Donnerstag, 4. Februar 2021

Man "kann und will es nicht glauben"

"Heute Nacht sind mehrere Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben worden. Das macht mich zutiefst betroffen. Ich kann und will nicht glauben, dass wir in einem Land leben, wo dies in dieser Form wirklich notwendig ist." Der Bundespräsident höchstselbst tat seinen Unmut per Facebook kund. Er war mit diesem Unmut nicht alleine. Die Aufregung war groß in der vergangenen Woche und die Bilder von der frühmorgendlichen Delogierung mit dutzenden Polizeiautos, WEGA-Sonderkommando und Demonstranten, die rüde von Uniformierten in Kampfmontur weggedrängt wurden, verstörten nicht nur, sondern machten auch Angst. Nicht nur der Bundespräsident fragte sich, in welchem Land wir eigentlich leben.

Inzwischen weiß man mehr über das Warum und Wieso und Weshalb. Man kann nicht nur die Aufregung nachvollziehen, sondern auch die rechtlichen Gründe für die Abschiebung. Betroffenheit bleibt dennoch bei vielen Österreichern, auch bei jenen, die Verständnis dafür aufbringen, dass Recht umgesetzt werden muss. Nicht nur allein wegen der Kinder, sondern auch deswegen, was sich in den vergangenen Tagen rundherum abgespielt hat.

Das Land ist roh geworden und rau. Gräben tun sich auf, Hass und Bosheit. Der Fall spiegelt die Stimmung und die Kultur, die sich in den vergangenen Jahren vom rechten Rand aus in diesem Land etabliert hat und die längst die Mitte der Gesellschaft erreicht hat. Auch, weil ihr Platz gemacht worden ist, um politisch zum Erfolg zu kommen. Härte, zumal Härte gegenüber anderen, gilt heute als Tugend, und oft scheint das Maß verloren, wenn es um den Nächsten geht. Das Klima, das sich im Land breitgemacht hat, ist viel zu oft hässlich geworden und böse.

Heute gibt es keinen Diskurs mehr und keine Diskussionen, auch keine Achtung und keinen Respekt mehr vor anderen Meinungen und den Menschen, die sie vertreten. Meinungen und Menschen, die anders denken, werden diskreditiert. Auf beiden Seiten und von beiden Seiten. Als gäbe es nur mehr Schwarz und Weiß.

Die Abschiebung der georgischen und armenischen Familien hat aber, wie auch schon die Diskussion um die Hilfe für Kinder aus Moria, auch andere Aspekte, die in der Hitze der öffentlichen Diskussion -anders, als die Probleme, die sie inzwischen den Grünen und damit der Koalition bereitet -kaum beleuchtet werden. Dass etwa Kanzler Kurz und die Volkspartei mit diesem Manöver -wieder einmal -von den Problemen mit Lockdown und Impfung ablenken wollten und dabei abermals zeigten, dass ihnen eine Härte und Mittel recht sind, die bisher als unvorstellbar galten. Vielen gilt das als kalte Machtpolitik und diese Vorhaltungen sind durchaus zu verstehen.

Diskutiert aber muss auch über den zuweilen offenen Hass werden, mit dem Kurz und die ÖVP-Regierung inzwischen von der Gegenseite attackiert und diskreditiert wird. Wenn man um fünf Uhr früh irgendwo in Wien demonstriert, geht es nicht nur um das hehre Anliegen, Kinder zu schützen, sondern auch darum, den Kanzler und seine Partei in ein möglichst schlechtes Licht zu stellen und seinen Ruf zu beschädigen. Dass sich Kinder, respektive Aktionen, die sich gegen Kinder wenden, dafür besonders eignen, würde wohl heftigst bestritten, darf dabei nicht außer Acht gelassen werden.

Zu reden ist aber auch über die Rolle mancher Medien und einiger Journalisten. Selten noch flogen innerhalb dieser Zunft so die Fetzen, wie rund um diesen Fall. Dass der Leiter der Österreich-Redaktion der deutschen Wochenzeitschrift "Die Zeit" von "VP-Gesindel" twitterte, sorgte in der Kollegenschaft genauso für Nasenrümpfen wie der "Falter"-Chefredakteur, der die "Kurier"-Chefredakteurin auf Twitter als "inoffizielle ÖVP-Pressesprecherin" desavouierte und ihr beschied, dass es ihr "langsam den Vogel raushaut".

Auffällig war jedenfalls, dass sich die Qualitätszeitungen des Landes nicht von der Aufregung hinreißen ließen und sehr sachlich berichteten. "Journalisten sollten nicht Aktivisten sein, für welche Sache auch immer", twitterte einer von ihnen. "Das erweist der Aufklärung, den Lesern und letztlich der offenen Gesellschaft und der Demokratie einen schlechten Dienst."

Der Handlungsbedarf ist groß. Und auch die Pflicht, nicht weiter zu eskalieren. Auf allen Seiten. Was bleibt, ist das Bild von einem zum Zerreißen gespannten Österreich - von dem nicht nur der Bundespräsident nicht glauben mag, "dass wir in so einem Land leben".

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 4. Februar 2021

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