Donnerstag, 2. Mai 2013

Europäische Agonie



Die Bürger wenden sich von Europa ab. Das Vertrauen in die Europäische Union schwindet rapid. Die jüngste Eurobarometer-Umfrage lässt die Alarmglocken schrillen. In den sechs größten EU-Staaten, in denen zusammen zwei Drittel aller EU-Bürger wohnen, bricht das Vertrauen in das gemeinsame Europa regelrecht zusammen und ist auf einem historischen Tiefpunkt angelangt.

Der Frust ist allerorten groß. In den krisengeschüttelten Ländern im europäischen Süden genauso wie in den zentraleuropäischen Ländern, in denen man fürchtet, dem Sog der Krise bald nicht mehr standhalten zu können.

Dass im traditionell EU-kritischen Großbritannien knapp 70 Prozent der Bewohner, um gut ein Drittel mehr als noch 2007, Brüssel nicht mehr trauen, verwundert noch am wenigsten. Besonders dramatisch ist der Vertrauensverlust in Spanien. Dort kippte die EU-Stimmung binnen weniger Jahre. Gaben vor fünf Jahren noch 65 Prozent der Bevölkerung an, Brüssel zu vertrauen, so sind es der Eurobarometer-Umfrage zufolge aktuell nur mehr magere 20 Prozent. In Italien wuchs die Misstrauensquote von 47 auf 72 Prozent. Und auch in Deutschland drehte sich die Stimmung dramatisch. Dort schnellte die Misstrauens-Rate von 41 auf 59 Prozent.

Dass auch in Österreich die EU-Skepsis grassiert, fügt sich ins Bild. Gaben 2007 noch 43 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher an, sie hätten "eher kein Vertrauen“ in die EU, so waren es bei der im vergangenen November durchgeführten Eurobarometer-Umfrage bereits 55 Prozent.

Das Ende der Talfahrt ist wohl noch nicht erreicht. Man darf annehmen, dass die Skepsis in den vergangenen Monaten nicht geringer geworden ist. Die Vorgänge rund um die Rettung Zyperns und die dabei ins Visier geratenen Einlagen auch der kleinen Sparer oder das an EU-Gemeingefährdung grenzende politische Verständnis in Italien haben das Vertrauen in und das Verständnis für ein gemeinsames Europa wohl noch weiter belastet.

Da verwundert nicht, dass immer mehr Menschen Europa in Agonie sehen - professionelle Beobachter genauso wie die einfachen Menschen. Das Verständnis für diese Einschätzung wächst. Die Gefahr, dass das Projekt Europa, in den 1950er Jahren als Wirtschaftsprojekt von sechs Ländern gestartet und dann als Wirtschafts- und Friedensprojekte möglicherweise viel zu stark und viel zu schnell auf bald 28 Mitgliedsstaaten aufgeblasen, scheitert, war wohl noch nie so groß wie heute. Reden davon mag freilich niemand. Allemal hüllt man darüber den Mantel des Schweigens und hofft auf eine stille Genesung.

Die freilich wird es nicht geben. Längst ist die Europäische Union in vielen Ländern zum politischen Spielball geworden. Überall profilieren sich Europa-kritische Parteien und erfreuen sich großen Zulaufs. In den Krisenstaaten genauso wie in den Zahlerländern. Ihnen geht es nicht um die Sanierung der EU, sondern um die Abschaffung. In Deutschland sorgt erst in diesen Wochen eine Partei namens "Alternative für Deutschland“ als Sammelbecken EU-kritischer Kräfte für Aufsehen.

Die Verantwortlichen in Brüssel stehen diesen Entwicklungen hilflos gegenüber. Damit aber nicht genug. In den Mitgliedsstaaten werden ihre Verbündeten immer weniger. Entweder weil sie aus den Regierungen gewählt werden, oder weil sich die dort Verantwortlichen der Anti-EU-Stimmung nicht entziehen können oder wollen. Die Argumente, mit denen sie gegen die Krise anzukämpfen versuchen, erreichen die Menschen nicht.

Dass, wie zum Beispiel in Österreich, die EU-Mitgliedschaft jährlich 13.000 neue Jobs und ein akkumuliertes Wirtschaftswachstum von rund 26 Milliarden Euro gebracht hat, ist nicht wirklich überzeugend. Da wiegen bei den Österreicherinnen und Österreichern die Schwierigkeiten, Sorgen und Ängste, die für sie die EU-Mitgliedschaft und der Euro gebracht haben, wohl mehr. Überzeugende Gegenargumente sind in den zahllosen Erklärungen für sie kaum dabei. Und auch wenn sie gerne glauben möchten, was ihnen gesagt wird - der Bauch reagiert anders.

Wie sich die Europäische Union erfangen könnte und wie der Erosionsprozesses gestoppt werden könnte, ist nicht abzusehen. Es fehlt an Ideen, es fehlt an politischem Willen und es fehlt an entsprechender Führungskraft.

Derzeit sind die skeptischen Kräfte in der Übermacht. Angesichts der mangelnden und vor allem überzeugenden Alternativen ist das nur zu verständlich.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 2. Mai 2013

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