„Kaufen, wenn die Kanonen donnern“. Carl Mayer von Rothschild wird diese Empfehlung zugeschrieben. Sie gilt seither allen Börsianern rund um den Globus als Standard ihrer Investitionsstrategien. Unwillkürlich fühlt man sich an sie erinnert, wenn man Interessenvertretungen, Lobbyisten, Politiker, NGO und all die anderen, die irgendwelche Interessen verfolgen, beobachtet, wie sie versuchen im Schatten des russischen Krieges gegen die Ukraine ihre Interessen durchzusetzen, Entwicklungen zu bremsen, zu stoppen oder gar umzudrehen oder zu beschleunigen und mit dem Rückenwind des Krieges durchzudrücken, was sonst nie durchzudrücken wäre. Viele begreifen den Krieg vor unserer Haustür als die Chance endlich durchzusetzen, worauf sie schon so lange warten, oder das dort das Rad zurückzudrehen, was sie in normalen Zeiten nicht verhindern konnten.
Die Wirtschaft war unten den ersten und forderte keine
zwei Wochen nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine, die CO2-Bepreisung,
die ab 1. Juli geplant ist, und gegen die die Unternehmen den Kampf längst verloren
glaubten, zu verschieben. In der Landwirtschaft wurden kaum weniger schnell
Stimmen laut, den Green Deal mit seinen geplanten Düngungs- und
Pflanzenschutzbeschränkungen und Flächenstilllegungen, der von vielen Bauern
als Existenzbedrohung empfunden wird, zu hinterfragen. In Deutschland ist man
seit Wochen dabei die längst erkaltet geglaubte Liebe für Atomkraft und Kohle
wieder aufzuwärmen.
Als „Gunst der Stunde“ begreift man aber auch auf der
anderen Seite des gesellschaftlichen und politischen Spektrums den Krieg den
Russland in der Ukraine vom Zaun gebrochen hat. So sehen nicht wenige bei uns
die Gelegenheit alternative Energie- oder Verkehrskonzepte durchzudrücken. Und
natürlich geht es auch darum, dass wir uns unabhängiger machen, vor allem von Gasimporten,
aber auch von Öleinfuhren, um damit krisenfester zu werden. Viele, vor allem
Grüne, sehen just jetzt sogar den richtigen Zeitpunkt, um über die
Nahrungsgewohnheiten zu diskutieren und uns von Fleisch- zu Pflanzenfressern zu
machen. Sie verlangen, den grünen deutschen Landwirtschaftsminister voran, den
Fleischkonsum einzuschränken. Jetzt sei es nicht nur aus klimapolitischen
Gründen wichtig weniger Fleisch zu essen, sondern auch aus humanitären Gründen,
weil für die Produktion von einem Kilo Fleisch ein Mehrfaches an pflanzlichen
Kalorien verfüttert werden müssen.
Mitunter sind die Scharmützel heftig, zuweilen gehen die
Wogen hoch. Man kämpft mit Zähnen und Klauen. Gleich, ob es um die Wirtschaft,
die Energie oder die Landwirtschaft geht. Vor allem NGO greifen gleich tief in
den Kiste und bringen altbekannte Versatzstücke ihrer Argumentation in
Stellung. Wer in der Wirtschaft Aufschub der CO2-Bepreisung fordert, wird
umgehend als „Lobbyist der fossilen Industrie“ und „Putin-Anbiederer“ abgekanzelt
wurde und muss sich den Vorwurf „fossile Klientelpolitik“ zu betrieben,
gefallen lassen. In der Landwirtschaft vermutet man finstere „Agrarlobbyisten“
am Werk, die sich nicht nur „ihre Importquellen für Futter und Chemikalien
sichern und die Massentierhaltung erhalten wollen“.
Auch wenn man Verständnis dafür haben mag, dass man
Wünschen und Forderungen kritisch gegenübersteht, darf man nicht übersehen,
dass sie auch aus der Not geboren sind. Denn der Preis, den der Krieg auch bei
uns vielen abverlangt ist hoch. Lieferketten zerreißen, die Preise explodieren,
die Versorgung mit Gas und Öl ist in Gefahr. Da sind Pragmatismus und Augenmaß
gefragt und nicht politische und ideologische Grabenkämpfe. Es sollte aber auch
auf allen Seiten klar sein, dass die derzeitige Situation und Entwicklung nun
auch andere Antworten verlangt. Und seien es das Aufschieben von bereits
terminisierten Maßnahmen oder politische Weichenstellungen. Vorübergehend
sollte das möglich sein, vor allem wenn es darum geht, Schaden abzuwenden oder
die Versorgung zu sichern.
Da sind Umsicht und Rücksicht verlangt, Weitblick auch
und ein Zusammenrücken. Es ist nicht die Zeit für Streit und
Grabenkämpfe, sondern es geht darum, jetzt praktikable Lösungen zu finden.
Kontraproduktiv wäre es jedenfalls, wenn sich die
Gesellschaft gerade in dieser alle so fordernden Situation in endlosen und
kräfteraubende Streitereien verliert, denen man sich in den vergangenen Jahren
und Jahrzehnten viel zu oft hingegeben hat.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 24. März 2022
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