Donnerstag, 24. März 2022

Wenn die Kanonen donnern

 „Kaufen, wenn die Kanonen donnern“. Carl Mayer von Rothschild wird diese Empfehlung zugeschrieben. Sie gilt seither allen Börsianern rund um den Globus als Standard ihrer Investitionsstrategien. Unwillkürlich fühlt man sich an sie erinnert, wenn man Interessenvertretungen, Lobbyisten, Politiker, NGO und all die anderen, die irgendwelche Interessen verfolgen, beobachtet, wie sie versuchen im Schatten des russischen Krieges gegen die Ukraine ihre Interessen durchzusetzen, Entwicklungen zu bremsen, zu stoppen oder gar umzudrehen oder zu beschleunigen und mit dem Rückenwind des Krieges durchzudrücken, was sonst nie durchzudrücken wäre. Viele begreifen den Krieg vor unserer Haustür als die Chance endlich durchzusetzen, worauf sie schon so lange warten, oder das dort das Rad zurückzudrehen, was sie in normalen Zeiten nicht verhindern konnten.

Die Wirtschaft war unten den ersten und forderte keine zwei Wochen nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, die CO2-Bepreisung, die ab 1. Juli geplant ist, und gegen die die Unternehmen den Kampf längst verloren glaubten, zu verschieben. In der Landwirtschaft wurden kaum weniger schnell Stimmen laut, den Green Deal mit seinen geplanten Düngungs- und Pflanzenschutzbeschränkungen und Flächenstilllegungen, der von vielen Bauern als Existenzbedrohung empfunden wird, zu hinterfragen. In Deutschland ist man seit Wochen dabei die längst erkaltet geglaubte Liebe für Atomkraft und Kohle wieder aufzuwärmen.

Als „Gunst der Stunde“ begreift man aber auch auf der anderen Seite des gesellschaftlichen und politischen Spektrums den Krieg den Russland in der Ukraine vom Zaun gebrochen hat. So sehen nicht wenige bei uns die Gelegenheit alternative Energie- oder Verkehrskonzepte durchzudrücken. Und natürlich geht es auch darum, dass wir uns unabhängiger machen, vor allem von Gasimporten, aber auch von Öleinfuhren, um damit krisenfester zu werden. Viele, vor allem Grüne, sehen just jetzt sogar den richtigen Zeitpunkt, um über die Nahrungsgewohnheiten zu diskutieren und uns von Fleisch- zu Pflanzenfressern zu machen. Sie verlangen, den grünen deutschen Landwirtschaftsminister voran, den Fleischkonsum einzuschränken. Jetzt sei es nicht nur aus klimapolitischen Gründen wichtig weniger Fleisch zu essen, sondern auch aus humanitären Gründen, weil für die Produktion von einem Kilo Fleisch ein Mehrfaches an pflanzlichen Kalorien verfüttert werden müssen. 

Mitunter sind die Scharmützel heftig, zuweilen gehen die Wogen hoch. Man kämpft mit Zähnen und Klauen. Gleich, ob es um die Wirtschaft, die Energie oder die Landwirtschaft geht. Vor allem NGO greifen gleich tief in den Kiste und bringen altbekannte Versatzstücke ihrer Argumentation in Stellung. Wer in der Wirtschaft Aufschub der CO2-Bepreisung fordert, wird umgehend als „Lobbyist der fossilen Industrie“ und „Putin-Anbiederer“ abgekanzelt wurde und muss sich den Vorwurf „fossile Klientelpolitik“ zu betrieben, gefallen lassen. In der Landwirtschaft vermutet man finstere „Agrarlobbyisten“ am Werk, die sich nicht nur „ihre Importquellen für Futter und Chemikalien sichern und die Massentierhaltung erhalten wollen“.

Auch wenn man Verständnis dafür haben mag, dass man Wünschen und Forderungen kritisch gegenübersteht, darf man nicht übersehen, dass sie auch aus der Not geboren sind. Denn der Preis, den der Krieg auch bei uns vielen abverlangt ist hoch. Lieferketten zerreißen, die Preise explodieren, die Versorgung mit Gas und Öl ist in Gefahr. Da sind Pragmatismus und Augenmaß gefragt und nicht politische und ideologische Grabenkämpfe. Es sollte aber auch auf allen Seiten klar sein, dass die derzeitige Situation und Entwicklung nun auch andere Antworten verlangt. Und seien es das Aufschieben von bereits terminisierten Maßnahmen oder politische Weichenstellungen. Vorübergehend sollte das möglich sein, vor allem wenn es darum geht, Schaden abzuwenden oder die Versorgung zu sichern.

Da sind Umsicht und Rücksicht verlangt, Weitblick auch und ein Zusammenrücken. Es ist nicht die Zeit für Streit und Grabenkämpfe, sondern es geht darum, jetzt praktikable Lösungen zu finden.

Kontraproduktiv wäre es jedenfalls, wenn sich die Gesellschaft gerade in dieser alle so fordernden Situation in endlosen und kräfteraubende Streitereien verliert, denen man sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel zu oft hingegeben hat.

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. März 2022

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