Donnerstag, 21. Januar 2021

"Wie Alaba in der Bezirksliga"

"Wow, 981.000 Menschen haben gestern die #ZiB2 mit dem neuen Arbeitsminister gesehen", twitterte Armin Wolf beeindruckt. Fast eine Million Zuschauer zu einer für viele Österreicher schon nachtschlafenen Zeit ist in der Tat beeindruckend, zumal für ein Politiker-Interview.

Schon seit langer Zeit ist kein Politiker mehr so freundlich und mit so großem Interesse aufgenommen worden wie der neue Arbeitsminister Martin Kocher. Man kannte ihn als smarten Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS) und als Mann, der mit jedem Wort Kompetenz versprühte, wenn er zur Arbeitslosigkeit, zur Wirtschaftslage oder zu den möglichen Folgen der Corona-Krise gefragt wurde.

Da nimmt nicht wunder, dass man ihn auf Anhieb gut fand und von Beginn an große Hoffnungen in ihn hineinprojizierte. "Kocher als Regierungsmitglied ist -jedenfalls von der inhaltlichen Kompetenz her -wie David Alaba in der Bezirksliga: Er ragt heraus. Ob er will oder nicht. Entweder meldet er sich selbst zu Wort (was er offenbar ohnehin vorhat); oder er wird zu entscheidenden Problemen an Stelle von Blümel, Schramböck oder Köstinger befragt", formulierte der Vorarlberger Publizist Johannes Huber (VN, SN, substanz.at) so spitz wie richtig.

Auch wenn Kocher erst zeigen muss, ob er auch in der Politik bestehen kann, zeigen all die Erwartungen, die seit seiner Ernennung formuliert wurden, deutlich die große Sehnsucht im Land nach Kompetenz, nach Qualifikation und nach Politikern mit Rückgrat und mit Verstand. Nach jemandem, der sich auskennt in der Materie, der die Zahlen kennt und der in seinem Fachbereich und darüber hinaus nicht nur qualifiziert, sondern auch anerkannt ist und gehört wird. Nach jemandem, der weiß, wovon er redet und der nicht vorträgt, was ihm seine PR-Leute oder die des Kanzlers oder seiner Partei aufgesetzt haben.

Solche Leute gibt es in der Politik kaum mehr. Stattdessen allerorten, im Bund, zunehmend aber auch in den Ländern, diese Message kontrollierten Aufsager, die immer öfter nicht ihrer Kompetenz wegen in ihre Ämter gekommen sind, sondern wegen ihrer braven Parteikarrieren. Die intellektuelle Ausdünnung, das mangelnde Fachwissen und die Feigheit auch sind längst zu einem Problem geworden für das Land. Nicht ohne Grund gibt es inzwischen das Wort 'Show-Politik'.

Politik zieht sich, so scheint es, immer mehr auf sich selbst zurück, statt sich der eigentlichen Aufgabe zu widmen. Da nimmt nicht wunder, dass Publizisten wie Huber davon schreiben, dass man nicht weit komme mit Leuten, "die allenfalls wissen, wie Seilschaften funktionieren" und die "im Übrigen nur eine dienende Rolle gegenüber Parteiinteressen und dem -vorsitzenden haben".

Diese Schieflage ist freilich auch möglich geworden, weil sich Leute mit Kompetenz diese Politik und diese politische Welt längst nicht mehr antun wollen. Auch in dieser Beziehung fällt Kocher auf. Die Krise erfordere es, die Komfortzone zu verlassen, sagte er in einem Interview mit den "Salzburger Nachrichten". Da gehe es auch darum, Verantwortung für das Land zu übernehmen. Diese Einstellung ist selten geworden. Vor allem bei denen, die wirklich etwas beitragen könnten in der Politik. Die über die nötige Kompetenz verfügen und die nötige Persönlichkeit. Es gibt diese Leute. In Unternehmungen, in den Interessenvertretungen, in wissenschaftlichen Einrichtungen, auf den Universitäten. Aber sie geben sich viel zu selten für öffentliche Aufgaben her. Selbst dann nicht, wenn sie gefragt werden. Man kann ihre Zurückhaltung gut verstehen, sie zu akzeptieren fällt freilich dennoch schwer und tut dem Land nicht gut.

Nicht zuletzt deshalb haben wir es zuweilen so schwierig mit der Politik und den Politikern in diesem Land. Nicht zuletzt, weil es vielen in der Politik an Kompetenz und Persönlichkeit fehlt, müssen wir so viel aufgeblasenes PR-Getue über uns ergehen lassen, das die Mängel übertünchen soll.

Weil es zu wenig Kochers gibt, müssen wir wohl noch länger Bilder ertragen, wie die bildschirmfüllende Nase des Präsidenten der WKÖ, in die ein Antigentest-Stäbchen eingeführt wird, mit dem er wohl zeigen will, dass sich die Wirtschaft nicht aus Trotz bei der Pandemiebekämpfung auf die Seite stellt.

Alleine für alle, die das im TV ansehen mussten, wäre es erträglicher, wenn es ein Mann in dieser Position Kraft seiner inhaltlichen und persönlichen Kompetenz schaffen würde, zu überzeugen. Und nicht nur für sie.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 21. Jänner 2021

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