Donnerstag, 27. Dezember 2012
Der verschwenderische Umgang mit dem Boden
Österreich verliert den Boden unter den Füßen. Pro Kopf wird doppelt so viel Fläche wie in Deutschland zubetoniert.
HANS GMEINER Salzburg (SN). „Jeder Mensch braucht ein Stück Boden, um zu leben“, sagt Kurt Weinberger, Chef der österreichischen Hagelversicherung, „dennoch werden in Österreich jährlich 0,5 Prozent der Ackerfläche verbaut.“ Seit den 1950er-Jahren ging so fast ein Viertel der österreichischen Agrarfläche verloren, eine Fläche so groß wie Kärnten. Längst ist der Bodenverbrauch nicht nur in der Landwirtschaft ein Thema. Auch den Umweltschützern macht der unmäßige Flächenverbrauch immer mehr Sorgen. Sie warnen immer lauter vor den Folgen für das Klima und die Wasserversorgung.
Obwohl kaum ein anderes Land wegen des hohen Gebirgsanteils über so wenig geeignete Flächen verfügt, geht kein anderes Land in Europa derart verschwenderisch mit seinen Böden um wie Österreich. „Der Bodenverbrauch pro Kopf ist bei uns nach wie vor doppelt so hoch wie in Deutschland“, sagt Gerlind Weber, Professorin an der Universität für Bodenkultur. Seit 1950 wuchs die Siedlungsfläche pro Kopf in Österreich von 374 auf 537 Quadratmeter.
Nach wie vor verschwinden in Österreich täglich knapp 20 Hektar unter Asphalt und Gebäuden oder werden zu Bergbau- oder Freizeitflächen. Übers Jahr summiert sich das laut Umweltbundesamt auf rund 75 Quadratkilometer, etwas mehr als die Fläche der Stadt Salzburg. Vom Ziel der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie, den Flächenverbrauch auf zwei Hektar pro Tag zu senken, ist man weit entfernt.
Als Gründe für die ungebremste Entwicklung gelten eine zahnlose und zuständigkeitsmäßig aufgesplitterte Raumordnung sowie ungehemmte Standortkonkurrenz zwischen Ländern und Gemeinden. Die Schuld für den hohen Flächenverbrauch und die Verschandelung ganzer Regionen schiebt man hin und her. Bei einer Tagung des Ökosozialen Forums zum Thema Bodenverbrauch sagte Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Verbands der Einkaufszentren, die oft als maßgeblich an der Zersiedelung beteiligt an den Pranger gestellt werden: „Es ist nirgends leichter als in Österreich, zu irgendeinem Bürgermeister zu gehen und ihn zu verführen.“ Man sei systematisch aus den Städten vertrieben worden. „Wir gehen den Weg des geringsten Widerstands, daraus sind die Scheußlichkeiten entstanden.“
Das lässt Gemeindebundpräsident und Bürgermeister Helmut Mödlhammer nicht auf sich sitzen. Er gibt den schwarzen Peter weiter. „Wir sind Baubehörde, aber nicht Raumordnungsbehörde.“ Er nennt den Wunsch der Österreicher nach dem Haus im Grünen als Grund für die Zersiedelung. Daher brauche man „klare, nachvollziehbare Regeln“, sagt Mödlhammer, „es darf nicht drauf ankommen, wie ein Landesrat aufgelegt ist oder welche G’schichtln im Hintergrund laufen“.
Um das Problem in den Griff zu bekommen, rückt die Nutzung von Leer- und Altbeständen in den Mittelpunkt. Schon 2004 erhob das Umweltbundesamt, dass allein in Industrie und Gewerbe durch Betriebsschließungen und Stilllegungen jährlich elf Quadratkilometer Brachflächen anfallen. „Es kann davon ausgegangen werden, dass der Wert heute weit höher liegt“, sagt Karl Kienzl vom Umweltbundesamt. Wie diese Flächen genutzt werden könnten, um den Verbrauch neuer Flächen zu vermeiden, ist weniger klar. „Für den geordneten Rückzug und den Rückbau fehlt es an Know-how“, sagt Weber, als Ruferin in der Wüste. Als solche wird sie nach 30-jähriger Befassung mit dem Thema in ihren Forderungen zusehends radikaler. „Angesichts der Flächenverschwendung und der immer größer werdenden Brachflächen ist der einzig ökologisch vertretbare Bau der, der nicht gebaut wird“, sagt sie. Das Bewusstsein dafür zu schärfen, ist ihr inzwischen zu wenig. „Damit ist es nicht mehr getan, man muss Sanktionen und Anreize setzen.“
Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 27. Dezember 2012
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
während sich die einen über den hohen grundverbrauch aufregen, versuchen die anderen sich in umwidmungen und betriebsansiedlungen zu überbieten. oder sind es sogar die selben?
AntwortenLöschen