Donnerstag, 30. März 2017
Wein schmeckt besser als Wasser
Die Geschichte mit dem "Wasser predigen und Wein trinken" kennt man ja. Und auch die vom zweierlei Maßstäbe anlegen. Von zahllosen Situationen, von zahllosen Bereichen. Man ist geneigt, es nachgerade als normal zu bezeichnen, das eine zu fordern und zu verlangen, dennoch aber das andere zu tun. Manchmal regt es mehr auf, manchmal weniger, manchmal tut man es mit einem Augenzwinkern oder einem Schulterzucken ab, manchmal mag man es doch nicht hinnehmen. Nicht im privaten Bereich, nicht im beruflichen, nicht im Wirtschaftsleben, nicht in der Politik und nicht anderswo.
Man sollte strenger sein. Und konsequenter auch. Denn es hat sich so etwas wie eine Kultur der Dreistigkeit entwickelt, etwas zu fordern oder gar vorzuschreiben, aber nicht im entferntesten daran zu denken, sich auch selbst daran zu halten und entsprechend zu handeln. Das gilt für Konsumenten, die keine Skrupel haben etwa von der Landwirtschaft alles an Auflagen und Vorsichtsmaßnahmen zu verlangen, die aber sofort zu ausländischen Lebensmitteln greifen, die all den Auflagen nicht unterliegen, sobald sie nur billiger sind. Das gilt beim Kauf von Bekleidung oder von Autos. Das gilt bei rechtlichen, namentlich sozialrechtlichen, Bestimmungen, nach denen man gerne ruft, die man aber im Fall der Fälle mit allem Nachdruck für die eigenen Bedürfnisse zurechtzubiegen und oft gleich auch zurechtzutricksen versucht.
Und natürlich gilt das auch für die Politik. Dass dort die Kultur der Dreistigkeit blüht, ist bekanntermaßen nachgerade notorisch. Man denke nur an die vielen Politiker und Politikerinnen, die auf offener Bühne meinen das Familienleben oder das Zusammenleben von Mann und Frau vorschreiben und bewerten zu müssen, die sich aber nichts dabei denken, sich mit Freunden und Freundinnen zu vergnügen und ihre Familien im Stich zu lassen, sobald sie vom Rednerpult heruntergestiegen sind.
Da passt ins Bild, dass die Regierung mit den Frauenquoten, über die man so gerne schwadroniert, nichts als Schwierigkeiten hat. Just jene Regierung, die plant, großen Unternehmen ab 2018 vorzuschreiben, sie hätten mindestens 30 Prozent ihrer Aufsichtsratsposten mit Frauen zu besetzen. Sie ist im Begriff, damit in die von der Wirtschaft bereits allerorten positionierten Messer zu laufen. Denn im eigenen Umfeld gibt sich die Regierung Blößen, denen durchaus ein gerüttelt Maß an Peinlichkeit eigen ist. "Die Regierung erfüllt noch nicht einmal ihre eigene Frauenquote", lästern Medien. Mindestens 30 Prozent der Aufsichtsratsposten mit Frauen zu besetzen, schaffe der Bund selbst in einem Drittel seiner eigenen Unternehmungen nicht. In sechs Bundesbetrieben gäbe es gar überhaupt keine weiblichen Aufsichtsräte. Ein Unternehmen des Bundes freilich sticht heraus. Im Aufsichtsrat der "Familie &Beruf Management GmbH" sitzen ausschließlich Frauen - was freilich nach dem in Regierungskreisen offenbar nach wie vor herrschenden Weltbild fragen lässt.
Auch bei einem anderen Thema, das derzeit für Schlagzeilen sorgt, misst die Regierung offensichtlich mit zweierlei Maßstäben und trinkt lieber Wein als Wasser. Während die Wirtschaft um ein neues Arbeitszeitgesetz ringt, das einen 12-Stunden-Arbeitstag und somit mehr Flexibilität ermöglicht, wird dieses Ansinnen von Regierung und Gewerkschaft mit immer neuen Argumenten abgeschmettert. Dass man im eigenen Bereich, nämlich bei den ÖBB, längst etwas Ähnliches eingeführt hat, kratzt sie im politischen Getümmel nicht. Denn dort sind an Wochenenden Dienstschichten mit 12 Stunden zulässig. Zudem darf die tägliche Ruhezeit von im Normalfall elf Stunden auch auf acht, und zweimal pro Woche sogar auf sechs Stunden verkürzt werden.
Man lebt, man weiß es, in Österreich gerne auf doppeltem Boden und hat keine Scheu verschiedene Maßstäbe anzulegen, wenn es nur den eigenen Interessen und dem eigenen Vorteil dient. Heilig ist niemand, auch nicht die, die sich gerne heiligenmäßig geben. Auch über Arbeitsverhältnisse und Bezahlung in Einrichtungen, wie der Kirche und der Arbeiterkammer, gibt es immer wieder Klagen. Und wenn die Wirtschaftskammer wieder einmal gegen die Bürokratie reitet, so kostet das ihren Mitgliedern im besten Fall ein müdes Lächeln. Meist ist es aber nichts als Ärger und Wut. Denn gerade die Wirtschaftskammer gilt als eine der Kathedralen der Bürokratie. Viele der heimischen Unternehmen wissen das aus leidvoller Erfahrung.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 30. März 2017
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