Montag, 2. Oktober 2023

Ferngesteuert in die hybride Agrarzukunft

Neue Technologien machen auch vor Traktoren und Landtechnik nicht halt – autonomes Fahren inklusive.

Hans Gmeiner 

Linz. Die Beobachter am Rand des Weges hinaus aus dem Park des Schlosses Grafenegg halten Respektabstand. Wie von Geisterhand gelenkt rollt der riesige Case-IH-Traktor vorbei hinaus auf das Feld vor dem Schloss, um dort mit einem Bodenbearbeitungsgerät, das er nachzieht, seine Bahnen zu ziehen. Ganz ohne Fahrer hinter dem Lenkrad, gesteuert über einen Computer vom Feldrand aus. „Es ist das erste Mal, dass wir in Europa einen autonomen Traktor in Betrieb auf dem Feld zeigen“, sagt Mirco Romagnoli, Europa-Verkaufschef für die Traktormarken Case IH und Steyr im CNH-Konzern, dem zweitgrößten Landtechnikkonzern weltweit.

„Die Agrarindustrie steht vor dem größten Wandel seit dem Beginn der landwirtschaftlichen Mechanisierung“, sagt Romagnoli. Künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Automatisierungstechnologien und alternative Antriebssysteme lassen auch in der Landetechnik und damit in der Landwirtschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten keinen Stein auf dem anderen.

Das Traktorenwerk im niederösterreichischen St. Valentin spielt dabei als Europazentrale für die beiden Traktorenmarken eine bedeutende Rolle für CNH. „Für die Gruppe hat das Werk strategische Bedeutung“, sagt Romagnoli. Bereits vor vier Jahren wurde die Studie eines Steyr-Hybridtraktors vorgestellt, der in St. Valentin entwickelt wurde. Inzwischen ist man einige Schritte weiter und plant damit, wenn alles gut läuft, 2025 auf den Markt zu kommen.

Bewusst setzt man auf die Hybridtechnologie. Romagnoli: „Rein batteriebetriebene Traktoren können die Anforderungen nach langen Reichweiten nicht erfüllen.“ Mit den derzeitigen Batterietechnologien sei das noch nicht möglich. Darum kombiniere man die Vorteile eines Dieselmotors mit jenen der Elektrifizierung.

Wie schnell sich die neuen Technologien wirklich durchsetzen werden, steht freilich noch in den Sternen. Beobachter sind eher skeptisch. „Das wird noch sehr lang dauern, bis man das auf den Feldern sieht“, sagt ein Branchenexperte. „Für autonom fahrende Traktoren gibt es in Europa noch gar keine Regelungen für die Zulassung. Und hybrid- oder strombetriebene Traktoren muss man sich erst einmal leisten können.“

Bis dahin muss ein Landtechnikkonzern wie CNH weiter von der herkömmlichen Technik leben. Das gelingt ohnehin ganz gut. Der konsolidierte Umsatz von CNH Industrial betrug 2022 umgerechnet 22,1 Mrd. Euro. Gut drei Viertel davon entfielen auf den Agrarsektor. Weltweit verfügt der Konzern über 43 Produktionsstätten und 40 Forschungs- und Entwicklungszentren und beschäftigt mehr als 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

In St. Valentin, wo seit 1947 insgesamt rund 600.000 Traktoren – meist unter der Marke Steyr – gebaut wurden, erzeugt man derzeit mit rund 760 Mitarbeitern jährlich rund 10.000 Traktoren. Mit dem Geschäftsverlauf ist Romagnoli zufrieden. „Der Markt in Europa ist stabil“, sagt er.

Der Absatz in Österreich könnte freilich besser sein. Nach dem Verkaufsboom der vergangenen Jahre als Folge der Sonderförderungen schwächelt der Absatz heuer. Nach den ersten acht Monaten liegt die Zahl der Neuzulassungen mit 3008 Traktoren um knapp neun Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Bei Steyr, mit einem Marktanteil von mehr als 20 Prozent die unangefochtene Nummer 1 auf dem heimischen Markt, gab es ein Minus von weniger als fünf Prozent (auf 628 Traktoren). Bei Case IH (Marktanteil 3,7
 Prozent) ging die Zahl der Neuzulassungen in Österreich um acht Prozent (auf 112 Traktoren) zurück.

Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 2. Oktober 2023

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