Donnerstag, 31. Mai 2012
Demokratie für Rosinenpicker
"Mehr direkte Demokratie“ lautet der Schlachtruf dieser Wochen. Mehr wagen, mehr ermöglichen, die Menschen stärker in politische Entscheidungen einbinden. Mitreden, mitbestimmen, mitentscheiden. In allen politischen Lagern werden Konzepte entwickelt, von allen kommen Stellungnahmen und alle wollen profitieren. Man will sich ja nichts vorwerfen lassen.
Es ist gut, dass es diese Diskussion gibt. Bedächtige Töne sind in diesem fordernden Kanon freilich selten zu vernehmen. Notwendig aber sind sie allemal. Es ist ja nicht so, dass wir nicht in einer Demokratie leben und dass die Verhältnisse in Österreich nicht demokratisch sind. Sie könnten da und dort besser sein. Das ist keine Frage. Aber es ist sehr wohl zu fragen, ob das wirklich so viel mit dem System zu tun hat, wie die öffentliche Diskussion suggeriert, oder ob es nicht auch, oder viel eher sogar, mit den in diesem System handelnden Personen zu tun hat. Und zwar nicht nur mit den Politikern, sondern auch mit denen, die sie wählen, respektive jenen, die das Recht haben zu wählen.
Dass die Politiker besser sein könnten und sollten, beherrscht die öffentliche Diskussion fast schon aus Tradition. Dass gerade die Generation, die derzeit die Geschicke in Staat, Ländern und Gemeinden lenkt, so oft enttäuscht und an ihrer grundsätzlichen Aufgabe scheitert, den Auftrag der Wähler umzusetzen, sorgt für ein besonders großes Maß an Frustration. Das nährt naturgemäß die Ungeduld und die Forderung nach mehr direkter Mitbestimmung.
Das freilich führt direkt zur Frage, warum sich der Wähler, der nun mehr Mitsprache einfordert, sich nicht an der politischen Willensbildung beteiligt und selbst im politischen Geschehen mitmischt, also Politiker wird. Im Gemeinderat einer kleinen Gemeinde in den Bergen, in einem Wiener Gemeindebezirk, in einem Landtag oder gar im Nationalrat. Die Wege dafür stehen viel offener, als man gemeinhin zur Kenntnis nehmen will. Politisch engagierte Leute werden von allen Parteien gesucht und mit offenen Armen aufgenommen. Bloß, diese finden sich allzuoft nur unter großen Mühen. Politisches Engagement gilt in diesem Land nicht viel. Dafür will sich kaum jemand hergeben. Schon gar nicht die guten Köpfe. In den vergangenen Jahrzehnten ist im ganzen Land und in allen Parteien eine Negativspirale in Gang gekommen. Niemand will sich mehr dem mühsamen politischen Geschäft aussetzen.
Man zieht es vor, auf der Tribüne zu sitzen und sich über die Akteure zu alterieren. Mitreden - und das ist wohl der Kern der Bemühungen um das, was man jetzt mehr direkte Demokratie nennt -, will man nur ab und an. Vorzugsweise bei Themen, die einen persönlich treffen und ärgern. Der Rest interessiert nicht, jedenfalls nicht so, dass man sich dafür engagieren würde, und sei es nur in der Form, zumindest alle vier, fünf Jahre das Wahlrecht zu nutzen. Rosinen picken ist das, statt Verantwortung übernehmen.
In Österreich hat, ganz anders als in der Schweiz, die direkte Demokratie in welcher Form auch immer, kaum Wurzeln. All die Volksabstimmungen, Volksbegehren und Volkbefragungen, die bisher über die Bühne gingen, waren kaum je vom Willen der Wähler getragen, sondern von den politischen Parteien selbst, denen innerhalb des dafür vorgesehen Rahmens das politische Latein ausgegangen ist. Oder es standen Medien dahinter, oder, wie zuletzt beim Bildungsvolksbegehren, Altpolitiker, die von ihrer Partei nicht mehr gehört werden. Die Motive für all diese Aktionen waren nicht immer so lauter, wie sie vorgaben zu sein.
Da ist freilich zu fragen, warum das in Zukunft anders sein soll. Bei der Qualität, die Politiker, manche Medien, Interessenvertretungen, NGOs, aber auch Wählerinnen und Wähler derzeit an den Tag legen, sind eher untergriffige Kampagnen, ein permanenter Wahlkampf und viele andere Ungustiösitäten zu erwarten als Entscheidungen zum Wohl des Landes. Da steht eher zu befürchten, dass viele das Mehr an Demokratie, das sie jetzt fordern, dazu nutzen, ihre Interessen durchzusetzen und das System des Parlamentarismus zu beschädigen.
Alleine deswegen sollte man die Erwartungen nicht allzu hoch stecken. Und alleine deswegen sollten sich die Politiker ihrer ureigenen Aufgaben besinnen - und die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger der Möglichkeiten, die sie schon jetzt haben.
Meine Meinung- Raiffeisenzeitung, 31. Mai 2012
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