Mittwoch, 12. Mai 2021

Erinnerungs-Folklore verfehlt Wirkung

Am vergangenen Wochenende hatten hehre Worte Hochkonjunktur. Wieder einmal. Es galt dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. Der Bundespräsident sprach davon, dass "Niemals wieder" Auftrag sei und es daher ein entschiedenes "Eintreten gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus" brauche. Der Bundeskanzler plädierte für ein entschlossenes Auftreten gegen Antisemitismus und "gegen jede Form des Hasses". Der Vizekanzler bekräftigte, dass "nie wieder auch nie wieder sein muss". Die Chefin der größten Oppositionspartei verlangte dem Anspruch "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg" neue Kraft zu verleihen und sogar der Obmann der Freiheitlichen meinte pflichtschuldigst, das Geschehene dürfe nicht vergessen werden.

So weit so schön und gut. Und natürlich vollkommen richtig und notwendig auch. Aber wie passt da dazu, dass 76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft erst Ende April dieses Jahres der Antisemitismusbericht einen "Höchststand antisemitischer Vorfälle" vermelden musste? 76 Jahre danach. Dass die Corona-Demos Spielwiese für Rechtsextreme und Identitäre werden konnten? Dass gar Corona-Demonstranten den Judenstern für ihre Zwecke verwenden und dafür sogar noch Verständnis finden bei Leuten, die sich das nicht trauen? Und dass in Deutschland sogar Leute in nachgemachten Uniformen von KZ-Häftlingen zu sehen waren, die gegen die Corona-Politik Sturm laufen? Ganz abgesehen davon, dass dort mit der AfD sogar eine rechtsextreme Partei wieder im Bundestag sitzt.

Das fügt sich nahtlos in das, was Studien und Umfragen immer wieder ergeben. Dass selbst unter Jugendlichen der Antisemitismus durchaus verbreitet ist. Oder dass, wie vor vier Jahren erhoben wurde, vier von zehn Österreicherinnen und Österreicher einem "starken Führer" gar nicht abgeneigt wären. Oder dass bei jedem Zehnten durchgängig autoritäre respektive antidemokratische Einstellungsmuster festzustellen sind. Und gar nicht zu reden von der Befragung vor acht Jahren, die hervorbrachte, dass 54 Prozent der Befragten es für möglich hielten, dass die Nazis mit ihrer völkischen Ideologie auch heute noch genügend Rückhalt fänden, um in Österreich in freien Wahlen erfolgreich zu sein.

Und das alles nach 76 Jahren von dem, was man gemeinhin "Vergangenheitsbewältigung" nennt? Nach 76 Jahren Aufarbeitung der Geschichte und Aufklärung darüber, was damals passiert ist? Und nach 76 Jahren "Nie wieder"- Beschwörungen?

Das ist eigentlich beschämend. Da verwundert es nicht, dass die Vergangenheitsbewältigung und all die Bemühungen darum längst in den Geruch gekommen sind, nicht mehr viel anderes zu sein als so etwas wie Erinnerungs-und Mahnungs-Folklore. Ernst zwar in ihrem Bemühen und in ihren Absichten und oft auch bewundernswert, aber mit zu wenig Wirkung und auch 76 Jahre nach dem Ende des Weltkriegs weit davon entfernt, ihre Ziele zu erreichen. Man erreicht viele Menschen nicht damit, vor allem nicht jene, die man ansprechen und mit den Argumenten und Warnungen erreichen will und sollte.

Gerade die Coronakrise legte offen, was immer noch da ist. Wie schnell alte Bilder wieder salonfähig werden und Vorurteile. Wie leicht es ist, Hass zu schüren und wie schnell daraus - man denke nur an die wütenden Demonstrationen in Deutschland, aber auch an die Auseinandersetzungen bei uns -Stimmungen entstehen, in denen auch die letzten Tabus über Bord geworfen werden.

"Gerade wenn Hemmschwellen sinken, wenn Hassreden und Hasspostings zunehmen, wenn Verschwörungsmythen wieder Zulauf bekommen, dann gilt es, entschieden und klar für unser liberales und weltoffenes Gemeinwesen einzutreten", sagte Alexander Van der Bellen am vergangenen Wochenende auch. Es ist ihm nur recht zu geben.

Aber es ist wohl auch hoch an der Zeit zu hinterfragen, was in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten falsch gelaufen ist. Und warum noch heute überhaupt Warnungen, Aufforderungen, Appelle wie eingangs erwähnt notwendig sind. Und gar nicht davon zu reden, wie es zu solchen Ergebnissen wie im Antisemitismusbericht kommen kann.

Selbstzufriedenheit ist wohl die falsche Antwort darauf, und auch nicht die Berufung darauf, dass man recht hat. Da braucht es andere Antworten. Angesichts des mangelnden Erfolges und auch der aktuellen Entwicklung ist es Zeit, sich daran zu machen, sie zu finden.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 12. Mai 2021

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