Donnerstag, 14. Januar 2021

Die Guten müssen besser werden

Man sitzt in Redaktionen, man sitzt vor Fernsehkameras, an Universitäten, in Salons und in Wohngemeinschaften. Oder man unterhält sich am Telefon oder über WhatsApp oder Zoom. Und man redet mit einem Mal ungeniert vom "Mob" und von der "Unterschicht". Erschrocken meist, voller Zorn oft auch und aufgeregt. Und immer mit einer ordentlichen Portion Verachtung, die mitschwingt, wohl um Distanz zu zeigen zu denen, die das Kapitol in Washington stürmen, die sich in Internet-Foren gehen lassen, aber auch zu den Leuten, die sich in Vöcklabruck, in Wien oder anderswo zu hunderten zu Anti-Corona-Demos treffen, die sich nicht impfen lassen und sich vor einer Weltverschwörung fürchten.

Überall weiß man es jetzt wieder ganz genau, wo die Guten sind und wo die Schlechten, die Gescheiten und die Dummen. Und man weiß auch allerhand Erklärungen zu bieten. Die -zumindest die meisten davon -sind wohl richtig. Und recht mögen sie auch sein. Mit gerecht ist das aber schon so eine Sache. Denn oft sind all die, die sich über den "Mob" und die "Unterschicht" so gerne outrieren, wohl eher selbstgerecht.

Statt sich in Erklärungen und Beschimpfungen zu ergehen und dem, was sie Analyse nennen, sollten sie und mit ihnen die Gesellschaft endlich einmal die Frage in den Mittelpunkt stellen, warum ihre Argumente an diesen Menschen abprallen, warum dort sachliche Argumente nicht mehr greifen, und warum sie stattdessen lieber den krudesten Theorien und Meinungen folgen, lieber Fake als Fakten vertrauen und warum sie Wachs in den Händen von politisch gefährlichen Anführern und Aufhetzern sind.

Das aber vermeidet man. Nicht nur jetzt, sondern schon seit Jahrzehnten. Warum erschrecken uns in unschöner Regelmäßigkeit immer wieder Umfragen, die den Österreicherinnen und Österreichern verbesserungswürdiges Demokratieverständnis bescheinigen, eine Sehnsucht nach einem starken Führer oder latenten Antisemitismus? Oder warum ist die Stellung der Frau nach all den Jahrzehnten eigener Frauenpolitik immer noch ein so großes - und, ja, wichtiges -Thema. Trotz all der zahllosen Diskussionen über all die Jahrzehnte, trotz all dem, was man als Aufklärungsarbeit auf die Beine stellte, um solche Haltungen zu überwinden. Trotz all der Tagungen, Petitionen, Gesetze, Demonstrationen und Kundgebungen. Trotz Volksbegehren, Lichterketten, Reden, Appellen, Mahnwachen und Gedenkstätten.

Trotz all dem konnten Haltungen und Einstellungen nicht zum Verschwinden gebracht werden, die längst in den Orkus der Geschichte gehören -auch und wohl schon gar nicht von all denen, die sich für etwas Besonderes halten und für im Besitz des Wahren und des Guten.

Immer nur ermahnen, immer nur warnen, immer nur mit erhobenem Zeigefinger von oben herab zu erklären und zu interpretieren, ist wohl zu wenig. Es wäre daher hoch an der Zeit, dass all diese Menschen endlich über ihre Methoden nachdenken und über ihren Stil. Je mehr Gedenktage und Gedenktreffen und alles, was der Empörungs-und Sorgenfundus sonst noch hergibt, desto größer, scheint es, werden die Probleme.

Das ist eigentlich nichts als ein Zeichen von Schwäche all derer, die über "Mob" und "Unterschichten" lästern. Man redet ungeniert und herablassend über diese Menschen und wundert sich, dass dieser "Mob" und diese "Unterschichten" nicht auf sie hören und vice versa sie für anmaßend, unfähig und beschränkt halten.

Freilich, es ist schwierig geworden wie wohl nie zuvor, Überzeugungen zu ändern. Autorität und Autoritäten sind oft zerredet worden -auch von denen, die heute darüber klagen. Nicht zuletzt deshalb müssen wir alle zuschauen, wie Politik und Demokratie hilflos sein können und wie selbst die Wissenschaft mit der Glaubwürdigkeit zu kämpfen hat.

Es führt kein Weg darum herum, sich neu aufzustellen und neue Wege zu finden. Man muss sich fragen, warum man von diesen Menschen, über die man sich so ärgert, so wundert und vor denen man sich mitunter auch so fürchtet, nicht mehr erreicht. Und auch, warum man nicht verstanden und nicht angenommen wird, und warum man -und da schließt sich der Kreis -von diesen so verachtet und geringgeschätzt wird.

Das kann weh tun. Und das muss es auch. Denn sonst muss man sich vorhalten lassen, was sich schon längst immer wieder aufdrängt: Dass man sich bei allem, was man vorgibt zu meinen oder zu tun, vor allem sich selbst ins richtige Licht zu setzen versucht.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 14. Jänner 2021


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