Donnerstag, 8. September 2016

Die Schweiger



Die "Krone" kriegte sich nicht mehr ein und bei den NGOs knallten wohl die Sektkorken. "Angesichts des Widerstandes, der hier bisher formuliert worden ist, ist eine Unterzeichnung Österreichs, ohne dass wir uns vorher genau damit auseinandersetzen und es Punkt für Punkt abklopfen, aus meiner Sicht gar nicht möglich", sagte vergangene Woche Bundeskanzler Christian Kern und kündigte an, CETA und damit indirekt auch TTIP, die beiden so umstrittenen und von vielen Seiten nachgerade zur Glaubensund Seinsfrage stilisierten Freihandelsabkommen mit Kanada und mit den USA, den SPÖ-Mitgliedern zur Urabstimmung vorzulegen.

Kern bewies damit nicht sosehr sein Talent als Politiker, sehr wohl aber jenes als Populist, der andere, die dieses Amt bisher bekleideten, jedenfalls seinen dem Boulevard hörigen Vorgänger, ohne Probleme in den Schatten stellt. Im Handumdrehen ließ er zudem damit gleich auch seinen Vizekanzler schlecht aussehen, der in seiner spröden Art schon Tage zuvor für den Griff zur Notbremse bei den TTIP-Verhandlungen plädierte.

Dabei verdient Kerns Vorstoß bei Licht betrachtet eigentlich das Prädikat "ungeheuerlich". Das deswegen, weil er dieses heikle und vielschichtige Thema und die Urabstimmung darüber ganz offenbar vorrangig zur Stärkung seiner SPÖ nutzen will, was er auch unumwunden zugibt. Dazu die saloppe Äußerung, dass man sich damit genau auseinandersetzen muss, was die Frage aufwirft, was man bisher getan hat, und die Tatsache, dass bei TTIP noch gar kein Ergebnis vorliegt.

Die Aufregung und Proteste hielten sich in Grenzen. Im Beifallssturm, den Kern in breiten Kreisen der Bevölkerung entfachte, die durch jahrelange Kampfberichterstattung des Boulevards verängstigt und verunsichert wurden, war davon kaum etwas zu hören. Nicht aus der Wirtschaftspartei ÖVP und nicht einmal von der Wirtschaft selbst. "Die Diskussion wird völlig unsachlich und aus dem Bauch heraus geführt", ließ der Präsident der Industriellenvereinigung in Interviews vernehmen. Und dass man in Europa Wertschöpfung verliere und ohne diese Abkommen zwischen Asien und Nordamerika aufgerieben werde. Aber kein Wort des Protestes, kein Wort der Kritik und schon gar keine Forderung, am Verhandlungstisch zu bleiben. Ein klarer Standpunkt schaut anders aus.

Man kennt das aus den vergangenen Jahren. Die Diskussion, über die für Europa fraglos wichtigen Abkommen ließ man schleifen und machte damit die Bühne frei für die Gegner. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Landwirtschaft, in den vielen anderen Bereichen, die die Abkommen berühren und in den Zentren der Politik selbst, im Bundeskanzleramt, im Wirtschaftsministerium, im Landwirtschaftsministerium. Nie wurde man den Eindruck los, dass man plan-und konzeptlos danebenstand, dass man mit den Abkommen ohnehin keine rechte Freude hat und sie schon gar nicht als Chance für die heimische Wirtschaft begriff. Und auch den, dass man sich aus Schlamperei, mangels eigener Ideen und Überzeugung den Lauf der Dinge, die da zwischen Brüssel, Washington und Ottawa ausgehandelt wurden, lieber sich selbst überließ. Selten war erkennbar, wie und ob sich Österreich und seine Wirtschaft in die Verhandlungen einbrachte, wie und ob es eingebunden war und wie und ob die Themen und Vorbehalte, die die Alpenrepublik im Lauf des Jahres zum Land mit der stärksten Ablehnung gemacht haben, eingebracht wurden.

Freilich ist sowohl rund um CETA und erst recht rund um TTIP viel zu diskutieren. Klar aber ist, dass Abkommen dieser Art für das Fortkommen der Wirtschaft wichtig sind, gerade für eine Volkswirtschaft, wie das kleine Österreich, das so sehr auf eine florierendes und profitables Exportgeschäft angewiesen ist. "Ein Land wie Österreich kann nur für Abkommen wie TTIP sein", sagte vor Jahren einmal ein Wirtschaftswissenschafter. Dass er, wie seine Kollegen und viele andere auch, die der gleichen Überzeugung sind, in der Diskussion, selbst in der aktuellen, kaum zu hören sind, ist bezeichnend dafür, wie die Dinge laufen zwischen Bodensee und Neusiedler See. Nur keine Wellen, nirgends anstreifen, wird schon werden.

Letzteres wird es wohl nicht. Schon gar nicht, wenn auch die Regierungs-Politik, und nicht nur die Opposition, Populismus zu Leitstrategie erhebt und dabei auch noch der Bundeskanzler höchstpersönlich die Linie vorgibt und so erahnen lässt, was er unter dem von ihm angekündigten "New Deal" wirklich versteht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 8. September 2016

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