Mittwoch, 16. Mai 2012

"Sie kennen mich doch“





Dieser Tage sorgte eine renommierte Wissenschaftlerin der Akademie der Wissenschaften für einiges Aufsehen. Sie legte ihre Mitgliedschaft in der ehrwürdigen Institution, auf die Österreich so stolz ist, zurück. Begründung: Es würden zumeist Leute genommen, die nicht die besten sind, weil bei der Aufnahme nicht die fachliche Qualifikation, sondern andere Faktoren, die damit nichts zu tun hätten, zählten.

Es war ein bemerkenswerter Schritt.

Er lenkte das Augenmerk auf etwas, das in Österreich noch viel zu oft anzutreffen ist. Wenn es um die Auswahl von Personal, die Besetzung von Posten und Positionen geht, dann ist es hierzulande in vielen Fällen immer noch wichtiger, wen man kennt, als was man kann. Qualifikation spielt bei der Personalsuche allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz oft noch eine untergeordnete Rolle. Immer noch. Und das, obwohl sich politische Parteien und Manager immer wieder wortreich davon distanzieren, obwohl in Ämtern, Behörden und Unternehmen Objektivierungsverfahren und Assessment Center zu fixen Bestandteilen von Bestellungsverfahren gemacht wurden, und obwohl alle mit dem Brustton der Überzeugung vorgeben, nur die Besten zu nehmen - ohne Rücksicht auf Herkunft, politische Einstellung und darauf, dass der Großvater seinerzeit dem ehemaligen Chef einen Gefallen getan hat.

Die Bemühungen greifen mancherorts, aber sie greifen viel zu selten. Was die Wissenschaftlerin meinte, ist dennoch in diesem Land weit verbreitet. Protektion feiert fröhliche Urständ‘ und grassiert immer noch allerorten. Und das nicht nur, wenn es um Posten ganz oben geht. Sehr viel häufiger spielt vor allem bei der Besetzung in öffentlichen und halböffentlichen Unternehmungen, in Institutionen, aber auch in der Privatwirtschaft selbst bei kleinen Posten eine große Rolle, wen man kennt oder was man wählt und nicht selten überhaupt beides.

Bei Politikern gehört die Intervention für Jobs nach wie vor als fixer Bestandteil zum Berufsbild - bei den mehr oder weniger bedeutenden Politikern ganz oben bis hinunter zu den Gemeinderäten. Da spielen aber auch alle Chefs mit, gleich ob der Top-Manager in der obersten Etage, der kleine Abteilungsleiter oder der Gewerbetreibende am Dorfplatz, die sich bequemlichkeitshalber gar nicht lange auf die Suche nach geeignetem Personal machen, sondern lieber den Zuträgern ihr Ohr leihen, die die Tochter von der Bekannten oder den Freund vom Bruder unterbringen wollen. Beachtlich sind oft Energie und Aufwand, die dafür eingesetzt werden und werden müssen. Da werden Netzwerke geknüpft, auf dass ein Job für die Tochter herausschaut, da werden Veranstaltungen besucht um sich zu zeigen und Bekanntschaften zu machen, da ein bisschen mitreden und sich dort andienen. "Sie kennen mich doch, erinnern sie sich nicht?“

Vom Top-Manager bis hin zum kleinen Maurer spielen alle das gleiche Spiel. Längst ist es zur Spirale geraten. Wer nicht mitmacht, bleibt über. Man will Beziehungen nutzen und fordert Gegenleistung für einen Dienst. Während sich der eine diskret erkundigt, ob der Bewerber "ein 105er“ sei und sich mit dieser immer noch gerne verwendeten unauffälligen Übersetzung nach einer CV-Mitgliedschaft erkundigt, macht sich der andere für seine Tochter beim Bürgermeister mit dem Hinweis stark, dass er dessen Partei gewählt habe und er nun eine Gegenleistung für angebracht halte.

Ginge es dabei tatsächlich um die Qualifikation, um die Fähigkeiten, um das Leistungspotenzial und um möglichst gute Mitarbeiter, wären all die Verrenkungen rund um die Vergabe von Jobs ja noch einigermaßen einzusehen. Das freilich ist allzu selten der Fall. Viel eher geht es um einen kommoden Posten und um eine sichere Versorgung. Und um das Durchdrücken von Ansprüchen, die allzu viele aus welchen Motiven auch immer zu haben meinen.

Aber so funktioniert Österreich eben. Und es kann offenbar nicht anders. Eine Hand wäscht die andere. Ganz oben und ganz unten genauso.

Dass das für das Land längst zur Bürde geworden ist, will man darob nicht erkennen. Denn diese Unkultur der Protektion verhindert viel eher, als dass sie dem Ganzen hilfreich ist. Sie konserviert bestehende Strukturen und zementiert in vielen Institutionen und Unternehmen Zustände und Niveaus ein. Energien, die neue Perspektiven öffnen könnten, macht sie keine frei.

Genau das aber bräuchte das Land.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 16. Mai 2012

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