Freitag, 2. September 2016
Die fehlende Sicht der Dinge
"Pleiten sind vor allem hausgemacht", hieß es dieser Tage in den Zeitungen. Wieder. Und wieder ist der Anteil der auf diese Weise zustande gekommenen Pleiten gestiegen. Seit Jahren kommt der Kreditschutzverband von 1870 zu einem ähnlichen Ergebnis, seit Jahren gibt es die gleiche Tendenz. Für jede zweite Insolvenz ist demnach inzwischen die Unfähigkeit der Chefs verantwortlich.
Die Analyse der Kreditschützer ist gnadenlos. Nicht die oft und gerade in Österreich so gerne als Begründung für mangelnde Entfaltungsmöglichkeiten angeführte Politik ist schuld, nicht nervige Bürokratie und auch nicht die strengen Banken, wenn ein Unternehmen aufgeben muss. Nein, die Unternehmen sind es meist selbst, die sich mit ihren Fehlern ins Aus manövrieren.
Man kennt das. Eine pompöses Geschäftslokal noch bevor der erste Auftrag unterschrieben wurde, ein großes Auto vor der Tür, eine schicke Firmeneröffnung. Man sieht nicht die viele Arbeit, schon gar nicht die Aufbauarbeit, man sieht den Glitzer, den man aus dem Fernsehen kennt, man glaubt sich dank Abschreibungen und Absetzposten ein billiges Leben machen zu können und hält die Rückerstattung der Vorsteuer für eine staatliche Einkommensquelle.
Das funktioniert auch. In der Regel freilich aber nur drei Jahre lang. Bis sich die Nachzahlungsforderungen der Sozialversicherung nicht mehr aufschieben lassen und auch nicht die des Finanzamtes. Dann ist bei vielen Firmengründern und Jung-Zampanos, die glauben sich mit einer Firma ein schnelles Geld machen zu können, schnell Schluss mit lustig.
Darüber redet man in Österreich selten. So genau wie der Kreditschutzverband mag man in der Regel nicht hinschauen in diesem Land. Schon gar nicht unter dem Blickwinkel der Eigenverantwortung. Man könnte ja sein Selbstbild zerstören. Davon hält man hierzulande bekanntermaßen wenig. Analysen der Art, wie sie die Kreditschützer für Unternehmen und ihre Chefs ablieferten, gibt es in Österreich viel zu wenig. In Analysen, die in der Öffentlichkeit breitgetreten werden, geht es nur selten um den Umgang mit sich selbst, mit der Verantwortung, mit den eigenen Leistungen und den eigenen Möglichkeiten. Da geht es viel mehr um die Umstände, um das Umfeld und um vieles andere mehr, auf das man sich bequem ausreden kann, wenn denn einmal etwas schief gehen sollte.
Schuld scheinen in diesem Land grundsätzlich die anderen zu sein. Das Umfeld, die politische Konstellation, die Umstände. Je nach Bedarf. Es ist längst zur Kultur geworden, die Schuld immer woanders und bei anderen zu suchen und jede Verantwortung zunächst möglichst weit von sich zu weisen.
Selten nur geht es bei Analysen und in der öffentlichen Diskussion um die Fähigkeiten der Betroffenen und um ihre Verantwortung, um ihr Verhalten und ihr Geschick, um ihre Einstellung und ihren Charakter. Das gilt im Beruf, das gilt in der Bildung, das gilt in praktisch allen Lebensbereichen. Bis hin zum täglichen Auskommen und wie jemand das schafft oder nicht schafft. Da macht man keinen Unterschied, ob jemand gespart oder in Saus und Braus gelebt hat, nicht, ob er oder sie auf die Gesundheit geschaut hat, sich um Ausbildungen bemüht und fleißig gearbeitet oder lieber den Herrgott einen schönen Tag hat sein lassen. Da wird auch kein Unterschied gemacht, ob jemand gut ist in seinem Job, oder ob er die Dinge lieber schleifen lässt, ob er sich bemüht, oder ob ihm alles ziemlich einerlei ist.
In vielen Bereichen ist das Gespür für die Eigenverantwortung und die Möglichkeiten, die man hätte, längst verloren gegangen. Die Wohlstandsgesellschaft, die man sich in diesem Land über Jahrzehnte erarbeitete, ist längst zu einer Anspruchs- und Versicherungsgesellschaft geworden, in der viele Menschen ihre Verantwortung abgegeben haben wie ein Kleidungstück an der Garderobe.
Irgendjemand wird's schon richten. Sich selbst, seine Möglichkeiten und seine Verantwortung zieht man hierzulande dafür selten in Betracht, schon gar nicht, wenn es um negative Dinge geht. Um eine Pleite, in die man gerutscht ist, um eine Prüfung, die man nicht bestanden hat, um Mist, den man in der Familie gebaut hat, und um ähnliche Dinge. Wenn man das tut, dann allenfalls in einem weinerlichen Ton, der dröhnt vor Selbstmitleid.
Davon freilich gibt es genug in diesem Land. Von Analysen in der Art und mit dem Zugang wie jene des Kreditschutzverbandes zum Thema Firmenpleiten aber gibt es viel zu wenige. Dabei wäre der Bedarf so riesig.
Gmeiner meint - Raiffeisenzeitung, 1. September 2016
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