Donnerstag, 28. Januar 2021

Siege machen immer auch Verlierer

Die Welt atmet auf. Seit Mittwoch der Vorwoche ist Joe Biden als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika im Amt. Sein Vorgänger ist Geschichte und viele hätten ihn gerne mit Schimpf und Schande verjagt gesehen. Was ja sogar noch kommen könnte, wenn das Impeachment-Verfahren zur nachträglichen Amtsenthebung, das in seinen letzten Tagen im Amt angestrengt wurde, doch noch durchgezogen wird. Allerorten herrscht Erleichterung und Zufriedenheit, zumal Biden gleich an seinem ersten Tag im Amt daran ging, Trumps Politik, die die Welt so oft entsetzte, rückgängig zu machen. Er kündigte, viel bejubelt vor allem in Europa, den Wiederbeitritt zum Pariser Klimaabkommen an, die Rückkehr in die Weltgesundheitsorganisation WHO, einen Baustopp der Mauer zu Mexiko. Insgesamt 17 Dekrete unterzeichnete er am ersten Tag, um Trumps Politik auszulöschen. Selbst im Weißen Haus und im Oval Office wurden Bilder abgehängt und Machtinsignien, auf die Trump Wert legte, noch am ersten Tag verräumt.

Die Welt applaudierte. Endlich, der Alptraum ist vorbei. Die USA kehren wieder in die internationale Gemeinschaft zurück, sind wieder berechenbarer in ihren Absichten und in ihrem Handeln und sie sind offenbar bereit, auch wieder Verantwortung auf der internationalen Bühne zu übernehmen.

Das alles hat freilich auch eine andere Seite. Was ist mit all den Millionen US-Amerikanern, die bei diesen Wahlen wieder Trump gewählt haben? Die mit ihren roten Trump-Kappen auf ihn und sein "America First" setzten? Die sich von Trump vertreten fühlten wie sonst von niemand im Land? Was ist mit diesen knapp 75 Millionen Menschen? Biden hat 81 Millionen Stimmen erreicht, und ob diese Zahl auch wirklich stimmt, wollen viele im Trump-Lager noch heute nicht glauben.

Man kann sagen, so ist Demokratie eben. Man sollte aber nicht übersehen, dass all die Dekrete, für die die Welt Biden dankbar ist, auch Träume zerstören und Wut und Ärger schaffen. Die Vereinigten Staaten sind tief gespalten, die Gewaltbereitschaft in vielen Kreisen, vor allem auf der konservativen Seite, nicht gering. "Die politischen Lager im Land sind zunehmend nicht bloß unterschiedlicher Meinung -sie existieren in unterschiedlichen Universen", schreiben Kommentatoren. "Trumps größte Lüge, die Demokraten hätten ihn mittels Wahlbetrug aus dem Weißen Haus gejagt, hat dazu geführt, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung seinen Nachfolger für einen illegitimen Präsidenten hält."

Für sie ist Bidens von der Welt so bejubeltes Auslöschen der Trump-Politik wohl nichts denn ein Affront, der ihre Wut über das Wahlergebnis wohl nur noch mehr befeuert. Aber weil jetzt der Demokrat Biden im Oval Office an den Hebeln der Macht sitzt, heißt das nicht, dass es die Haltung, die Trump immerhin 47 Prozent der Stimmen bescherte, in den Vereinigten Staaten nicht mehr gibt. Nicht mehr diese "America First"-Sehnsucht ohne jede Rücksicht, nicht mehr diesen offenen Rassismus, die Waffenverliebtheit und Klima-Ignoranz. Mit Wahlergebnissen, noch dazu mit so heiß umkämpften, werden zwar immer Träume zerstört, aber nicht Haltungen.

Die Haltungen bleiben und die Leute auch. Und wenn sie angesprochen werden, leben sie wieder auf. Man kennt das. Nicht nur jetzt aus den Vereinigten Staaten, sondern gerade auch aus Österreich. Zumal dann, wenn es Populisten gelingt, diese Träume und diese Haltungen anzusprechen und zu bündeln. Jörg Haider gelang das vor mehr als 20 Jahren und HC Strache dann wieder. Dazwischen wechselte nicht die Haltung, sondern nur das Stimmverhalten.

Das galt und gilt in Österreich. Und das gilt wohl jetzt auch in den USA. Bidens große Herausforderung ist, die Gräben, die Trump aufgerissen hat, zu überwinden. Erste Versuche gab es bereits in der Antrittsrede. Kommentatoren bescheinigten ihm den richtigen Ton getroffen zu haben, "die Seele einer tief verletzten Nation zu heilen". Das ist ein Anfang, mehr aber noch nicht.

Leicht wird das nicht sein. Hoffnung aber gibt es. Auch weil Trump seine Anhänger vergrault hat. Dem Vernehmen nach sind radikale Trump-Fans wie die "Proud Boys" sauer und wollen ihrem Idol die Unterstützung entziehen, weil sie sich nach dem Sturm aufs Capitol von ihm im Stich gelassen fühlten.

Freilich -auch wenn sie Trump fallen lassen, ihre Haltung wird bleiben.

Wie sie immer bleibt.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 28. Jänner 2021

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