Donnerstag, 22. September 2016

Überraschung, Überraschung



"Die FAZ hat mich eingeladen ausführlich zur Zukunft Europas zu schreiben", ließ Bundeskanzler Christian Kern zu Beginn der vorigen Woche über die sozialen Medien alle wissen. Man staunte. Ein Bundeskanzler des kleinen Österreich legte in der seriösen und international beachteten Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Ideen und Positionen dar. Noch mehr staunte man, als tags darauf dann auch noch Finanzminister Schelling interviewt wurde und dem Kanzler in die Parade fuhr, ihn zwar einen "linkslinken Ideologieträger" nannte, es aber nicht dabei beließ, sondern ihm sachlich auch seine Position und Sicht der Dinge gegenüberstellte.

Dass österreichische Politiker von internationalen Medien Raum bekommen und gefragt werden, gab es in den vergangenen Jahren kaum. Und es gab auch kaum etwas von der Art, was man in der FAZ zu lesen bekam. Und das noch dazu auf einem Niveau, das man kaum kannte und auch angesichts des täglichen Kleinkriegs, den man vorgeführt bekommt, auch gar nicht vermutete, denn es war auch nicht zum Fremdschämen.

Dort klare Vorschläge mit Ecken und Kanten, die freilegten, wie der sozialdemokratische Kanzler tickt, was er denkt und was er plant. Da der konservative Finanzminister, der ihm konterte und dem Kanzler seine Argumente entgegenstellte. Und man nahm dankbar zur Kenntnis, dass man sich offenbar doch über den Tag hinaus Gedanken zu großen und wichtigen Themen macht und dass man durchaus etwas zu sagen hat.

Es scheint ja doch heimische Politiker zu geben, die mehr drauf haben, als man hierzulande gemeinhin annimmt und die argumentieren können, wenn sie nur wollen. Man sah mit einem Mal Konturen, man lernte, woran man ist und es war klar wie selten zu erkennen, wer was will.

All das war eigentlich das, was der Wähler seit Jahren sucht und was er sich so oft wünscht.

Dass sich Kern dabei als astreiner Sozialdemokrat positionierte, ist ihm nicht übel zu nehmen. Und dass Schelling als Finanzminister, der aus der Österreichischen Volkspartei kommt, konservative Positionen vertritt, auch nicht. Alles andere wäre nur irritierend und überraschend gewesen.

Es gab eine Ahnung davon, wie heimische Politik sein könnte. Wie sie auch sein könnte, wenn nicht alleine das Schielen nach Schlagzeilen und Quoten oder gar Bösartigkeit und Hass das tägliche Tun bestimmen.

Auf Letzteres musste man freilich nicht wirklich lange warten. Schon tags drauf brach der Sturm los und gab sich der Koalitionspartner ÖVP beleidigt und viele Kommentatoren geißelten als "Plattheiten" und "Griff in die ideologische Mottenkiste", was die beiden heimischen Spitzenpolitiker von sich gaben.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf, scheint der Leitsatz zu sein, an dem sich alle am politischen Geschehen Beteiligten nachgerade zwanghaft orientieren.

Mag sein, dass alles auch der Vorbereitung von Neuwahlen diente und zur Stärkung der eigenen Position, Verwerfliches ist daran nicht zu finden. Dass der eine Positionen vertritt, die als links gelten und der andere welche, die als rechts gelten, sollte kein Grund zur Häme oder gar für eine Koalitionskrise sein. Entscheidend sollte ja sein, wie sie im politischen Alltag damit umgehen, wie es gelingt, diese Vorstellungen in der Koalition, in der man sich befindet, und die ideologischen Unterschiede ohne Scheuklappen auf einen Nenner zu bringen, statt sie umzubringen. Es geht nicht darum, dass der eine den anderen, respektive die eine die andere Partei niederringt, sondern es sollte darum gehen, einen Ausgleich zu finden und beide Seiten leben zu lassen, mit Hausverstand die Dinge voranzutreiben und zu wirksamen und tragfähigen Lösungen zu kommen.

Genau da aber gibt es wenig Anlass zu Hoffnung. Denn viel zu schnell ist man aus dem in internationalen Höhen angestoßenen Diskurs wieder in den Tiefen der heimischen Politik-Kultur gelandet. Und die ist, man weiß es und leidet daran, übel. Da geht es nicht darum, den anderen einzubinden und auch leben zu lassen, sondern da geht es viel zu oft ums Niederringen, ums Schlechtmachen und ums Anpatzen.

Da ist man weit weg von dem, was man da in der Vorwoche unter so viel Beachtung international durchblitzen ließ. Die Vorgänge rund um die Gestaltung der Presseauftritte und um den Ministerrat sind genauso Beleg dafür, wie der Streit um über die künftige Gestaltung der Gewerbeordnung.

Alles andere wäre freilich ohnehin überraschend gewesen.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 22. September 2016

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