Donnerstag, 24. Mai 2012
Kuschelpolitik schlägt Realpolitik
In Deutschland überholt gerade die sympathisch wirkende Hannelore Kraft, glanzvolle Siegerin der Wahlen in Nordrhein-Westfalen, Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen Beliebtheit. Sogar als Kanzlerin traut man ihr mehr zu als der Amtsinhaberin. In Frankreich fegte der rote Francois Hollande Nicolas Sarkozy aus dem Amt. Und in Griechenland hat ein linksradikaler Politiker mit seinen Forderungen und Versprechungen, die jede Realität verweigern, das Ohr des Volkes.
Der Staat soll investieren, sagen sie, der Staat darf die Sozialleistungen nicht antasten, der Staat soll Geld und Geduld der Bevölkerung nicht mehr länger für Rettungsschirme missbrauchen. Der Staat, der Staat, der Staat. Dass die öffentlichen Kassen leer sind, scheint keine Rolle zu spielen, und dass offen ist, wer die Zeche bezahlen soll, auch nicht. Und die Ursachen dafür sind erst recht kein Thema. Ganz so, als ob man alles weglächeln könnte, setzen sie auf den politischen Kuschelfaktor und bauen Wolkenkuckucksheime, in denen falsche Erwartungen kommod hausen können - die eigene Welt ganz kuschelig, während draußen dunkle Mächte an den Fenstern rütteln. Fürchtet euch nicht, der Staat wird‘s richten, ist ihre Botschaft.
Diese Kuschelpolitiker treffen damit den Nerv und die Stimmungslage vieler Menschen. Das tut einfach gut. Das Zuversicht und Vertrauen ausstrahlende offene Lachen der Hannelore Kraft, statt der sauertöpfisch wirkenden Angela Merkel, der die Krise ins Gesicht gebrannt scheint. Die Menschen brauchen das. Keine Angst haben müssen um das Ersparte, die Pension und den Arbeitsplatz - wenn man jahrelang nur von Sparappellen, von Mahnungen und von Warnungen bombardiert wird, hört man das gerne und neigt dazu, es zu glauben.
Kuscheln ist ein Faktor in der Politik geworden. Augen zu und ein wenig träumen. Kuschelpolitiker verstehen auf diesem Klavier zu spielen und fahren einen Wahlsieg nach dem anderen ein.
Realpolitik hingegen hat es schwer in diesen Zeiten. Sie hat, so sehen es derzeit offenbar die Wähler, ihre Chance gehabt. Viel zu lange schon kommt sie nach deren Geschmack mit der Währungskrise nicht zu Rande. Immer wieder zeigt sich, dass die Einschätzungen nicht hielten. Immer öfter macht sich die Überzeugung breit, dass die Ideen nicht die richtigen sind. Kein Wunder, gleicht doch die europäische Wirtschafts- und Währungspolitik allzuoft einer Bastelbude, in der ohne Konzept herumprobiert wird.
Das machte es den Wahlsiegern der letzten Wochen in ganz Europa leicht. Das permanente Scheitern und die für den einzelnen Wähler und seine Bedürfnisse und Gewohnheiten immer bedrohlicher werdenden Einsparungsszenarien spielten ihnen in die Hände. Je tiefgreifender die Maßnahmen werden, mit der man der Krise zu Leibe rücken will und je drastischer die Einsparungen, desto nachvollziehbarer ist, dass die Menschen jene wählen, die ihnen den leichteren Weg versprechen. Ihre Devise: Auch wenn es die möglicherweise genausowenig können wie die anderen, so klingt es wenigstens besser.
In Österreich läuft es um keinen Deut anders. Es sei nur an das wochenlange Tauziehen um etwas, das ein Sparpaket werden sollte, erinnert. Die, die sich dafür einsetzten, die Ideen lieferten, sich nicht falschen Versprechungen hingeben, sondern die Herausforderung annehmen und die Weichen stellen wollten, wurden zu Verlierern. Die Volkspartei und ihre Protagonisten von Spindelegger bis zu Fekter gingen als die Miesepeter aus dem Spiel hervor. Der ewig lächelnde Bundeskanzler und die Seinen hingegen verstanden es genauso wie der nach dem Sessel im Kanzleramt gierende Führer der großen Oppositionspartei blendend, sich nicht mit Sparvorschlägen, schon gar nicht bei der eigenen Klientel, anzupatzen. Sicherheitshalber ging man für Wochen auf Tauchstation und lanciert lieber längst vergessene und widerlegte Ideen aus der wirtschaftspolitischen Mottenkiste, mit denen man der Krise Herr werden zu können glaubt. Die Arbeitszeitverkürzung gehört genauso dazu wie das Schrauben an Steuersätzen und anderes mehr.
Das alles mag manch verunsicherter und verängstigter Seele gut tun. Dass der Kuschelfaktor, der in der Politik plötzlich so wichtig geworden zu sein scheint, erfolgversprechender und richtiger ist, heißt das freilich nicht. Ganz und gar nicht. Denn der Aufschlag der Kuschelpolitik in der Realpolitik könnte ein harter sein.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. Mai 2010
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