Dienstag, 24. Mai 2022

Preise werden länger hoch bleiben

Den Bioanteil in der Landwirtschaft zu steigern und nach höheren Ernten zu rufen vertrage sich nicht, sagt Agrarexperte Fritz Gattermayer.

Hans Gmeiner 

SN: Weizen ist teuer wie noch nie in der Geschichte. Zu den Folgen des Überfalls Russlands auf die Ukraine kommt die Trockenheit in Indien und anderen Ländern. Die Warnungen vor Hungersnöten und Aufständen in Ländern Afrikas werden immer lauter. Worauf müssen wir uns einstellen? 

Gattermayer: Die Preise für agrarische Rohstoffe werden so teuer bleiben, wie sie jetzt sind, eher wird es noch einen Auftrieb geben aufgrund der aktuell ungünstigen Witterungsbedingungen in Frankreich, Spanien, USA, Brasilien und dem indischen Subkontinent. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir schnell auf das alte Niveau zurückkommen. In Österreich werden die Auswirkungen im Vergleich relativ bescheiden bleiben, weil bei uns die Einkommen hoch sind. Ein gravierendes Problem kann die Entwicklung freilich für jene fünf Prozent der Menschen werden, die über besonders wenig Geld verfügen. Im Energiebereich werden die Auswirkungen jedenfalls stärker sein. 

Und global? 

Gattermayer: Da schaut es freilich ganz anders aus. Es gibt jetzt schon eine Milliarde Menschen, die nicht ausreichend ernährt sind, diese Zahl wird sich eventuell verdoppeln. Wenn man weniger als zwei Dollar am Tag zur Verfügung hat, ist jede Preiserhöhung eine Bedrohung, gefährdet Leben und erhöht die Kindersterblichkeit. Im Libanon, in Nordafrika und in anderen Regionen drohen nicht nur Hungersnöte und soziale und politische Unruhen, sondern auch verstärkte Migration.

Worauf muss sich die Landwirtschaft einstellen, die Bauern? 

Gattermayer: Für die Bauern bedeutet die Entwicklung auf den Märkten – das Auf und Ab sowohl bei den Preisen für ihre Produkte, aber auch für Betriebsmittel wie Dünger, Futter und Diesel – mehr Unsicherheit. Gerade jetzt zeigt sich ihre schwache Position auf den Märkten und die Abhängigkeit sowohl auf der Einkaufs- als auch auf der Verkaufsseite. Sie sind mehr denn je Passagiere der Entwicklung und haben keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, weil sie keine Marktmacht haben. Die Abhängigkeit etwa von Verarbeitungsbetrieben könnte noch zu einem großen Problem werden. Wenn die Molkereien nicht über ausreichend Energie wie Gas verfügen, ist das sowohl für die Milchwirtschaft als auch für die Bauern ein Riesenthema.

Hohe Preise für ihre Produkte bedeuten also keine goldenen Zeiten für die Bauern? 

Gattermayer: In solchen Situationen verdienen die Dünger- und Pflanzenschutzmittelerzeuger und die Lebensmittelindustrie. Deren Ergebnisse werden signifikant steigen. Sie verdienen immer mehr als die Bauern. Einige Landwirte werden heuer gut verdienen können, vor allem jene, die im Herbst noch nichts verkauft und im Vorjahr noch günstigen Dünger und Treibstoff für die heurige Ernte eingekauft haben. Die Margen werden aber schnell wieder sinken. Die Düngerpreise werden hoch bleiben. Russland, wichtigster Lieferant auf dem Weltmarkt, macht klar erkennbar Politik damit und will die Preise hoch halten.

Die Landwirtschaft soll mehr produzieren, um die Ausfälle der Lieferungen aus der Ukraine auszugleichen und die Versorgung des Weltmarkts zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist eine mitunter heftige Diskussion um politische Weichenstellungen in Richtung Ökologisierung und Biolandbau entstanden. 

Gattermayer: Man muss sich das ehrlich und genau anschauen. Wenn es Ziel der EU ist, die Bioflächen auf 25 Prozent auszuweiten, muss auch klar sein, dass diese Flächen weniger Getreide liefern und die Ernte sinkt statt steigt. Diese Mengen fehlen natürlich für die Versorgung auf den internationalen Märkten, denn die EU ist dort einer der größten Lieferanten. Dann wird Getreide in den Importregionen wie Nordafrika oder im Nahen Osten noch teurer. Ich glaube daher, dass das Ziel 25 Prozent Biolandbau in Europa im Hinblick auf die globale Verantwortung derzeit unzulässig ist, solange der Ukraine-Konflikt andauert. Vor allem in Gunstlagen muss Europa die Produktion erhöhen. Wenn dennoch wer sagt, man will das 25-Prozent-Ziel beibehalten, soll er auch beantworten, wie die Ernährungssituation global, aber auch in Europa, wo es immer mehr nicht ausreichend Ernährte gibt, gelöst wird.

Gibt es auch andere Möglichkeiten? Die Beimischung von Biotreibstoffen wird heftig diskutiert, NGOs fordern auch eine Einschränkung des Fleischverbrauchs. 

Gattermayer: Wenn ich politischer Entscheidungsträger wäre, würde ich aus globaler Sicht die Verwendung von Getreide und Mais für die Erzeugung von Biotreibstoffen für eine bestimmte Zeit aussetzen, um die Situation bei Agrarrohstoffen zu beruhigen. In den USA geht ein Drittel der Maisernte in Bioethanol. Wenn das nicht so wäre, würde der Maispreis massiv zurückgehen. Andererseits freilich leisten die Biotreibstoffe einen sehr wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen.

Und wie sieht es beim Fleischkonsum aus? 

Gattermayer: Eine Reduktion des Fleischverbrauchs senkt natürlich den Getreideverbrauch und würde den Markt entlasten. Aber man muss auch die andere Seite sehen. Was bedeutet das an Einkommensverlust für die Landwirtschaft weltweit, für die Bauern, die Fleischverarbeiter, die ganzen Handelsketten, die da drinnen sind. Und wie wird das Grünland dann genutzt? Es würde dann wohl viel weniger Betriebe geben und viele Gegenden würden verwalden, weil es keine Bauern und keine Produktion mehr gibt.

Muss die Gesellschaft ihr Bild von der Landwirtschaft nachschärfen? 

Gattermayer: Die Gesellschaft hat ein Bild von der Landwirtschaft, das oft nicht der Realität entspricht. Es ist stark beeinflusst von Personen und Organisationen, die weder ausreichende Erfahrung noch Wissen haben, und trotzdem Meinung machen. Situationen, wie wir sie in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion erleben, aber auch bei der Energieversorgung, kann man nicht mit Emotionen lösen, sondern nur auf der Basis von technischem Wissen.

Fritz Gattermayer (*1957) ist Agrarökonom und Lektor für Agrarmärkte und Welternährungswirtschaft an der Universität für Bodenkultur Wien.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

 
UA-12584698-1