Donnerstag, 18. Februar 2021

"Ein Wahnsinn grad dauernd"

Auf Twitter gab vor dem vergangenen Wochenende eine Innenpolitikjournalistin freimütig einen Blick in ihr Seelenleben frei. "Wenn jetzt Kurz übers WE doch noch Beschuldigter wird, geb´ ich mir die Kugel", tippte sie Ende voriger Woche ihren Groll ins Handy. "Will nimmer arbeiten. Brauche Pause. Wirklich. Das Kind kriegt Eckzähne. Plus Wirecard, BVT, Corona, Blümel. Was ist das für ein Wahnsinn grad dauernd." Man kann ihrs nicht verdenken, geht es doch uns allen so.

Gut, bislang ist nichts bekannt davon, dass von der Wirtschafts-und Korruptionsstaatsanwaltschaft auch der Bundeskanzler als Beschuldigter geführt wird. Eine sehr lebhafte Innenpolitik haben wir dennoch. Dass es dabei um aktuelle Themen, zumal um die Lösung anstehender Probleme geht, kann man freilich nicht behaupten. Da geht es nicht um die Pandemiebekämpfung, auch nicht um das Schneckentempo bei der Impfung, nicht einmal um die Entwicklung des Arbeitsmarktes oder gar die Folgen für die Wirtschaft. Nein, es scheint der Opposition nur darum zu gehen, die Regierung und deren Chef möglichst zu beschädigen. Mit allen Mitteln. Da wurde schon der offenbar nicht ganz mit rechten Dingen zustande gekommene Magistertitel der Arbeitsministerin zu einer Staatsaffäre hochstilisiert. Dann wurde die unglückselige Abschiebung von Kindern zu einem bodenlosen Skandal hochgejazzt, all die Vorgänge im BVT und das missratene Kaufhaus Österreich.

Diese Rammstöße gegen Kurz verpufften bisher wirkungslos. Jetzt flickt man dem Finanzminister nach allen Regeln der Kunst ans Zeug. Freilich ist die Causa Blümel nach einhelliger Einschätzung der Beobachter der bisher gefährlichste Angriff für Kanzler Kurz und sorgt beim Kanzler und in seiner Partei auch für bisher nicht gekannte Nervosität. Den rauchenden Colt, den man wohl bräuchte, um den Finanzminister, den noch dazu so viele als unerträglich arrogant empfinden, auszuhebeln, haben die Kritiker aber offensichtlich nicht. Noch nicht vielleicht.

Läuft das aber nach dem gleichen Muster wie die vorangegangenen Attacken, wird möglicherweise nicht viel herauskommen, schon gar nicht das, was all die Aufgeregten dieses Landes haben wollen. Kein Kanzler-Sturz, und wohl auch kein fliegender Koalitionswechsel oder gar Neuwahlen, zumal mitten in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Das will niemand.

Und so ist wohl folgerichtig, dass man bisher mit all den Attacken genau gar nichts erreicht hat, außer, dass ausgerechnet die Grünen in den Umfragen abstürzen. Denn abseits davon ist Österreichs Parteienlandschaft stabil, wie man es nach all den Aufregungen der letzten Wochen nicht glauben möchte. Kurz verlor nur ein Prozent, bekäme laut der jüngsten Umfrage von Unique Research immer noch 36 Prozent der Stimmen, wenn die Nationalratswahl am nächsten Sonntag wäre. Die SPÖ würde nicht mehr als ein Prozent auf 23 Prozent zulegen, die FPÖ auch nicht mehr als eines (auf 17 Prozent) und die NEOS brächten es auch auf nicht mehr als elf Prozent. Sie dürfen sich allenfalls freuen, dass sie wieder vor den Grünen rangieren, die in der Umfrage von 14 auf zehn Prozent rutschten.

Dass die seit Jahren so perfekt geölte VP-Maschinerie nicht mehr so perfekt läuft, wie man es gewohnt war, spiegelt sich da in keinster Weise wider. Den Österreicherinnen und Österreichern ist in der Krise wohl eine starke ÖVP mit all ihren Fehlern und Schwächen dennoch lieber als ein politisches Experiment in einer neuen Parteienkonstellation. Da ist nicht zu erkennen, dass man den Oppositionsparteien irgendetwas zutrauen würde. Zu Veränderungen kann es wohl nur kommen, wenn die Grünen unter dem Druck der Basis einbrechen und Kurz die Zusammenarbeit aufkündigen.

Was frappiert in diesen Wochen, ist, wie sich alle Parteien inmitten der größten Krise Hinterhältigkeiten, Hakeleien und Gemeinheiten hingeben. Dafür ist immer Zeit, dafür hat man immer Energie und dafür hat man immer Ideen.

"Die Spitzenpolitik beschäftigt sich in diesen Tagen vorwiegend mit sich selbst beziehungsweise mit der Frage, wie der politische Gegner am effizientesten beschädigt werden könne", schrieb Andreas Koller dieser Tage in den "Salzburger Nachrichten". "Verständlich daher, dass die nicht ganz unwesentliche Frage, wie Österreich aus der gegenwärtigen Jahrhundertkrise zu steuern sei, ein wenig in den Hintergrund treten muss."

Und um seine eingangs erwähnte Kollegin noch einmal zu zitieren - was ist das für ein Wahnsinn grad dauernd?

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 18. Februar 2021

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