Donnerstag, 6. März 2014
Kaufen wir bald nur noch im Netz?
Kaum zwei Prozent der Lebensmittel werden in Österreich per Mausklick gekauft. Das könnte sich rasch ändern, doch die Probleme sind groß.
Regina Reitsamer Hans Gmeiner salzburg (SN). Der Siegeszug des Onlinehandels wirbelt die Welt des Einzelhandels durcheinander. Ein Bereich blieb bisher verschont: Lebensmittel. Doch die Schonfrist ist vorbei, glaubt der Chef des deutschen Handelsriesen Rewe, der in Österreich mit seiner Tochter – zu der Billa, Merkur, Adeg und Penny zählen – Marktführer bei Lebensmitteln ist. „Ich bin überzeugt, dass die Zeit des Massengeschäfts im stationären Handel vorbei ist“, sagte Alain Caparros im Gespräch mit der dpa. „Der Tagesbedarf wird bald online eingekauft werden.“
Marktforscher sehen den Trend ähnlich. Auch im Lebensmittelhandel werde 2020 bereits jeder zehnte Euro im Internet ausgegeben, so eine Studie von Ernst & Young. „Die Entwicklung wird rasant sein“, sagt auch Wolfgang Richter von RegioPlan. Prognosen für Österreich will er keine abgeben, denn die Entwicklung hänge nicht zuletzt vom Verhalten der Marktteilnehmer ab – und die reagieren höchst unterschiedlich.
Die Erwartungen bestätigt auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Keyquest unter Experten aus der Lebensmittelbranche. „85 Prozent der Befragten rechnen damit, dass die Bedeutung des Internethandels in den nächsten zehn Jahren wachsen wird, das sind um sieben Prozent mehr als noch vor drei Jahren“, sagt Keyquest-Chef Johannes Mayr. Er gibt sich vorsichtig. „Weil die Leute immer weniger daheim sind, wird die Umsetzung der Onlinepläne ein schwieriges Thema bleiben.“ Bei Lebensmitteln werde das Onlinegeschäft daher über einen gewissen Anteil nicht hinauskommen.
Rewe hat bereits im Vorjahr in Österreich seinen Onlineauftritt ausgeweitet. 5000 Produkte bietet man an, fast so viele wie in einer Filiale, für knapp sechs Euro wird an die Haustür geliefert, vorerst nur in Wien, andere Städte sollen folgen. Die Tiroler Supermarktkette MPreis hat mit „TanteM“ einen eigenen Onlineshop eröffnet. Anders als bei Billa gelten hier auch alle Angebote des stationären Handels, und das bei insgesamt 8000 Produkten, erklärt Sprecherin Ingrid Heinz. Geliefert wird in Innsbruck und Umgebung für drei Euro, bei Bestellung bis Mittag noch am selben Tag in einem gewünschten Zeitfenster von zwei Stunden. Das werde von vielen angenommen, sagt Heinz: „Ein blinder Kunde hat erzählt, dass er jetzt über Internet endlich seine Einkäufe ohne Hilfe erledigen kann. Es gibt aber auch Familien, die sich den Wocheneinkauf liefern lassen, weil sie ihn dann nicht nach Hause schleppen müssen. Ins Geschäft kommen sie nur, um Gemüse oder Frischfleisch selbst auszusuchen.“
Kritischer sieht man das bei Spar. Getestet werde an allen Ecken und Enden, bisher gebe es aber keine befriedigenden und kostendeckenden Lösungen, sei es bei den Kosten für den Transport, beim Thema Kühlung oder bei simplen Problemen, etwa dass bei der Lieferung niemand zu Hause ist. Es gebe viele Kinderkrankheiten und „wir müssen hier nicht die Ersten sein“, sagt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Wein freilich verkauft man bereits erfolgreich über das Internet.
Die wirkliche Konkurrenz komme nicht vom bestehenden Lebensmittelhandel, sondern von reinen Onlineanbietern, sagt Handelsexperte Richter. „Das war bei Büchern oder im Elektrobereich ähnlich, der stationäre Handel hat das lange übersehen.“ Auch im Lebensmittelbereich würden bestimmte Produkte bereits erfolgreich über Internet verkauft. Zuletzt wurden Pläne bekannt, dass auch der Internet-Gigant Amazon bis Herbst in Deutschland und Österreich in das Geschäft mit frischen Lebensmitteln einsteigen will.
„Das ist wie ein Bazillus“, meint Rewe-Chef Caparros. Die ersten Symptome spüre man kaum. Doch schon jetzt werde das Sortiment „scheibchenweise von den Onlinern attackiert“. So würden bald 20 Prozent des Tierfutters online gekauft. Punkten will Rewe künftig mit der Kombination aus stationärem und Onlinehandel. Immer mehr Supermärkte haben eine Form von Gastrobereich: ob Sushibar, Café oder Weinecke. „Der Supermarkt der Zukunft wird ein Ort der Begegnung sein“, sagt Caparros.
Ob mit oder ohne Online – schon jetzt ist klar, dass sich die Ernährungsgewohnheiten in den kommenden Jahren deutlich verändern. Snacks statt klassischen Mahlzeiten und mehr Fertig- und Halbfertigprodukte – das sind die großen Trends in der Ernährung in den kommenden zehn Jahren, die Mittwoch bei einer Tagung der AMA-Marketing in Salzburg präsentiert wurden. Gemüse, Obst, Fisch, Geflügel und Käse werden zu den Gewinnern zählen, Fleisch von Rindern und Schweinen, aber auch Milch zu den Verlierern.
Das hat auch mit einem rasanten Zuwachs der Vegetarier und Veganer zu tun. Vor allem in den Altersklassen bis 40 Jahre geht der Fleischkonsum bereits massiv zurück. Vernünftige Ernährung bleibe wichtig, noch viel wichtiger sei, wie sie im täglichen Leben unterzubringen sei, sagt Keyquest-Chef Mayr. Das zu organisieren gewinne an Bedeutung.
Salzburger Nachrichten - Wirtschaft, 6. März 2014
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