehr mühsamer Prozess sein kann. Handlungsbedarf besteht jedenfalls. Wegen der Konsumenten, aber auch wegen der Bauern selbst. Es ist ja kein Zustand, dass immer öfter so getan wird, als sollten sie sich für ihre Produktionsweisen schämen müssen.

Gmeiner meint - Blick ins Land, 16. August 2012

Mittwoch, 8. August 2012

Bauern haben gutes Angebot

 

  

Pädagogische Angebote in Verbindung mit Natur und Tieren liegen im Trend. Genauso therapeutische und soziale Leistungen. Das Feld ist weit, gerade in den vergangenen Jahren hat sich ungeheuer viel getan. Dass sich die Landwirtschaft nun verstärkt darum annehmen will, ist nur logisch. Kaum sonst irgendwo sind die Voraussetzungen so gut wie auf Bauernhöfen. Dabei ist den Bauern viel zuzutrauen. Was sie zu leisten imstande sind, zeigen die Urlaub-am-Bauernhof-Anbieter und die bäuerlichen Direktvermarkter, die den Green-Care-Bauern als Vorbild dienen sollen.
Sie zeigen, dass es auch heute möglich ist, mit dem Umfeld, das ein Bauernhof bietet, und den Produkten, die dort erzeugt werden, Geld zu machen. Ein Bauernhof, die Gebäude und die Umgebung sind wertvolles Kapital. Dass daraus etwas zu machen ist, ist freilich viel zu wenigen Bauern bewusst. Green Care bietet Möglichkeiten dazu.

Darum muss es nicht nur Aufgabe der Agrarpolitik sein, Green Care voranzutreiben, sondern auch der Sozial- und Gesundheitspolitik. Die Aufgaben reichen von der Einbindung ins Sozialsystem über ein Ausbildungsangebot bis hin zur Bereitstellung von Fördermitteln.

Green Care nur als neue Idee der Bauern abzutun, Geldquellen zu erschließen, wäre falsch. Denn das Thema betrifft die gesamte Gesellschaft. Die Bauern haben ein gutes Angebot, können doch solche Projekte einen maßgeblichen Beitrag zur Schaffung von hochwertigen Angeboten und von Arbeitsplätzen auch in Regionen abseits der Zentralräume leisten.

Salzburger Nachrichten Kommentar Wirtschaft, 8. August 2012 

Der Bauernhof wird das Pflegeheim der Zukunft




Green Care. Die Bauern wollen den Trend von Therapie, Pflege und Pädagogik in Verbindung mit Tieren und der Natur stärker nutzen.

Salzburg (SN). Ein Altenpflegeheim mit 14 Plätzen, tiergestützte Therapie für Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen oder einfach ein Kindergarten. Das sind drei Beispiele dafür, wie die Landwirtschaft versucht, den Trend zu sozialen, therapeutischen und pädagogischen Angeboten in Verbindung mit Natur zu nutzen. Unter der Bezeichnung Green Care wollen Landwirte das Angebot in diesen Bereichen ausbauen.

Vorbild sind etwa Urlaub am Bauernhof und die Direktvermarktung, die schon jetzt abseits traditioneller Agrarmärkte das Potenzial der Höfe nutzen.

Green Care wird nicht nur als Jobmotor gesehen, sondern auch als soziales Zukunftsmodell für die ländlichen Regionen. Mediziner orten darin einen möglichen Beitrag für effiziente Strukturen im Gesundheitssystem. In Österreich sind viele Bauern interessiert, aber es gibt noch wenige Betriebe, während es in den Niederlanden bereits mehr als 1000 Green-Care-Höfe gibt. Seite 13

Salzburger Nachrichten Seite 1, 8. August 2012

 

Therapie und Pflege beim Bauern


Green Care. Therapie, Pflege, soziale Dienste und Pädagogik in Verbindung mit der Natur liegen im Trend. Die Bauern wollen das wirtschaftlich nutzen.

HANS GMEINER Salzburg (SN). „Bei uns gibt es den ganzen Tag über den Bauernhofbetrieb als Animationsprogramm“, sagt Petra Steiner. Gemeinsam mit ihrem Mann hat die gelernte Hauskrankenpflegerin vor zehn Jahren den Adelwöhrerhof in Möderbrugg auf dem Triebener Tauern zu einem Heim mit 14 Pflegeplätzen für ältere Menschen mit teilweise schweren körperlichen Beeinträchtigungen gemacht. Die Kühe, Pferde, Schweine und Hasen auf dem Hof, der Bauerngarten, die Wiesen und die ländliche Umgebung spielen dabei in der Betreuung eine wichtige Rolle. „Tiere schaffen es, auch Menschen, die kaum mehr Regungen zeigen, aus der Reserve zu locken“, sagt Steiner.

750.000 Euro hat die Familie in den Umbau investiert. Heute entspricht das Haus allen Anforderungen eines Pflegeheims. Die beiden Bauersleute haben eine Ausbildung für tiergestützte Therapie und Pädagogik. Mit zehn Mitarbeitern ist ihr Hof auch wichtiger Arbeitgeber in der Region geworden. Der Hof ist mit seinem Angebot voll in das steirische Sozialsystem integriert. Zusätzliche Chance für Einkommen Das Konzept passt ideal. „Mein Mann wollte Bauer bleiben“, sagt Petra Steiner. Das funktioniert. „Wir können den Bauernhof so betreiben wie früher.“ 14 Hektar Grünland gehören zum Hof, der biologisch bewirtschaftet wird. Dazu kommen 13 Hektar Wald. Mutterkuhhaltung ist der Schwerpunkt im landwirtschaftlichen Zweig des Adelwöhrerhofs.
Der Adelwöhrerhof ist eines der Vorzeigeprojekte für Green Care, wie das Sozialangebot in landwirtschaftlichem Umfeld genannt wird. Die Betreuung von Menschen in Verbindung mit Natur und Landwirtschaft soll wie Urlaub am Bauernhof und Direktvermarktung zu einer zusätzlichen Einkommenschance für Bauern werden.

Das Interesse ist groß. „Bei uns haben in den vergangenen Monaten bereits 66 landwirtschaftliche Betriebe ihr Interesse angemeldet“, sagt Robert Fitzthum von der Landwirtschaftskammer Wien, die das Projekt österreichweit betreut. Auch Trägerorganisationen wie beispielsweise die Caritas finden Gefallen an der Green-Care-Idee. Fitzthum: „Sie sehen, dass sie für ihre Klienten innovative Projekte brauchen.“

Mit dem Angebot liegt die Landwirtschaft im Trend. Pädagogik, Therapie, Pflege und soziale Dienste in Verbindung mit Natur gewinnen immer größere Bedeutung. „Für die Landwirtschaft ist es naheliegend und wichtig, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen“, sagt Fitzthum.
Das Feld ist weit. Der Bogen reicht von Kinderbetreuungsangeboten auf Bauernhöfen über Tagesheime, tiergestützte Therapieangebote bis zu Pflegeheimen wie den Adelwöhrerhof.

Vielfältig sind auch die Möglichkeiten, wie sich die Bauern selbst einbringen können. Im einfachsten Fall stellen die Bauern den Trägereinrichtungen Räumlichkeiten oder Agrarflächen zur Verfügung. Die entsprechenden Qualifikationen vorausgesetzt, besteht aber, wie auf dem Adelwöhrerhof, auch die Möglichkeit, selbst Dienstleistungen im Sozialbereich anzubieten.

Während es in anderen EU-Staaten wie den Niederlanden bereits mehr als 1000 zertifizierte Green-Care-Betriebe gibt, steckt man in Österreich noch in den Kinderschuhen. Keine 20 landwirtschaftlichen Betriebe seien derzeit im Sozialbereich engagiert, schätzt Fitzthum. „Bei uns geht es vorerst darum, die nötigen Strukturen zu schaffen, um Projekte auf die Schiene bringen zu können.“ Dazu gehört nicht nur, Green Care im heimischen Sozialsystem zu verankern. Es laufen auch Bestrebungen, dieses neue Angebot in der EU-Agrarreform unterzubringen. „Es geht darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass diese Projekte unterstützt werden können“, sagt die EU-Abgeordnete Elisabeth Köstinger (ÖVP), die sich auf Brüsseler Ebene der Sache annimmt.

Auf dem Adelwöhrerhof indes setzt man bereits die nächsten Schritte. Derzeit wird gerade der Stall behindertengerecht gemacht. Bald will man auch für Kinder und Jugendliche ein Tagesprojekt anbieten. „Dabei können sowohl die Jungen als auch die Alten profitieren“, erwartet Steiner. „Da kommt neues Leben her.“


Salzburger Nachrichten Wirtschaft, 8. August 2012

Donnerstag, 2. August 2012

Es gilt die Schuldvermutung





In den vergangenen Jahren hat man sich, wann immer es um politische Skandale am Rande des Kriminals gegangen ist, daran gewöhnt, sicherheitshalber die Worte "Es gilt die Unschuldsvermutung“ hinzuzufügen. Nach dem, was wir in den vergangenen Monaten erlebten und was vergangene Woche in Kärnten niederging, fragt man sich: Warum diese Vorsicht und Zurückhaltung?

"Es gilt die Schuldvermutung“ ist wohl richtiger anzunehmen. Damit scheint man hierzulande auf der sichereren Seite und vor Überraschungen eher gefeit zu sein.

Schließlich gibt es noch viele Kandidaten, die seit Jahren im üblen politischen Geruch stehen, gegen den auch Gratis-Gesichtsmasken wenig helfen und bei denen es wohl nur eine Frage der Zeit ist, bis auch sie ihre Schurkereien zugeben. Aber bis dahin leugnen wohl auch sie, ohne mit der Wimper zu zucken und mit oft breitem Lächeln - und tischen ungeniert die abenteuerlichsten Geschichten auf, obwohl sie nur zu genau wissen, was sie auf dem Kerbholz haben. Und das nicht nur in Kärnten.

Viele in diesem Land wissen das. Und immer mehr glauben das. Die Schuldvermutung macht sich breit. Wir ärgern uns darüber, wir schimpfen, wir haben gelernt damit zu leben. Und wir, auch das sei festgehalten, unterhalten uns damit nicht nur in nachrichtendürren Sommermonaten ganz gut.

Politisch ist das freilich loser Grund, in dem das Land und die da herrschende Moral schnell versinken. Längst scheint die Selbstreinigungskraft abhanden gekommen zu sein. Selbstkritik, Rücktritte gar oder andere Konsequenzen finden sich in Österreich in keinem politischen Werkzeugkasten. Da muss schon drei Mal der Richter befasst gewesen sein, ehe man reagiert.

Nicht nur in Kärnten sind bereits die Rechtfertigungs-Regimenter aufgezogen, denen keine Erklärung zu billig und keine Dreistigkeit zu fremd ist. Oder wie ist das anders zu bezeichnen, wenn sich der Landeshauptmann von Kärnten zum Ober-Aufklärer der Zustände in seinem Land machen will?

Dass in Wien nicht die starken Männer, die in ihren Parteien viel zu sagen hätten, sitzen, tut in dieser Situation das Übrige. Und dass der eine, der das wäre, nichts sagt und tut, passt ins Bild.

Ins Bild passt auch, dass zur schwachen Politik eine schwache, überforderte und schlecht ausgestattete Justiz kommt, die nichts weiterbringt. Und ins Bild passt auch die in Österreich nach wie vor weiter verbreitete, ja zur Kultur gewordene augenzwinkernde Verlotterung der Sitten, bei der so viele in diesem Land ungeniert mitspielen. Und diese Kultur und die Menschen, die sie leben, gibt es in allen Gesellschaftsschichten, nicht nur in der Politik. Man will ja nicht zu kurz kommen und den anderen zuschauen. Da greift man allemal lieber auch selbst zu, wenn es nur irgendwie geht.

Das ist das Schlimme in diesem Land der Schlawiner. Und das ist es, was die Vermutung der Schuld näher legt als die Vermutung der Unschuld.

Die Schuldvermutung freilich ist keine taugliche Basis für die Zukunft. Darauf kann ein Land nicht bauen. Es tut weh, dass die, die immer sofort mit einem Verdacht da sind und hinter jeder Ecke Betrug und Gaunerei vermuten, so oft Recht bekommen. Das kann mürbe machen.

Auch wenn die Ereignisse der vergangenen Monate und Jahre anderes nahe legen, muss alles getan werden, damit in diesem Land wieder die Unschuldsvermutung gelten kann. Ohne Einschränkung und ohne Augenzwinkern. Man muss einander und vor allem der Politik wieder trauen und vertrauen können und nicht überall Gaunerei vermuten müssen.

Kärnten braucht einen Schnitt. Und dem ganzen Land täte ein Schnitt gut. Die Voraussetzungen dafür sind freilich schlecht. Zu lange hat man zugeschaut, zu sehr sind Verantwortungsträger jedweder Couleur angepatzt. Längst ist die Glaubwürdigkeit den Bach hinuntergegangen. Und was seit Martinz zu hören war, ist auch nicht dazu angetan, Hoffnung zu schöpfen, ging es doch in Restösterreich praktisch nur darum, das zu einem ausschließlich Kärntner Problem zu erklären.

Österreich muss endlich herunter von der Insel, auf der man sich nur mit sich selbst beschäftigt. Darob ist man längst drollig geworden und international ein Fliegengewicht. Wahrgenommen wird das Land allenfalls durch seltsame Kriminalfälle oder eine redselige Finanzministerin.

Doch die Welt ist längst eine andere geworden. Dafür, dass Österreich einmal blöd dasteht, gilt die Schuldvermutung.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. Augut 2012
 
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