"Give peace a Chance" stand am Tag der russischen Invasion in der Ukraine auf der Anzeigetafel in der Wiener U-Bahnstation statt der üblichen Meldungen wie "Zug fährt ein". Es wirkte unbeholfen angesichts dessen, was da gerade nur 500 Kilometer weiter östlich in der Ukraine passiert. Genauso unbeholfen, wie die zahllosen Postings in den Sozialen Medien, mit denen die Menschen ihr Mitgefühl und ihre Sorge ausdrückten.
Es gibt Krieg. In Europa. In einer Dimension, die man seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr kannte. Vor der man sich ab und an fürchtete, deren Möglichkeit man aber nie zur Kenntnis nehmen wollte. Schon gar nicht nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Fall der Berliner Mauer vor mehr als drei Jahrzehnten. Alles schien überwunden. Der Kalte Krieg, der Hass, die Angst.Jetzt ist alles wieder da. In aller Härte und Unberechenbarkeit. Plötzlich müssen wir mit Krieg umgehen. Mit einem Mal ist die Welt auch für uns eine andere. Eine ganz andere. Es kann mit einem Mal das Wirklichkeit werden, was man sich nie vorstellen mochte. Sehr schnell noch dazu. Wir müssen erkennen, dass das, was wir haben, nicht vom Himmel fällt. Dass wir etwas dafür einsetzen müssen und leisten.
Wir, eine Gesellschaft, die Krieg nur aus den Geschichtsbüchern kennt und aus Erzählungen. Die für Militär und Sicherheitsfragen meist nur Geringschätzung übrighatte. Die sich in Fragen der internationalen Sicherheit und Politik gerne auf die Amerikaner und die Nato verlassen hat. Die das Geld lieber in alles andere investierte als in die Sicherheit und die Experten, die warnten, nicht hören wollten. Die sich dem Gendern weitaus lieber hingab und glaubte, dass der Wohlstand auf den Bäumen wächst, wie dieser Tage zu lesen war. Und die aufs Verlangen und Fordern konditioniert ist, nicht aber darauf, etwas einzubringen und etwas zu leisten.
Nun müssen wir vieles lernen und hinterfragen. Wir alle. Und es wird sich wohl vieles anders darstellen. Die 100 Mrd. Euro, die Deutschland nun für die Rüstung ausgeben will, und die Bereitschaft, vorderhand doch nicht auf Atomkraft zu verzichten, zeigen, wie sich die Gewichte verschieben. Und nicht nur da.
"Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben. Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann", beschrieb dieser Tage die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer wohl am eindrücklichsten die Stimmungslage nicht nur bei Politikern, sondern bei vielen Menschen. Der Krieg in der Ukraine lehrt uns, dass schöne Worte allein nichts wert sind. Dass es mehr dazu braucht, will man sich behaupten und Pläne und Konzepte durchsetzen. In den vergangenen Jahrzehnten haben wir das verlernt. Auch, weil wir zu bequem waren.
Jetzt ist Europa nackt. Jetzt sind wir alle gefordert. Jetzt müssen wir mit dem Krieg zurechtkommen. Mit einem Krieg, der in der Wirtschaft kaum einen Stein auf dem anderen lässt und wohl auch nicht in der Politik. Wir müssen nicht nur mit Teuerungen zurande kommen, sondern wohl auch mit Versorgungsengpässen. Wir müssen mit Einschränkungen leben lernen. Und wir müssen vor allem Veränderungen und wohl auch Belastungen auf uns nehmen, um dem Krieg und seinem Antreiber nicht ausgeliefert zu sein.
Wir stehen wohl am Beginn schwieriger und wohl auch harter Zeiten. Umsicht ist dabei verlangt und große Verantwortung. Auch im Umgang mit Themen, die in der Gesellschaft ohnehin umstritten sind, wie etwa Umweltfragen. Das Kind darf trotz aller Not jetzt nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden. Gefragt sind Weitsicht und Umsicht.
Und vielleicht erkennt man dabei auch, dass es nicht Putin und Russland alleine waren, vor denen man in den vergangenen Jahren willig die Augen verschlossen hat. Vielleicht erkennt man beim Verhältnis zu China ähnliche Mechanismen wie jene, über die man sich jetzt im Nachhinein bei Putin so ärgert. Die Dinge liegen dort vor allem in Sachen Wirtschaft durchaus ähnlich. Man weiß um die Gefahren der Abhängigkeit, in der man sich befindet, man tut aber nichts und lässt die Dinge laufen. Weil es so einfach ist, so billig und so profitabel. Das Erwachen könnte auch dort dereinst bitter sein.
Meine Meinung - Raiffeisenzeitung, 3. März 2020
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