Donnerstag, 29. September 2016
Heimeliger Selbstbetrug
An vieles, das in der heimischen Politik seit Jahr und Tag auf der Agenda ist, hat man sich ja so gewöhnt, dass man dazu neigt, es als gottgegeben hinzunehmen. Die Bürokratiewahn gehört dazu, die Steuerlast auch und vieles andere mehr. Und dazu gehören natürlich die Lohnnebenkosten, deren Senkung seit Menschengedenken Thema jeder Regierung ist. Was hat es nicht schon alles gegeben an Versprechungen, an Verhandlungen, an Vorstößen. "Mehr netto vom brutto" heißt es dann und wann immer wieder einmal. Ohne viel Ergebnisse freilich.
Die Verärgerung über die Lohnnebenkosten ist groß, das Wissen darum gering. Zuweilen drängt sich der Eindruck auf, als drückten alle Beteiligten fest die Augen zu, um nicht ständig sehen zu müssen, was ihnen sonst nachhaltig die Laune verderben könnte und sie ohnehin in nichts denn hilflose Rage bringen würde.
Man kann dieses Verhalten nachvollziehen, wenn man der Darstellung folgt, die kürzlich der Geschäftsführer eines österreichischen Unternehmens seinen Mitarbeitern präsentierte, weil er genug hat vom Selbstbetrug, in dem man es sich in diesem Land so gerne heimelig macht. Im Zentrum steht dabei ein Bruttogehalt für einen männlichen Mitarbeiter von 2.400 Euro. Der entspricht dem österreichischen Durchschnitt und ist durchaus passabel. Man wird nicht reich davon, schon gar nicht wenn man Familie hat, aber wenn man spart, kann man schon durchkommen.
Doch schon diesem Betrag wohnt der Selbstbetrug inne. Denn der wahre Bruttobetrag und mithin auch das Bruttogehalt eines Dienstnehmers liegt bedeutend höher. Um etwas mehr als 700 Euro nämlich. Denn bei Licht betrachtet sind den 2.400 Euro auch all die Abgaben zuzuzählen, die ein Dienstgeber, also die Unternehmen, bereits im Vorfeld als so genannte Dienstgeber-Beiträge abzuführen haben. Statt 2.400 Euro müsste dann eigentlich im Sinn der ganzen Wahrheit in der Zeile Bruttogehalt 3.128 Euro auf dem Gehaltszettel stehen. Das tut es freilich nicht. Denn dann würde es dem guten Mann, der ohnehin unter der Steuer-und Abgabenlast ächzt und mit seinem Schicksal hadert, wohl endgültig das Wasser in die Augen treiben. Denn dann hätte er schwarz auf weiß, dass sein Bruttogehalt bei Licht betrachtet eigentlich alles in allem ganz passabel klingende und Träume erweckende 3.128 Euro pro Monat beträgt, dass aber gerade einmal die Hälfte davon, 54 Prozent um genau zu sein, monatlich auf seinem Konto ankommt.
Sieht man, wer da aller mitnascht, nimmt nicht wunder, dass nicht mehr bleibt. Und dabei geht es nicht nur um die großen Posten Pensionsversicherung, Krankenversicherung und Lohnsteuer. Es ist vor allem das Kleinvieh, das in Österreich so viel Mist macht. Drei Prozent Kommunalabgaben gehören dazu, 4,5 Prozent Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds, 1,53 Prozent für die Abfertigung neu, 6 Prozent für die Arbeitslosenversicherung, ein paar Zehntelprozent für den Insolvenzentgeltssicherungsfonds, ein halbes Prozent Arbeiterkammerumlage, Wohnbauförderungsbeiträge und manches andere mehr. Hierzulande ist man, man weiß es, sehr fantasievoll im Nehmen. Ob man freilich von all diesen Abgabenposten auch persönlich etwas hat, zumal etwas Gutes, steht freilich auf einem anderen Blatt und eignet sich trefflich zur Diskussion.
Das Resultat ist bitter. Sehr bitter. Nicht nur für den Dienstnehmer, der so viel mehr machen könnte, wenn er nur mehr von seinem eigentlichen Gehalt bekäme. Bitter ist es auch für die Unternehmen und damit für die Wirtschaft des ganzen Landes.
Für die Wirtschaft sind diese immens hohen Kosten ein Wettbewerbsproblem, das für massive Benachteiligung gegenüber der internationalen Konkurrenz sorgt. Österreich hat damit ein massives Problem. Denn diese internationale Konkurrenz hat meist deutlich weniger Kosten zu tragen. Während bei uns der Anteil der Steuern und Abgaben an den Arbeitskosten bei knapp 50 Prozent liegt, beträgt der Durchschnitt der OECD-Länder gerade einmal knapp 36 Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass bei uns die Belastung der Arbeit mit Steuern und Abgaben um rund ein Drittel höher liegt als im OECD-Schnitt. Nur in Belgien nimmt der Staat noch mehr als bei uns. Nun hält man sich zugute, dass die jüngste Steuerreform Besserung bringt. Das dürfte aber allenfalls vorübergehend der Fall sein, sind sich die Experten einig.
Aber das blendet man ohnehin lieber aus. Wieder einmal. Ganz im Sinn des heimeligen Selbstbetrugs.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 29. September 2016
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