Donnerstag, 31. März 2022

Wir sind splitterfasernackt

Die Industrie falle im zweiten Quartal in eine Rezession, die Inflation werde in der Spitze sieben Prozent erreichen, die Reallöhne würden zurückgehen und die Gefahr eines Blackouts sei hoch, wenn überhaupt kein Gas mehr aus Russland kommen sollte. Nach vier Wochen Krieg gegen die Ukraine redete Wifo-Chef Gabriel Felbermayr bei der Präsentation der Konjunkturprognose der heimischen Wirtschaftsforschungsinstitute in der Vorwoche Klartext. Die Krise werde auch bei uns dazu führen, "dass wir Wohlstand aufgeben -dass wir ärmer werden".

Nach Wochen, in denen man hierzulande kaum über das reden wollte, was der Überfall Russlands auf die Ukraine auch für uns bedeutet, in dem man sich in falschen Lageeinschätzungen erging, um sich zu beruhigen und in denen man glaubte, dass der Spuk schnell vorüber sei und damit auch die Gefahr von langwierigen Folgen, machen sich nun doch Sorgen breit und Ängste auch. "Preise an der Schmerzgrenze" heißt es nun in den Medien oder "Nahrungsmittelkrise erreicht EU". Und es ist bewusst geworden, dass Österreich wie kein anderes europäisches Land von den Gasimporten aus Russland abhängig ist.

Antworten auf die Anforderungen hat man noch keine gefunden. Die Bemühungen wirken eher tapsig und hilflos. Wie eh und je bewegt man sich auf eingefahrenen Gleisen, betreibt zuweilen billigen und verantwortungslosen Populismus, schaut weg und verkauft als Erfolg, was noch lange kein Erfolg ist. Und man balgt sich mit Themen, die dem Ernst der Lage in keiner Weise gerecht werden -von der Aufstockung des Heeresbudgets, die keine Frage sein sollte, über Untersuchungsausschüsse bis hin zu den Diskussionen, ob man jetzt weniger Fleisch essen sollte oder nicht. Vor der Haustür ist Krieg - was kümmert das uns?

Immer noch weigert man sich, den Realitäten wirklich ins Auge zu sehen. Immer noch steckt man den Kopf in den Sand. Immer noch glaubt man, dass im Kreml einer sitzt, den man ausrechnen könnte und der so nett ist, just etwas nicht zu tun, weil es uns in Österreich und auch in Europa nicht ins Konzept passt. Woher kommt der Glaube, dass Putin nicht wirklich den Gashahn zudreht, fragt man sich.

Dabei macht schon fassungslos, wie sehr Putin Europa mit seiner Ankündigung, Gas nur mehr gegen Rubel liefern zu wollen, durcheinanderbringen konnte. Offenbar hatte man nicht einmal das im Kalkül, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es schmerzt, wenn Politiker in ihrer Orientierungslosigkeit und Überforderung als Erfolg verkaufen wollen, dass die EU dank US-amerikanischer Lieferungen die Abhängigkeit von russischem Gas noch heuer verringern und Österreich 2024 unabhängig von russischem Gas sein soll. Aber was bis dahin passieren kann und zu tun ist, wenn Putin den Gashahn doch zudreht, ist kein Thema.

Es schmerzt, das Land in seiner Ratlosigkeit zu erleben und ohne Konzept. Das vor allem. Es schmerzt zu sehen, wie nackt wir sind. Splitterfasernackt. Es gibt keine Szenarien, wie man mit den aktuellen Herausforderungen umgehen könnte, keine Ideen und schon gar keine greifbaren Konzepte auch. Wie sehen Pläne für den Notfall aus? Und gibt es sie überhaupt? All das, was in Österreich in den vergangenen Jahren für Krisenvorsorge gehalten wurde, war offenbar das Papier nie wert, auf dem es geschrieben wurde. Man staunt, wie wenig vorbereitet das Land ist.

Wie konnte es so weit kommen, ist zu fragen. Wie konnte geschehen, dass sich Österreich darauf einließ, 80 Prozent des Gasbedarfs aus nur einem Land, nämlich aus Russland, zu decken. Doch nicht wirklich, weil Putin seinerzeit in der Wirtschaftskammer Österreich ("Eine Diktatur, aber eine gute" wie er damals schmunzelnd meinte) lobte und die Kämmerer unter großem Applaus und den Rest des Landes damals 2014 mit seinem, man mag es gar nicht Charme nennen, um den Finger wickelte.

Man staunt über all die Lücken, die sich nun auftun und über all die Fehler, die gemacht wurden.

Worüber man nicht staunt, ist, dass all die Russlandfreunde, die in den vergangenen Jahren gar nicht genug kriegen konnten vom Lob dafür, was sie in Russland für Österreichs Wirtschaft erreicht haben, nun genau gar nichts erreichen und in der Versenkung verschwunden sind. Oder hat jemand vom Herrn Leitl und all den anderen etwas gehört?

Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 31. März 2022

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