Donnerstag, 27. März 2014
"Liaba Uli"
Das Bild war in fast allen Zeitungen zu sehen. Ein Prachtbayer in vollem Ornat inklusive rotkariertem Hemd und Gamsbart hielt ein Transparent in die Kameras. "Liaba Uli, mia sog'n vergelt's Gott für ois".
28,5 Millionen Euro, die der Bayern-Präsident ans Steuern hinterzogen hat, sind da nichts. Auch nicht bei denen, die sonst am liebsten jeden kleinen Ladendieb oder Wurstsemmelräuber für Jahre hinter Gittern verschwinden lassen würden. "Vergelt's Gott für ois". Der Mann ist nicht hoch genug zu achten, verzichtet er doch auf Berufung und geht ins Gefängnis! Ein Mann in dieser Position! Alle Hochachtung!
Man staunt über die Honneurs, die Hoeneß in den vergangenen Tagen entgegengebracht wurden. Ein Mann hinterzieht 28,5 Millionen Steuern und geht ohne Widerspruch und ohne Muskeln spielen zu lassen ins Gefängnis - und schon steht die Gesellschaft Kopf. Nicht nur die stramm-bayerische, die Fußballwelt insgesamt und weite Kreise darüber hinaus. Selbst österreichische. Gesinnungsfreunde - da hält man zusammen und findet nur anerkennende Worte. Dabei tut der Mann doch nur, was eigentlich das Normalste der Welt ist. Er hat wissentlich Gesetze gebrochen, übernimmt die Verantwortung dafür und stellt sich der Strafe.
Als Alice Schwarzer beim Steuerhinterziehen erwischt wurde, war das noch ganz anders. Viele von denen, die heute Hoeneß verklären, hätten die deutsche Parade-Emanze am liebsten auf dem Scheiterhaufen gesehen. Dabei ging's bei ihr gerade einmal um einen Bruchteil der Hoeneß-Malversation.
Das Muster ist immer das gleiche. Geht es um das eigene Umfeld, macht man die Augen zu, geht es um andere, weiß man alles ganz genau und findet jedes Haar in der Suppe. Das gilt ganz unten genauso wie ganz oben, das gilt privat und in der Öffentlichkeit, zumal in der politischen Öffentlichkeit. Als Putin die
Krim kassierte, gab es nirgendwo auf der Welt Demonstrationen. Man mag sich nicht ausmalen, was gewesen wäre, hätten die Amerikaner irgendwo in Mittelamerika Ähnliches getan.
Was ist los in dieser Gesellschaft? Es scheint keine unbeeinflusste und unvoreingenommene Meinung und Einschätzung zu geben. Gerechtigkeitssinn schon gar nicht. Und auch kein Tun und kein Handeln, das von lauteren Motiven, wie der Suche nach Gerechtigkeit und Objektivität getragen wäre. Alles scheint nur mehr ideologischen Haltungen und irgendwelchen - und seien sie noch zu krude - Interessen untergeordnet zu sein. Es geht kaum mehr um die Wahrheit, sondern nur mehr um die Durchsetzungsfähigkeit. Es geht um Lagerinteressen. Und wenn nicht um die, dann um die Durchsetzung der Bedürfnisse von Pressure Groups oder von Einzelinteressen. Und wenn um die auch nicht, dann darum, dem Kontrahenten zumindest ordentlich und wo immer es geht ans Zeug zu flicken und madig zu machen.
Die Lautesten setzen sich durch, die Gerissensten, die Durchtriebensten und die mit dem besten Netzwerk, wie Klungelei heute gerne verharmlosend genannt wird. Die Ehrlichen, die Abwägenden und die Sorgsamen hingegen sicher nicht.
Da ist nur logisch, dass man überrascht ist, wenn jemand wie Hoeneß das Normalste tut und für seine Fehler die Verantwortung übernimmt. Aber den Hut vor ihm zu ziehen oder gar auf die Knie zu fallen, ist deswegen noch lange nicht notwendig. Es ist ein alarmierendens Zeichen, dass es dennoch derart viele tun.
Die Gesellschaft hat wohl längst die klare Sicht verloren. Längst sind die Maßstäbe aus dem Lot geraten. Es fehlt an den großen moralischen Linien und Instanzen, die dafür verantwortlich wären. Und es fehlt an denen, die sie einfordern.
Die Politik ist damit längst überfordert und auch die Kirchen und andere Instanzen wie etwa die Wissenschaft. Da verwundert nicht, dass sich Gesellschaftsgruppen ihre Moral selbst machen. Die einen jagen am liebsten mit schweren Geschoßen Hendldiebe und lassen die Großen gewähren, die anderen verbeißen sich in die Großen und vermuten überall dunkle Mächte und haben jedes Gefühl für die Bedürfnisse ihrer unmittelbare Umgebung verloren. Und wieder andere, wie etwa NGOs oder manche Medien, plustern sich in diesem Klima zu neuen moralischen Instanzen auf, um diese Lücken zu füllen. Und dabei geht's doch oft um nichts als um's Geld.
In dieser Gemengelage nimmt freilich nicht Wunder, wenn einer von denen, dann - endlich - doch tut, was zu tun ist, gleich als "liaba Uli" verehrt wird - auch wenn er vorher fast 30 Millionen Euro verräumt hat.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 27. März 2014
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen