Donnerstag, 17. Dezember 2015
Ran an den Speck
In Österreich klagt man gerne, dass alles schlechter wird. Man kennt das. Jammern, das gehört zu Österreich, wie der Großglockner und der Stephansdom. Jammern ist, selbstverständlich, auch fixer Bestandteil der Politik und Interessenvertretung. Zumal dann, wenn es geht, die Situation der eigenen Klientel möglichst schlecht darzustellen. Da hat man keine Hemmungen, da geht man auch sonntags in Sack und Asche.
Zuweilen freilich entlarvt man sich in der Hitze des Gefechtes. "2016 werden die fetten Jahre vorbei sein", diktierte etwa der hochverdiente Chef des Gemeindebundes dieser Tage den Medienvertretern in die Notizblöcke. Wohl, um für die Gemeinden bei den laufenden Verhandlungen zum Finanzausgleich guten Wind zu machen.
Der gute Mann lässt damit, unabsichtlich wohl, tief in die österreichische Seele blicken, legt doch sein Statement den Umkehrschluss nahe, dass es den Gemeinden in diesem Land in den vergangenen Jahren durchaus gut gegangen ist. "Fett" sogar. Dabei hat man, angesichts dessen, was in den vergangenen Jahren kommuniziert wurde, ganz anderes vermutet. Kein Geld an allen Ecken und Enden, überforderte Gemeindekassen, die keine großen Sprünge erlauben, ungebührliche Kostenbelastungen, die kaum zu stemmen sind und Ähnliches in diese Richtung.
Aber nein, es waren "fette Jahre" hört man nun. Da ist wohl etwas falsch gelaufen. Da hat jemand zu viel bekommen, während andere mit ihren Wünschen abblitzten. Verständnis, auch von geneigten Beobachtern, verflüchtigt sich da schnell. "Fett" muss nicht sein. "Fett" heißt "zu viel" und legt die Vermutung nahe, dass man es in der Vergangenheit verstanden hat, es sich zu richten. Und es legt auch den Schluss nahe, dass man mit weniger auskommen kann.
Dieses Beispiel rund um das Wohlergehen der Gemeinden und ihrer Finanzen ist das aktuellste, das einzige ist es nicht. Viele Menschen und die Gruppen, die sie vertreten, klagen zwar permanent und über Jahre und oft Jahrzehnte über die eigene Situation und werden nicht müde, die Benachteiligungen zu benennen. Aber just dann, wenn sich Veränderungen abzeichnen oder gar Kürzungen bei den Geldern drohen , beginnt man die bestehenden Regelungen zu verklären und über den grünen Klee zu loben. Mit einem Mal wird just das, worüber man sich so lange so aufregte, zum Ziel erklärt und zur Forderung erhoben.
Die Bauern zeigen dieses Muster immer, wenn Reformen anstehen, sei es in der EU oder in Österreich selbst. Und andere Gesellschaftsgruppen sind nicht anders. Seien es die Pensionisten, sei es die Wirtschaft, seien es die Beamten, die Eisenbahner, die Schulen oder die Gewerkschaften. Wortreich erklärt man im Handumdrehen für unabdinglich, worüber man jahraus, jahrein schimpfte und was man jahraus, jahrein für zu wenig befand. Dann will man plötzlich nichts, als das Bestehende erhalten. Oft mit Zähnen und Klauen. "War eh nicht so schlecht."
Österreich ist ein Land der Besitzstandswahrer. Und um diesen Besitzstand zu wahren, hat man es zu großer Meisterschaft gebracht. Mit viel Fantasie versteht man es, sich vielerorts als bedürftig und benachteiligt darzustellen. Man spekuliert darauf, dass die wahren Verhältnisse nicht durchschaut werden und verschleiert sie nach Kräften. Vor allem, wenn es ums Geld geht. Eine Sonderregelung da, Koppelungen von Zahlungen dort, die noch niemand durchschaut hat, und Ausnahmen, die niemandem auffallen. Man weiß sich das Auskommen zu sichern, "fette Jahre" eben. Meistens zumindest.
Rückhalt für dieses Verhalten gibt es von der Politik und von den Interessenvertretungen, die sich auf das Bedienen der Nebelmaschinen im Sinne ihrer Klientel bestens verstehen, mit denen dem Rest der Gesellschaft die Orientierung über die wahren Verhältnisse und die Spielräume, die es eventuell gäbe, genommen wird.
Für den Einzelnen und für die Gruppe, der er angehört, macht sich das bezahlt. Da spielt keine Rolle, dass sich mit einem solchen Verhalten das Land insgesamt in einer Blockade fixiert, in der kaum mehr etwas möglich ist.
Um das gesamte Land freilich muss man sich Sorgen machen. Denn Österreich ist diesem Zustand ziemlich nahe. Wenn jemand sagt "Die fetten Jahre sind vorbei", sollte man aufhorchen. Da ist etwas da. Und sicher nicht nur in den Gemeinden.
Also - nur ran an den Speck und rein in die Reformen. Nur zu und nur Mut möchte man den Verantwortlichen zurufen. Und weniger Scheu.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 17. Dezember 2015
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